Mord im blauen Haus.
Mord im blauen Haus ??
( Ein mysteriöser Fall aus dem alten Bielefeld.)
Geheimnisvolle Geschichten ranken sich seit je um diie alte Schenke in der August-Bebelstraße, und die Nachbarn flüstern mit vorgehaltener Hand und schauen auf die schon lange verklebten Fenster des Gasthofes. Was geht da vor ???
Wir gehen zurück in das Jahr 1933.
Die Zeiten sind ruhiger geworden. Die grölenden Protestzüge, die sich vom Kesselbrink her die Kaiserstraße hinaufwälzten und in der Kutscherkneipe zu wilden Handgreiflichkeiten mit blutigen Köpfen und zerschlagenem Mobiliar führten. sind vorbei. Zufrieden schreibt die Volkswacht:
Paul, ein neuer Wirt, hat das blaue Haus mitsamt 12 schönen, alten Bierkrügen angepachtet (allerdings waren’s beim Nachzählen nur 11, einer mußte wohl zerdeppert worden sein). Der Laden, den im vorderen Teil des Hauses die tüchtige Frau Matz geführt hatte, existiert nicht mehr, und der kleine Vorgarten wurde zur Verbreiterung der Straße von der Stadt aufgekauft, sie heißt jetzt Horst Wesel-Straße.
Die größer gewordene Gaststätte trägt nun den Namen “Hohenfelder Hof” und der Wirt, der seinen Gästen im Sommer auch ein kühles Bier im Grünen bieten möchte, ist gerade dabei, hinter dem Haus eine Grube für ein Lindenbäumchen auszuheben, als er plötzlich schreckensbleich aufschreit. Eine Hand strekt sich ihm aus der Tiefe entgegen!!!
Aufgeregt gräbt er weiter. Das ausgebuddelte Gerippe hat noch die verweste Schankschürze um das, was mal Bauch gewesen ist, und am Hosenbund hängt eine Kette mit dem Schlüssel zum Bierkeller.
Der Nachbar, der nebenan gerade seinen Hof kehrt, hört den lauten Schrei und eilt herbei. Auch ihm gruselt. Doch dann erzählt er die alte Geschichte, die man sich im ganzen Viertel immer zugeraunt: “Kurz nachdem das Haus gebaut worden war, hatte zunächst ein Bäckermeister seinen Laden hier gehabt, dann übernahm ein stattlicher Wirt, sie nannten ihn den “Dicken Wilhelm” die Räume und errichtete eine Kneipe für die Fuhrleute, die ihre Pferde hier wechselten. Eines Tages nun, ist dieser mitsamt seinem alten Dobermann und der Kasse auf Nimmerwiedersehn spurlos verschwunden.” Der Nachbar raunt: “Mann, ich sage Dir, das hier ist etwas für die Polizei!”
Und Paul geht zur Polizei. Doch die schließt den Fall kurz ab. Man ist zur Zeit daran interessiert, die Zuchthäuser mit anderen Menchen zu füllen
Die „Volkswacht“ war von den Nazis verboten worden, der Chefredakteur sitzt in Amsterdam im Exil. Jetzt gib’s die „Freie Presse“, und man liest:
„Unfall oder Mord ? Bei Renovierungsarbeiten wurde die Leiche des seit Jahrzehnten vermissten Wirtes vom blauen Hauses in der Horst Wesselstraße, genannt, der dicke Wilhelm, gefunden. Sachdienliche Hinweise erbittet sowohl die Polizei, als auch der Ortsgruppenleiter.“
Der Fall kam zu den Akten, und so vergingen wiederum 70 Jahre. Man schreibt nun das Jahr 2003.
Inzwischen heißt die Horst Wesselstraße, nachdem sie zwischendurch kurz mal wieder des Kaisers Namen tragen durfte, nun August Bebel-Straße.
Es gibt weder die schweren Brauereipferde mehr, die das Bier zum blauen Haus kutschten, noch andere Fuhrwerke, man liefert motorisiert. Der Stall hat ausgedient. Lediglich die Futtertröge und ein altes Kummet erinnern noch an die alten Zeiten.
Der neue Wirt ist sehr einfallsreich. Er engagiert hin und wieder eine Jazz-Kapelle, er arrangiert Ausstellungen und will nun auch im Biergarten seinen Gästen etwas bieten. Seine Idee ist, einen Heizstrahler anzubringen. Also greift er zum Spaten, und wieder passiert etwas Grauenvolles.
