90 Jahre Gesänge .

90 Jahre Gesänge .

Wie heißt es so schön? “Singe, wem Gesang gegeben,”… und wem nicht, der lasse es lieber bleiben, besonders im “Sängerkrieg”bei Bohlen.

Wenn ich so zurück denke an meine Kindheit, da sang meine Mutter schon mal: “Schlaf Kindchen schlaf, Dein Vater hüt’ die Schaf, Deine Mutter schüttelt’s Bäumelein, fällt herab ein Träumelein” …Und später wurde daraus: “Schlaf Kindchen schlaf, dein Vater ist ein Schaf, die Mutter ist ein Dusseltier, was kann das arme Kind dafür.” Lieber war mir: “Der Mond ist aufgegangen…”da konnte man sich doch was drunter vorstellen.
Nun ja. als ich 9 Jahre war, habe ich mit meiner Mutter im Kaisersaal in Erfurt eine Karnevalsveranstaltung erlebt. Noch heute klingt mir im Ohr, wie ein Mensch schmetterte: “In 50 jahren ist alles vorbei” und irgendwie gruselte mir. Tja, inzwischen bin ich bald 90!
An eine Nachmittagsvorstellung auf der Cyriaksburg kann ich mich auch noch sehr gut erinnern. Da sang ein geschniegelter Sänger voller Insbrunst: “Püppchen, Du bist mein Augenstern, Püppchen, hab dich zum Fressen gern”. Na, was sollte das denn, meine Puppe Gerda liebte ich, die hätte ich nie gefressen.

Meine Oma in Ruhla, die Gomma, spielte Zither und als ich noch klein war, sang sie gern: “Mädel ruck,ruck, ruck an meine grüne Seiheite, ich hab dich gar zu gern, ich kann dich leiheide.” Wo hatte denn meine Großmutter eine grüne Seite?? Was singen die Leute doch nur für einen Quatsch!
“Im Grunewald , im Grunewald ist Holzaktion”. Na, das verstand ich schon besser. Man holte sich mit dem Fuhrwerk aus dem Wald einen nummerierten Klafter Holz selbst ab oder ließ ihn sich bringen. Dann kam zu einem vereinberten Zeitpunkt die Kreissäge, fuhr von Haus zu Haus und zerschnitt die Stämme in 30 cm lange Abschnitte. Nun brauchte man nur noch einen starken Mann, der mit dem Beil die Scheite hackte. Bei meiner Großmutter war das die Ferienarbeit meines Vaters, und ich stapelte das Holz schön ordentlich an der Wand entlang auf. Zum Feueranmachen wurden dann extra kleine Späne geschnitzt. Heute dreht man an der Heizung … und warm ist’s.

Der Stehgeiger im Brunnenraum in Erfurt hatte es mehr mit der Klassik und schmetterte: “und ich hab’ sie doch nur auf die Schulter geküßt” . Was sollte das denn, auf den mir bekannten Frauenspersonen pflegte ein Küblerpullover oder eine Strickjacke auf der Schulter zu sein. Oder: “Die Männer sind alle Verbrecher, ihr Herz ist ein finsteres Loch”. Sollte man sowas vor einem kleinen Kind singen, mir jagte es Angst ein. Verbrecher wurden derzeit mit Martinshorn und Überfallkommando auf dem Anger gejagt, und ich kam mit meiner Mutter oft in Schießereien und höre noch das Gebrüll: “Licht aus, Messer raus, Noske kommt mit Handgranaten!” Das war Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Meine Tante Martha sang gern Lieder aus dem 1.Weltkrieg, etwa: ” … und ich steckt ihm eine Kanckwurst unter heißen Tränen ein, und ich sprach, mein lieber Junge, nun gedenke Du auch mein.”Oder: “Wir sind von flämschen Blut, die Flamen küssen gut, für ein Kommisbrot und einen Franc küssen sie stundenlang.” Ich stellte mir vor, das etwa stundenlange Gutenachtküsse doch recht langweilig wären. Und aus einer Operette: “Wir sind die Mädis, die Mädis, die Mädis von Chantant, wir nehmens mit der Liebe nicht so tragisch.” Zu sochen Mädis gehörte meine Tante bestimmt nicht, sie blieb bis zum Lebensende Jungfer.
Der große Krieg war ja kaum erst zu Ende gegangen und die Auswirkungen lasteten noch schwer auf den Bürgern, und so erinere ich mich ganz besonders auch an ein Lied:
“Schöner Gigelo, armer Gíogelo denke nicht mehr an die Zeiten,
wo du als Husar, goldverschnürt sogar, konntest durch die Straßen reiten.
…schöne Welt du gingst in Fransen, wenn das Herz dir auch bricht,
zeig ein lachendes Gesicht, man zahlt, und du mußt tanzen.”
Das war für mich ganz unvorstellbar. Unter einem Gigolo stellte ich mir so ‘ne Art Hampelmann vor, an dem man unten zieht und er dann eben hampelt. Aber wie kann die Welt in Fransen gehn, Fransen kannte ich nur an unserer runden Eßtischdecke und der Hängelampe darüber.

