Der Zeitzottel. ( Café Knigge )
Ob wohl inzwischen die Heerscharen von Schokoladen-Weihnachts-männern, zum halben Preis, aus den Regalen der Läden verschwunden sind? Die Osterhasen mit ihren Glöckchen bimmeln doch schon vor der Tür. Was geschieht eigentlich mit den Figürchen, werden sie von den Geschäftsinhabern selbst aufgegessen, oder tiefgekühlt fürs nächste Jahr aufgehoben, an Altersheime verschenkt oder nach Afrika verschickt? Das ist schon ein Problem. Eine patente Lösung hatte da der kleine Emil aus Sachsen. Hört mal zu.
Es war einmal eine ordentliche Stadt mit ordentlichen Leuten. Dort lebte ein tüchtiger Zuckerbäcker. Bekannt waren seine leckeren Schleckereien. Zu den Festen gab es keinen Haushalt, wo nicht eine Weihnachtsmann aus Marzipan oder ein Osterhase aus Schokolade auf dem Tisch stand. Die Figürchen waren immer reich verziert mit Zuckerguß und Liebesperlen. Und alle erfreuten sich daran.
Nun hatte der Bäckermeister aber einen Lehrjungen, den Emil. Emil war vor langer Zeit mit seinen Eltern aus Sachsen gekommen, und er konnte sich schwer an die Bielefelder Sprache gewöhnen. Seinen Vater nannte er immer “Babba”, und wenn er das Gebäck verzierte, so machte er eben “Zuggerguß auf de Blätzchen”. Ihm wurden alle harten Buchstaben zu weichen. Er war ein rechter Lausebengel, selten hatte er seine Gedanken beisammen, und so konnte es passieren, daß er auf die Plätzchen Salz streute, und dafür mischte er ins Brot ein Pfund Zucker. Da gab’s so manche Ohrfeige vom Meister. Aber was nun passierte, das war schlimm. Hatte er doch beim Figürchenbacken die Förmchen verwechselt, und stellt Euch vor, nun gab es Weihnachtsmänner mit langen Hasenohren und Schwänzchen und Osterhasen mit Pelzstiefeln und einer Rute in der Pfote. Emil bekam es mit der Angst zu tun, was sollte er nur machen? Wenn das der Meister merkte! Er starrte auf die Weihnachtshasen und die Ostermänner und wußte keinen Ausweg. Schließlich dachte er, wenn ich nun einfach die Zeit verschiebe, wenn Weihnachten und Ostern zusammenfällt, dann würden meine Teilchen die große Sensation sein, und ich würde vielleicht berühmt damit. Es gibt Mozartkugeln, warum nicht auch Emil-Plätzchen?
Da kletterte er also in der nächsten Nacht auf den Turm der Alt-städter Kirche und drehte den großen Zeiger der Uhr immer im Kreise, wie bei der Kaffeemühle. Denkt, zur Som-merzeit dreht man die Uhr eine Stun-de vor, warum kann ich sie nicht auch drei Monate vorstellen. Und er drehte und drehte, und zählte und zählte. Da ertönte eine Stimme:
“He,Hoo, Du kecker Knabe, was treibst Du an meinem Räderwerk?”
Es war der Titan Chronos, der mächtigste unter allen Riesen. “Störe nicht den Lauf der Welt!” Ängstlich fragte Emil: “Kann ich nicht machen, daß Weihnachten und Ostern zusammenfällt? Es muß ja nicht für immer sein, nur dieses Jahr, ich muß doch unsere Schokoladenfiguren loswerden.” “He,Hoo, bist Du toll? Es gibt nichts Ordentlicheres als die Zeit, an ihren Maßen läßt sich nicht rütteln. Du weißt es genau, sie ist eingeteilt in Sekunden, Minuten, Tage und Jahre, und nichts läßt sich verschieben. Die Zeit ist unendlich, sie kommt aus dem Unendlichen und geht in das Unendliche. Die Zeit ist ewig!! Und nun verschwinde, Du Wicht, und störe nicht weiter meine Kreise.”
Der arme Emil zitterte vor Angst und wollte schnell den Kirchturm herunterklettern. Da sah er auf einmal auf dem kleinen Zeiger einen winzigen Zottelgesellen sitzen. Sein Hütchen saß schief auf dem Kopf, und das Wämschen war zerfranzt. Am rechten Fuß baumelte ein roter am linken ein grüner Schuh.