Er hebt neben dem großen Torbogen mit der Jahreszahl 189O eine Grube aus, und …. stößt voller Entsetzen auf ein großes Tierskelett in dessen Rippenbogen sich eine alte Bleikugel verfangen hat. Was kann das bedeuten. Ein Reh hätte man sicherlich gebraten aber nicht vergraben, und wer erschießt einen Hund mit einer dicken Bleikugel? Sollte das etwa Joseph sein, der Dobermann vom alten Wilhelm? Natürlch kennt man die traurige Geschichte, die in der Kneipe immer wieder erzählt wird. Der Wirt berichtet dem freundlichen Wachtmeister, der immer im Winter zum Grünkohlessen kommt, von seiner Entdeckung, und der meldet den Fund seinem Polizeirevier.
Und nun wird die Sache interessant. Es ist das Skelett eines großen Hundes, das man gefunden hat, und mit den heutigen Mitteln ließ sich feststellen, daß die Kugel in seinen Rippen aus einer französischen Vorderlader-Pistole abgeschossen worden war, wie sie Offiziere benutzt haben zu der Zeit, als Bielefeld zum Königreich Westfalen gehörte.
So erscheint in der nächsten Ausgabe in der nun aus der Freien Presse hervorgeganenen NW ein großer Aufruf:
Achtung !!
Der Polizeipräsident an die Bevölkerung:
1. Wer hat Kenntnis davon, wo in der Zeit um 1811
französische Offiziere als Einquartierung in
Bielefelder Familien gelebt haben?
2. In wessen Besitz befindet sich eine französische
Offizierspistole?
Bitte melden Sie sich umgehend auf dem Polizeipräsidium,
Abteilung Morddezernat.
Man hat eine Soko zusammengestellt, und Toni Dingerdissen und Alfred Krause mit der Ermittlung betraut. Die beiden sind nicht entzückt.
„Mensch, das ist vielleicht nen Fall.
1890 verschwindet ein Mann mit seinem Hund, spurlos.
1933 wird seine Leiche gefunden, im Hof seines Hauses.
2003 findet man die seines Köters, auch im Hof, und von
1811 stammt die vermutliche Tatwaffe.
“Wie soll man da durchfinden. Da kriegste doch die Kriese! Das wird nie aufgeklärt.” Die Anhörungen beginnen:
Als Erste meldet sich die 75 jährige Anna. Eifrig berichtet sie:
„Meine Urgroßmutter hat 1811 ein Kind geboren, von einem Franzosen, aber ich glaube, der war nur Corporal. Eine Pistole? Nein, wir haben keine Pistole, mein Mann war Bäcker.“
Otto Klein vom Hohen Feld kommt mit einer in Zeitung gewickelten Waffe an.
Es ist eine Walther, eine Signalpistole aus dem Jahre 1943. Vielleicht kann er zu Sylvester damit rote Leuchtkugeln schießen. Für den Fall jedoch ist er eine Niete.
Ein altes Weibchen setzt sich schweratmend auf einen Stuhl, putzt sich dauernd die laufende Nase und rückt nervös an ihrer Brille. Endlich fängt sie leise an zu sprechen:
“Ich bin als Kind mit der jüngsten Tochter vom Meyerhof zur Schule gegangen, und wir haben oft in der Wassermühle Verstecken gespielt, und da hat mir Amalie erzählt, oder hieß sie Amanda?“ Sie stockt … „Nee, nee, jetzt bin ich sicher, Malchen hieß sie, sie erzälte also, daß vor langer Zeit einmal große Aufregung auf dem Hof gewesen sei. Eine ganze Mannschaft Polizei hat die Gebäude durchwühlt, angeblich wurde eine Pistole gesucht. sie haben aber nichts gefunden.“
„Sehr interessant, danke.” und murmelt:” Bringt echt Null, die Alte hat doch Alzheimer.“
Als nächste erscheint Margarethe Künsebeck, 84. „O Gott, wieder so ’ne olle Scharteke, haben wir hier nen Mumientreff?“ „Mensch Toni, sei nich albern, ist doch viel interessanter, als wenn Du den ganzen Tag hinter nem Busch hockst und auf Verkehrssünder wartest.“ Doch dann spitzt Toni die Ohren. Die Künsebeck berichtet:
„Ich kann mich noch gut an Onkel Paul erinnern.“ „Wer ist Onkel Paul?“ Na, der Wirt vom blauen Haus. Mein Vater hat mir oft von dem Spruch erzählt, der auf dem grauen Bierkrug stand, in dem er als Kind für Großvater den Abendtrunk holen mußte und meinte, ist doch Quatsch, mein Alter erhälts doch und nicht der liebe Gott.“„Was bekommt der liebe Gott nicht?“ „Na, Hopfen und Malz.”