Mein Vater war ein begeisterter Sänger. Am Sonntag Vormittag hatte er Zeit und begleitete sich dann gern auf dem Klavier. Gar schaurig erklang dann das Weserlied: “Hier hab ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen”, und wenn dann kam: “und unter mir brauset das ferne Wehr und der Weser blitznde Welle”. da krachte beinahe das Klavier ein, so haute mein Vater auf die Tasten. Melancholischer sang er das Lied vom Feinsliebchen mein unterm Rebendach”, und ich stellte mir stets einen Regenschirm vor, unter dem das feine Liebchen hocke. Dann schetterte er “Argonner Wald um Mitternacht”. Er war zwar kein Pionier gewesen, sondern Ballonaufklärer über den feindlichen Linien im Kampf um Verdun. Sein Lieblingsong war allerdings das Wolgalied: “Im Feldquartier auf hartem Stein streck ich die müden Glieder,” und das: “Du hast im Himmel viel Englein bei Dir, schicke doch eihenen herunhunter zu mir,” klang echt sehnsüchtig. Vielleicht dachte er da zwar nicht an die Wolga, sondern an die Schützengräben in Flandern. Zum Abschluß seiner Klaviervorträge sang er dann meist das Lied vom Tom, dem Reimer nach dem Gedicht von Fontane.
Der Reimer Thomas lag am Bach, da sah er eine blonde Frau,
die saß auf einem weißen Roß, und an der Mähne hingen silberfeine Glöckelein. Und wenn dann kam : … “und Thom der Reimer zog den Hut”, dann sagte er “Guten Abend Herr Gesangverein”, und klappte den Klavierdeckel mit Schmackes zu. Wie gut kann ich mich daran erinnern. Und wenn dann meine Mutter rief: “Kannst du mir nicht beim Klößereiben helfen, dann bin ich wieder Kind, ich muß ja gleich die Brotflöckchen rösten.

Die Berliner Lieder von Linke feierten Hochsaison, “die Berliner Luft, Luft, Luft,” und “Schenk mir doch ein kleines bißchen Liebe, Liebe,”ertönte überall. Walter Kollo sang :
“Warte , warte nur ein Weilchen, bald komt Hamann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackbeilchen macht er Schabefleisch aus Dir.”
Dann kam die Zeit der Komödien Harmonisten. sie erfreuten die Welt mit “Veronika, der Lenz ist da” oder “Ich hab dir einen Blumentopf bestellt.” und wir sangen: “Was machst du mit dem Knie lieber Hans beim Tanz.”Oder: “Am Sonntag will mein Liebster mit mir segeln gehn” Inzwischen war ja das Radio erfunden worden. (1923 kostete die Radiogebühr 60 Goldmark bzw. 780 Millonen Papiermark)1926 war der Funkturm in Berlin fertiggestellt worden, und nun brachte der Deutschlandsender das Zeitgeschehen unter die Leute. Als meine Eltern sich das neue Medium anschafften, war es dann doch ein bißchen preiswerter. Unser Radio bestand aus 4 Teilen. Zunächst gabs da einen Kasten mit den Röhren, dann ein etwa schuhkartonartiges Teil mit vielen Löchern. In diese stöpfelte man nun Bananenstecker, um einen Sender zu suchen. Meist hörte man nur Rauschen und Fiepen. Aus dem Lautsprecher, den man mit einem Kopfhörer verband, ertönte dann (vielleicht !!) “Hier ist der Sender Königswusterhausen, se hör’n de Nachrichten.” Aber neben den Liedern hörte ich auch voller Begeistrung Autorennen mit Rosemeier und Caratcciola, was dann nur so in den Ohren heulte. Übrigens war ich 1936 mit meinen Eltern zur Funkausstellung in Berlin. Man konnte die ersten Fernseher bestaunen. Die allgemeine Meinung war: “Son neumodischer Unsinn setzt sich nicht durch, sowas brauchen wir nicht.”
In der Schule sangen wir: “Sah ein Knab’ ein Röslein stehn” wo ich mir anfangs immer ein Rößlein vorstellte, da doch eine Blume nicht stehen konnte. In höheren Klassen sang man dann: “All mein Gedanken, die ich hab, die sind bei Dir.”( In dem Alter gut geeignet.)

