Die Teufelsfibel, (die unheimliche Stiftsdame.)

 

Weil wir gerade bei den Töchtern des Teufels sind, und er hat deren viele, will ich nun eine Geschichte von seiner jüngsten erzählen.

Teufelsfobel Titel

Sie war wohl fast noch ein Kind gewesen. Sie liegt in einem ausgehöhlten Eichenstamm, seitlich mit schweren Steinen bedeckt und ganz mit Erde überhäuft. Das Einzige, was von dem jungen Weibe geblieben, ist ein bronzenes Doppelsonnenrad auf ihren Gebeinen. Der Wind weht über die Stätte, Habichtskraut wuchert, und ein Hauch von Frieden scheint über dem Ort zu liegen. Doch wenn ein einsamer Zecher des Nachts durch die Fluren am Schwarzbach geht, zeigt sich eine unheimliche Gestalt, halb Weib, halb Panther. Es ist Elseke, die jüngste Tochter des Teufels. Den schwarzen langen Umhang, der die muskulösen Hintertatzen mit den scharfen Krallen verdeckt, und der von einer kunstvollen Doppelradfibel gehalten wird, wirft sie von sich, und die Fibel wird zur Waffe.

Teufelsfibel Auenwald mit rFrau 2

 

Wer die Schwarze Frau nahen sieht, muß sich sofort auf den Boden kauern, sonst sticht sie mit ihrer Nadel dem Opfer teuflische Gedanken in den Kopf.

Seit Eva im Paradies durch ihre Sünde die Unsterblichkeit verwirkt und den Tod in die Welt gebracht hat, müssen die Frauen unter Schmerzen Kinder gebären, um Leben weiterzugeben. Das sei ihr einziger Sinn auf dieser Welt. So frohlockte der Teufel ob seines Sieges, und so dachten auch alle Männer.
Nun gab es in Schildesche aber eine starke und kluge Frau, Marvidis. Sie hatte ihren Mann früh verloren und war kinderlos geblieben. Mutig widersetzte sie sich dem Willen der gesamten hochgeborenen Sippe, die sie drängte, ihre weiblichen Pflichten zu erfüllen, sich wieder zu verehelichen und eine Anzahl Kinder großzuziehen, denn Gott habe die Welt für Menschen und nicht für wilde Tiere geschaffen. Doch Marvidis sammelte Gleichgesinnte und gründete ein Damenstift. Sie wollte mit innigem Gebet und gottgefälligen Taten den Teufel demütigen und nicht für Evas Sünden büßen. Ihr war das Stift “Paradies” und “Gottes Stadt”.

Teufelsfibel Buschenhof

Der Buschenhof, einer der letzten Stifthöfe, 1939 abgerissen.

Da schickte der Höllenfürst seine Tochter, das Schwarze Weib, zum Domherren, dem Vetter der Marvidis, auf daß diese ihn mit Dreuworten beschwören möge, die unvernünftige Stiftung zu vertilgen. Wie der nun so von Paderborn nach Schildesche ritt, stürzte er vom Pferd und brach sich den Hals. Der heimtückische Plan war nicht aufgegangen. Doch “der alte Feind”, wie die Frauen den Teufel nannten, ließ nicht davon ab, Gift in die keuschen Herzen zu träufeln.

Die Jahrhunderte vergehen. Da meldet sich ein neues, hochwohlgeborenes Fräulein und bittet um Aufnahme im Stift. Keiner kennt sie. Ihr schwarzes Gewand ist aus kostbarer Seide, der purpurne Umhang mit einer unsichtbaren goldenen Fibula gerafft, und ihre Waden stecken in hohen, weichen Lederstiefeln. Sie nennt sich Elseke de Duvelsche. Kaum ist sie kurze Zeit in der Gemeinschaft, fängt sie an, gar ketzerische Reden zu führen. So höhnt sie über den kostbaren Reliquienschrein, der die klugen und die törichten Jungfrauen zeigt: “Ihr glaubt, daß die Weiber mit ihren brennenden Öllampen Licht ins Dunkel bringen, dem Herren nahe sind und ins Himmelreich kommen, die Törichten aber mit ihren leeren Funzeln der Verdammnis nicht entrinnen können. Ach, was seid ihr ohne Verstand. Was ist, wenn das Öl verschüttet und sich ein höllisches Feuer entflammt, dann braten die klugen Jungfern schon auf Erden. Die anderen aber können in der Finsternis sehend werden und ihren Weg finden. Nicht glauben müßt ihr, denken!”
Da reißen die so Verhöhnten der Elseke den Purpur vom Leibe, und siehe, es fällt das satanische Doppelrad zu Boden. Vor ihnen steht niemand anderes als die Schwarze Frau.
Zwar wird die Stiftjungfer schimpflich vertrieben, doch der gläubige Geist der Kanonissen ist verwirrt. Sie leben fortan nicht mehr nach alten Gelübden. Sie geben große Feste und reichen erlesene Leckerbissen, kleiden sich kostbar, wohnen in aufwendigen eigenen Häusern mit Dienstboten zur Seite. Und endlich fühlen sie sich auch nicht mehr als Bräute des Gottessohnes, sondern heiraten nach Belieben einen reichen Gatten. Schließlich wird das Stift aufgelöst.
Die genaue Nachbildung des Reliquienschreines steht heute in der katholischen Pfarrkirche in Schildesche, das Original in der Domschatzkammer in Minden.

Teufelsfibel Reliquienschrein

Die Schwarze Frau aber steigt noch immer aus ihrem tausendjährigen Grab und sticht die Menschen mit der Teufelsfibel. Wenn aber einer kommt, der reinen Herzens ist und Mut und Kraft hat, die Tatzen zu binden und die Bronze zu entreißen, dann wird Elseke sich aus der unseligen Gewalt ihres Vaters befreien können und endlich Ruhe finden.

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