Erna, das Montagsschaf (die Mär von einem Lämmchen)

Erna das Montagsschaf schwarzweiß

Wenn wir durch Lämershagen fahren, muß ich immer an Erna denken.

Der Sonntag ist eine feine Einrichtung. Es gibt keine Schule und die Arbeit ruht. Dafür ist der Montag für viele desto unangenehmer. Vielleicht hat man nicht ausgeschlafen, vielleicht hat man einfach keine Lust, vielleicht ist aber auch die ganze Mechanerie nicht richtig geölt, und so kommt es zu kleinen Pannen. Wenn dann, zum Beispiel, das neu fabrizierte Auto eine Macke hat, etwa, dass die Hupe bimmelt, oder die Räder viereckig sind, dann heißt es , es ist eben ein Montagsauto. Und so gibt es Montagskaffeemaschinen, Montagsunterhosen, Montagsbrötchen und Montagsrechenarbeiten. Daß es aber auch ein Montagsschaf gab, das weiß nicht jeder.

Am Betenberg, oberhalb des Mühlenbaches, weidete die Herde des Schäfers Jakob. Sein treuer Hütehund Max, den er vor 10 Jahren vom alten Niedergassel erworben hatte, machte seine Arbeit gut, nur mit dem Schafmädchen Erna hatte er seine Mühe. Erna versteckte sich, wollte immerzu weglaufen und war stets traurig. Alle verspotteten, schubsten und mieden es. Warum? Das Lämmchen war dunkel gescheckt und ihm fehlte das Schwänzchen, es war an einem Montag geboren worden, es war ein Montagsschaf!

Erna weinte. Schließlich fasste sie einen Plan: “Ich muß mir ein Schwänzchen besorgen.” Und so schlich sie sich eines nachts heimlich aus der Herde. Am Fingerhutweg sah sie ein Schild “Feine Damenmoden”. “Nun”, dachte sie, “es steht ja nicht da <nur für Menschen>”, und so zog sie an der Klingelschnur. Eine junge Frau kam schlaftrunken zur Tür, nicht gerade erfreut, mitten in der Nacht herausgebimmelt zu werden. Aber, als sie die unglückliche Erna sah, erbarmte sie sich ihrer. Irmingard war zwar noch sehr jung, aber eine Meisterin mit Nadel und Faden, und so nähte sie aus schwarzem Stoff ein wunderschönes Schwänzchen, machte einen Klettverschluß daran und befestigte es an der rechten Stelle.
Erna strahlte. Nun war sie ein vollkommenes Schaf, keiner würde mehr über sie lachen.
Aber ach, kaum war sie zur Herde zurückgekehrt, da schütteten die Wolken Wasserbäche aus. Der dunkle Stoff wurde ganz durchnässt und färbte ab, sodaß jedes Tier, das sich an Erna lehnte, schwarze Streifen bekam. Und es begann ein großes Schimpfen. Es blieb nicht anderes übrig, als das Schwänzchen wieder abzureißen. Bei Erna kullerten die Tränen, sie war wieder nackt.
So machte sie in der nächsten Nacht eine große Wanderung über die Rehkupp Richtung Norden durch ganz Stieghorst bis zu den Heeper Fichten
zum Schwager Georg, der ein meisterlicher Drechsler war. Noch wach arbeitete gerade an einem zierlichen Tisch mit geschwungenen Beinen aus schwarzen Ebenholz. “Oh”, bettelte Erna, habt Erbarmen, schenkt mir eine der Säulchen. Der Tisch kann auch auf drei Beinen stehen, aber ich brauch ganz dringend einen Schwanz. Da ließ sich Georg erweichen, kürzte das kleine Tischbein, machte ein Scharnier daran, damit der Schwanz auch wackeln könne und befestigte das Ganze mit großer Sorgfalt am Fell.

Erna bedankte sich und lief zur Herde zurück. Fröhlich hüpfte sie über die Weiden, nun war sie doch endlich so, wie es sein sollte, und der Hütehund hatte keinen Ärger mehr mit ihr. Aber… eines Tages sprang sie über ein Wildgatter und klemmte mit ihrem Holzschwanz zwischen zwei Latten fest. So sehr sie auch zerrte und zog, sie war gefangen. Jämmerlich blökte sie mäh, määäh, aber auch die anderen konnten ihr nicht helfen. Sie hätte wohl verhungern müssen, wäre nicht ein freundlicher kleiner Biber gekommen und hätte sie mit seinen scharfen Zähnchen freigenagt. Sie war gerettet, aber das Schwänzchen war wieder entzwei.

Ernahaus mit te und schwarz weißSchaf

Einmal werde ich es noch versuchen, jammerte Erna und ging zu einem alten Mütterchen, das in einem kleinen Kotten im Hasenbrink am Rande von Lämershagen wohnte. Die freundliche Frau strickte aus schwarzer Wolle, die sie selbst gesponnen hatte, ein wolliges Schwänzchen und nähte es mit vielen kleinen Stichen fest.
Lange ging es gut. Erna war erwachsen geworden. Doch eines Tages, oh weh, blieb sie an einem Dornenstrauch hängen, ihr Schwanz ribbelte sich gänzlich auf und war nur noch ein wirres Knäuel. Erna fragte das Mütterchen, ob sie ihr wohl einen neuen Schwanz stricken wolle, die aber sagte: “Nein Erna, du siehst, alles hilft nicht. Du bist nun einmal so geboren, Du musst zufrieden sein, so wie Gott Dich geschaffen hat. Auch wenn du ein bisschen anders aussiehst als Deine Brüder und Schwestern, so bist Du deshalb nicht schlechter und mußt darüber auch nicht traurig sein. Du bist eben ein Montagsschaf.
Erna hat sich das gut gemerkt, und wenn wieder einmal einer dumme Witze über sie machen wollte, hat sie einfach fröhlich geblökt und nicht hingehört. Mäh, mäh, määä

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