Erfurt war Garnisonstadt und jedes Jahr feierte das Reiteregiment auf dem Wilhelmplatz großen Zapfenstreich. Ein Posaunenchor stand auf den Domstufen und spielte: “Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten” und in schnurgeraden Reihen standen die Pferde, ihre Reiter präsentiertem das Gewehr und eine tausendfache Menschenmenge sang aus voller Kehle.
Da hab ich den 86 jährigen alten Mackensen gesehen. in voller Husarenuniform des 1.Leibregimentes stieg er die vielen Stufen zum Dom hinauf, stieß seinen Säbel auf den Boden und sagte: “Diesen Felsen wird er nicht erobern.”
Später habe ich auch einmal auf den Domstufen gesungen. Erfurt ist ja eine Lutherstadt, und so wurde zu Martini stets ein Sternenmarsch veranstaltet, und aus allen Ecken der Stadt kamen Laternenzüge auf dem Domplatz zusammen. Auf den Stufen standen dann ausgewälte Schulklassen und sangen “Eine feste Burg ist unser Gott” und Abertausend stimmten im Licht der Fackeln und Laternen ein. Tja und ich war mit auf den Stufen. Unvergesslich.
Umgedichtet wurde das Lied vom schwarzen Wallfisch . Heißt es doch :
“Im schwarzen Wallfisch zu Asgalon da schlug die Uhr halb vier,
da warf der Wirt zu Asgalon den Juden vor die Tür.” (eigentlich muß es “den Fremden” heißen, aber damals begann schon die Hetze.)
Eben sang ich noch im Kornblümchen (dem Kinderclub des Luisenbundes): “Die Blümelein sie schlafen”, schetterte ich kurze Zeiz später zur “heiligen Verleihung des Knotens” vor einem großen Feuer: “Flamme empor!”
Im BDM war ich in der Spielschar und wir sangen unentwegt bei Hochzeiten. Taufen oder zur Jugendweihe, wenn die Jungen ihren Dolch und die Mädchen ein Kochbuch bekamen. Ganz besonders erinnere ich mich, daß wir ein Konzert in der Semper Oper in Dresden gaben, und hinterher durften wir umsonst einer Aufführung des Prinz von Homburg beiwohnen, wobei ich hingerissen von dem jungen damaligen Star, dem Darsteller des Prinzen, war.
Als Backfisch, so hieß das nun mal damals, hatte ich einen Verehrer. Er nervte mich mit dauernden Anrüfen, und aus dem Hörer schallte : “Hörst du mein heimliches Rufen?” Ja, ja, ich hörte es.
Die Zeit der Kampflieder begann: “Unsre Fahne flattert und voran, unsre Fahne ist die neue Zeit …führt uns in die Ewigkeit … ja die Fahne ist mehr als der Tod.”
Wie heißt es so schön?: “Im tiefen Keller sitzt ich hier bei einem Becher Rebensaft, aber es war Krieg, ich studierte in Leipzig und saß mit einer Freundin in Auerbachs Keller bei einem Glas voll Himbeersaft.” Es hieß: “Bomben, Bomben, Bomben auf Engeland.” Von Bomben auf Deutschland war nicht die Rede.
Als dann die erste Bombe auf Leipzig fiel, war das für die Bewohner eine Sensation, und viele kamen am nächsten Morgen und bestaunten die qualmende Ruine. Am Abend nahm mich ein guter Bekannter mit zu einem Kommerz seiner damals streng verbotenen Verbindung. Wir feierten in einem Weinkeller und sangen aus voller Brust : Gaudeamus igitur iuvenes dum suhumus!”, was ja das Recht der Jugend auf Leben besingt. Kurze Zeit später war mein Begleiter gefallen.
In Geschichte haben wir viel über die Goten gehört, so daß mich dieses Lied besonders beeindruckte:
“Gebt Raum ihr Völker unsrem Schritt, wir sind die letzten Goten.
Wir tragen keine Schätze mit, wir tragen einen Toten.”
Unsere vielen tausende Toten konnten nicht heimgetragen werden.