Und dann spricht sie von ihrem Großvater. Wie ihr der, noch als der schon 86 war, immer wieder die Franzosengeschichten erzälte. Und daß sein Bruder, der Jungknecht auf dem Gut Meyer zu Heepen war, einmal beim Pflügen eine Pistole gefunden habe. Er hat sie dann im Dachgebälk der Mühle versteckt. Bald darauf ist er dann mit dem Pferdegeschirr tödlich verunglückt.“ „Vielen Dank Frau Künsebeck, sie haben uns sehr geholfen.“
Freundlich öffnet ihr Alfred die Tür. „Na bitte, ist doch ein Anfang.“
Die beiden Polizisten gehen der Aussage nach und hören, daß in der Familie erzählt wird, ein Knecht solle wohl, als die Wassermühle gebaut wurde, eine alte Waffe zwischen den Dachbalken versteckt haben. Fahrende Zimmerleute machten später Umbauarbeiten. Danach sei die Pistole verschwunden gewesen. Eine von Toni veranlasste Hausdurchsuchung verlief dann auch ergebnislos.
Unerwartet kommen die Ermittlungen einen weiteren Schritt voran. Der Geschichtsslehrer der Obertertia des Rats versucht, der hindösenden Klasse die Zeit Napoleons nahezubringen. „Ja , meine jungen Herren, unsere Stadt war kurze Zeit einmal französisch, und Napoleons Bruder, Jerome, der „König Lustig“ herrschte hier. Ein Dragoner-Regiment lag damals in Bielefeld. Auf dem heutigen Kesselbrink exerzierten die Soldaten, und die höheren Ränge waren bei den angesehenen Bürgern der Stadt einquartiert. Vielleicht hat bei einem Eurer Urgroßväter auch einmal ein französischer Offizier gewohnt.
„Mensch, “ fragt der vorwitzige Lorenz einen Deliussproß auf dem Schulhof „Ihr seid doch Urbielefelder, hat denn bei Euch mal son Franzmann gewohnt?
Und so kam es, daß ein paar Tage später die Polizei ein vergilbtes Hausbuch auf dem Tisch liegen hat, alte Notizen der Familie Delius, und darin steht in akkuratem Sütterlin eingetragen:
„3.Mai 1811. Der Stadtkommandant hat angeordnet, daß ein fran- zösischer Offizier bei uns einquartiert werde.“ Und etwas später ist vermerkt: „Sehr peinlicher Vorfall, der Lieutenant-Colonel ist bei einem seiner wilden Ausritte seiner Pistole verlustig geworden. Es ist zu hoffen, daß dies unserer Reputation nicht abträglich sei.“
„Na ja, dann kann sie ja wirklich der Knecht gefunden und in der Mühle versteckt haben. Aber nun wissen wir noch immer nicht, was mit dem Wirt war. Wieso erschießt einer den Hund, und der Mann bricht sich’n Hals?“ Toni unterbricht die Grübeleien seines Kollegen. „Was haben die’n damals eigentlich mit Wilhelm seiner Leiche gemacht?“ Krause zuckt mit den Schultern: „Vielleicht hat ihn son Doktor mal angeguckt, und dann isser vor den Mauern auf dem Armenfriedhof wieder verscharrt worden. Irgendwelche Angehörige oder Freunde hatten sich ja nicht gemeldet.“ „Ja, ja, ich glaub’, der war aus Böhmen.“
„Na, wenn Egon damals schon Gerichtsmediziner gewesen wäre, der hätte ihn sich sicher richtig vorgenommen.“ „Denkste, der hätte allenfalls seine Promille im Blut gemessen, und dann gemeint, er könne im Suff gefallen sein, also ‘n Unfall.“ „Und dann hat er sich selber eingebuddelt !! Du Spinner.“
„Hör mal, der dicke Wilhelm verschwand doch zur gleichen Zeit, als die Zimmerleute bei Meyer zu Heepen die Umbauarbeiten gemacht haben.