Und so sah er im ganzen recht unordentlich aus. Wie es den Emil nun so unglücklich da hocken sah, fing das Kerlchen an zu pfeifen: “Pfiff, Du bist der Emil, nicht, ich bin der Zeitzottel. Du hast versucht, die Zeit zu verschieben, hahahaaaa! Das geht nicht. Aber ich habe mir schon immer gewünscht, dem großen Titan Chronos einmal einen Streich zu spielen. So ordentlich, wie er denkt, ist seine Zeit nämlich doch nicht. Es kommt ganz darauf an, wer sie hat.” Da wurde der Emil ganz aufgeregt und fragte den Zeitzottel, ob er ihm wohl helfen könne. “Tja, siehst Du, das ist so. Wenn man auf etwas wartet, dann dauert die Zeit eeeewig lange und geht überhaupt nicht vorbei. Aber wenn man ganz viel zu tun hat, und nicht daran denkt, dann saust eine Stunde dahin wie eine Sekunde, und eine Woche ist vorbei, ehe man es merkt. Ein Jahr ist für ein kleines Kind unvorstellbar lange. Aber wenn Du alt bist, dann fliegen die Jahre so schnell wie eine Rakete. So dauert die Zeit doch für jeden verschieden lange, auch wenn sie eigentlich ganz gleich ist.” “Du meinst, wir müßten den Leuten viel Arbeit machen, dann merken sie garnicht, wann die Feste sind.” “Das ist eine gute Idee, versuchs, versuchs. Hahahahaaa!”
Heinz ging nach Hause und malte noch in der gleichen Nacht mit großen bunten Buchstaben Plakate. Darauf stand zu lesen: “Hiermit wird bekannt gemacht, daß demnächst der Kaiser unsere Stadt besuchen wird.” Dann beeilte er sich, die Plakate anzukleben, am Crüwellhaus, am Sparrenburgturm, in Bethel, am Ostmannturm im Ratsgymnasiom und sogar beim Oberbürgermeister im Rathaus.
Am nächst Morgen lasen das alle Leute und sie sagten, Oh, da haben wir ja viel zu tun. Wir müssen die Straßen kehren, wir müssen unsere Häuser anstreichen, wir müssen neue Blumen pflanzen, denn wenn der König kommt, dann soll er sagen:
“Ihr habt aber eine schöne Stadt.” Und wir müssen auch neue Kleider nähen, und wir müssen uns Reden ausdenken um den König zu ehren, und dann sollten Jungfrauen ein Gedicht aufsagen, Oh, wir haben ja sooo viel zu tun.”
Alle gingen schnell an die Arbeit. Und sie malten, und sie nähten, und sie dachten. Sie wußten garnicht, wo sie zuerst anfangen sollten. Und so merkten sie auch nicht, daß das Weihnachtsfest kaum vorbei war, als schon Ostern vor der Türe stand. Der Königr war zwar immer noch nicht zu Besuch gekommen. Und einen Tag vor Ostern hatte der Emil wieder Plakate gemalt. Und auf denen stand: “Der Besuch ist abgesagt, leider, der Konig hat die Windpocken.” Da ärgerten sich die Leute erst, aber dann freuten sie sich, daß ihre Stadt doch nun so schön geworden war. Und so feierten sie trotzdem ein großes Fest, denn jetzt hatte sie ja Zeit dazu. Und sie gingen zu ihrem Bäckermeister und kauften wieder viele Süßigkeiten. Der Emil war fleißig gewesen. Er hatte seinen Weihnachts-hasen eine dicke Pelzmütze übergestülpt, sodaß seine Ohren darunter versteckt waren. So tragen alle Weihnachtsmänner und Nikoläuse eine dicke Pelzmütze. Den Ostermännern aber hatte er an die Rute kleine Ostereier gebunden, sodaß es ein Osterstrauß war. Die Leute freuten sich über die neuen Figürchen, und der Meister lobte seinen Lehrjungen.
Später ist aus dem Emil doch noch ein ordentlicher Bäckermeister geworden und er hat ein feines Cafe mit köstlichen Leckereien in seiner ordentlichen Stadt betrieben. Er hatte gehört, daß es in Bremen einen ganz bekannten Bäcker Knigge gab, der auch Emil hieß, und weil er über die Streiche, die er als Junge den Leuten gespielt hatte, so “gekniggt” gewesen war, beschloß er, sein Geschäft nun fortan auch “Knigge” zu nennen.
Bist Du schon einmal im Cafe Knigge gewesen? Dort gibt es nicht nur Weihnachtsmänner und Osterhasen, sondern auch Maikäfer aus Schokolade und Mickimäuse aus Marzipan und ganz besonders leckere Kapuziner-Torte.
p.s. Na bitte, was bei Plätzchen möglich ist, muß doch auch für Schokoladenfiguren zu machen sein. Und damit wäre ein großes Problem gelöst.