In allen kriegsführenden Ländern stand Lilli Marlen unter der Laterne und sang sehnsüchtig für Freund und Feind.
Und wenn wir im Grüppchen im Bunker unter dem Kaßberg saßen , zusammengefercht mit ein paar tausend zitternden Menschen, dann grölten wir: “Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord.” Das half ein bißchen, die Angst zu besiegen. Noch immer hieß es: “Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt, denn heute hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.” Nun ja, sie haben es erreicht, und man konnte nur noch singen : “Ach, du lieber Augustin alles ist hin.”.

Dann war der Krieg endlich zu Ende. Unser Haus lag in Trümmern, meine Mutter war im Massengrab verscharrt, mein Vater in Gefangenschaft und mein Freund in den letzten 1o Tagen des Krieges vom Amerikaner als Geißel erschossen worden. Ich wohnte bei meiner Großmutter auf dem Lande, war nun eifrig im Kirchenchor und sang unter Leitung der Frau Pfarrer alte Choräle.
Nun zwitscherte eine Göre “pack die Badehose ein” Dazu mußte man erst einmal eine haben, meine war unter Trümmern verbrannt. Also hab ich mir aus alten Wollresten eine soche selbstgestrickt, und als ich aus dem Wasser kam, war sie 4 Nummern zu groß und schlotterte um mich herum. Peinlich.
Rühmann sang “Lalelu” und “das kann doch einen Seemann nicht erschüttern.” Hans Albers schwärmte von der Reperbahn. Die Deutschen wollten leichte Sachen, Grauen und Heldentum war genug gewesen.

Einmal habe ich im kleinen Kreis mit Klavierbegleitung gesungen: “J’attendrez le jour et la nuit j’attendrez toujour ton retour.” Der Beifall war mäßig, und ich dachte voller Grausen an die Bemerkung einer lieben Mitschülerin: “Du singst doch nur schiefe Töne.” Peng!
Dann kam Amerika mit seinem Jazz, schon während der letzten Kriegsjahre
mit großer Vorsicht ganz heimlich auf geschmuggelten Platten gehört,
und ich schmolz dahin dahin unter Armstrongs “what a wonderful World”. Die Beates eroberten die Welt, und wir tanzten mit unseren kleinen Kindern in Reih und Glied nach den Klängen unseres winzigen Plattenspielers “Lady Madonna” und “Yesterday” singend und rockend durchs Wohnzimmer.
An einen Moment , ein paar jahre später, kann ich mich noch so erinneren, als sei es gestern gewesen. Es war ein strahlender Sommertag, wir waren mit den Kindern auf der Heimfahrt vom Schwimmen. Wir fuhren gemächlich durch eine satt grün geäumte Allee und sangen alle Sechse lauthals: “Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein” und ein ganz strarkes Glücksgefühl durchströmte mich.
Schließlich haben wir nun den Rapp, der mir nicht mehr sonderlich sympatisch ist. Weltverbesserung durch hektisches Gerede und häufig dümmliches Gereime ist keine Musik.
Neulich bei der Syvesterfeier meiner Tochter haben wir alle aus voller Kehle: “Ich war noch niemals in New York” gekreischt, (in Clingen, dem Dorf meiner Ahnen, würde man sagen “gekrischen”).
Und wenn die Enkel meiner Kinder so alt sind, wie ich es jetzt bin, singen sie vielleicht: “Ich war noch niemals auf dem Mond, oder dem Mars oder im Wolkenkuckuksheim. Und nun;
“Guten Abend Herr Gesangsverein!”

p.s. Nanu. Hab ich den Deckel nicht richtig zugeknallt? ich höre ein Stimmchen:”Trink’ mer noch’n Tröpfchen, trink’ mer noch’n Tröpfchen aus dem kleinen Henkeltöpfchen.
Oh Susanna, wie ist das Leben doch so schön!”
Na, denn Prost !!!

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