Da könnte doch einer, der auf der Walz war, dort mitgearbeitet haben, die Pistole entdeckt und in sein Felleisen gestopft haben und dann verschwunden sein?“ „Mensch, wie willste das nachweisen, nach über 100 Jahren?“
Trotzdem machen sich die beiden Beamten noch einmal auf den Weg zum Heeper Meyer. Und tatsächlich finden sie in den alten Bauakten eine Notiz, welche Firma damals die Zimmerarbeiten ausgeführt hat. Einer der jungen Leute aus der Zunft war aus Sachsen. Leider ergab eine Nachfrage bei der Zimmermannszunft in Dresden keinen Hinweis. Die alten Aufzeichnungen sind bei dem Bombenangriff alle verbrannt.-
„So Alfred, jetzt können wir die Akten eigentlich schließen. Was damals wirklich im blauen Haus geschehen ist, läßt sich wohl nicht mehr aufklären, und selbst, wenn der Staatsanwalt uns hundertmal tritzt, „meine Herren, ich brauche Ergebnisse, wie es ja auch in den Fernsehkrimis immer so schön heißt.“
A propos Fernsehen. Wochen später klönen die „beiden Herren“ an einem freien Abend bei Toni in der Bude. Sie planen für Sonntag einen Familieausflug „Mach mal den Fernseher an, mal sehen wie’s Wetter morgen wird.“ Doch in der Glotze sitzt gerade ein Künstlerkopf und moderiert in der Wiener Hofburg die Sendung „Kunst und Krempel“. Eine wohlsituiert aussehende alte Dame tritt an den Tisch. Die obliogate Frage: „Na, was bringen Sie uns denn da? Oh, ein außerordentlich schönes Stück. Das ist eine alte, reich verzierte Offizierspistole aus der Zeit Napoleons. Gut erhalten, aber nicht mehr funktionsfähig, das Steinschloß wurde unbrauchbar gemacht. Wo haben Sie die denn her?“ “Mein Großvater hat sie mir an meinem 12. Geburtstag geschenkt, weil ich sie immer so bewundert habe. Er hat aber dazu gesagt, ich dürfe sie nur ansehen und nie damit spielen. Nun, mein Vater hat sie mir dann aber gleich weggenommen und wieder versteckt. Denn die Amis verboten ja damals 1945 jeden privaten Waffenbesitz in Wien. Ich habe sie jetzt in seinem Nachlass wieder-gefunden.“ „So, dann halten Sie sie mal schön in Ehren. Aber nanu, was ist denn das? In dem Lauf steckt ja etwas. Der Kunstsachverständige zieht vorsichtig ein altes, vergilbtes Papier hervor. Liest, und meint dann: „Ich glaube, Sie sollten damit zur Polizei gehen.“
Dingerdissen und Krause sind von ihren Stühlen aufgesprungen. „Mann, wir rufen sofort den Sender an!“ Und tatsächlich bekommen sie Namen und Adresse der alten Dame aus Wien. In der Nacht wollen sie nicht stören, aber am nächsten Morgen hängen sie sofort am Telefon. Und dann erreichen sie, daß die Frau ihnen vorliest, was auf dem Zettel steht.
“Mein Leben geht bald zu Ende und ich möchte nicht mit meiner großen Schuld ins Grab gehen. In meiner Jugend war ich unbesonnen, trieb mich viel in der Welt herumdurch und soff gerne mit meinen Kumpanen. Einmal war ich in Westfalen für einen Bau angeheuert. Ich sah im Dachstuhl eine Pistole, die mich so anlächelte, daß ich nicht widerstehen konnte, sie mitzunehmen. Nach Feierabend, obwohl schon viel getrunken, hatte ich noch immer großen Durst, klopfte an die schon verriegelte Schenkentür des blauen Hauses. Der Wirt meinte, einen ehrbaren Gesellen vor sich zu haben, er ließ mich ein und zapfte mir ein Bier. Doch dann wurde ich übermütig, wollte mehr, wollte Geld!! Ich war im Rausch. Der gemütliche, dicke Wirt schien mir kein Gegner zu sein, sein Hund lag friedlich in der Ecke.
Plötzlich kam es zu einer Rangelei und der Wirt schlug rücklings mit dem Genick gegen die Thekenkante und war tot. Der alte Dobermann schoß mit gefletschten Zähnen auf mich zu. Aus Angst, daß sein wütendes Bellen gleich die Nachbarn anlocken würde, ergriff ich einen Krug und schmetterte ihn gegen das Tier, doch der ließ nicht von mir ab. Da zückte ich die Pistole und schoß ihn in die Rippen. Noch ein letztes Jaulen und er lag tot neben seinem Herrn.
In Panik vergrub ich an zwei Stellen im Hof die beiden Leichen. Dem Hund warf er noch den zerschetterten Krug hinterher. Dann entfernte ich sorgfältig alle Spuren und … flüchtete in dunkler Nacht nach Oesterreich. Die Pistole hat mir nur Unglück gebracht. Ich gebe sie daher in die unschuldigen Hände meiner Enkelin und hoffe, daß mir Gott verzeiht.”
Als die Hundegrube wieder zugeschüttet wurde, fand man in der ausgeschaufelten Erde noch einen fein zisilierten Deckel eines Kruges, und an dem Henkel hing ein Stück Ton mit der Aufschrift „Gott erhalt’s
Nun sind die Akten endgültig geschlossen.
p.s. Sollte der nächste Wirt auch einmal im Hof buddeln und einen alten Schweinekopf finden, so wird daraus keine Strafsache werden. Gab es früher doch eine schmale Treppe von der Küche zum Keller, in der ein Metzger die Schweine schlachtete.
p.s.2 Hmm, ist das nun ein Märchen oder ein Krimi??
Mit einem ganz Großen möchte ich sagen:
Es ist Dichtung und Wahrheit!