Die Fehde

Fehde Titel

Was haben doch die braven Leute im Lande geschimpft, als es allerortens noch die Fehde gab.
Es waren einmal zwei Knaben, Ludwig und Otto. Ihr Vater war früh verstorben, und ihr einziger Spielgefährte war der Gustel, der jenseits des Johannisberges in einem schönen Bauernhaus wohnte. Seine Mutter hatte den sechsten Sinn. Sie konnte mit der Wünschelrute gehen; man holte sie, wenn man einen neuen Brunnen graben wollte. Auch ließ man sich von ihr die Warzen besprechen, aber sie konnte auch Verwünschungen aussprechen, und man fürchtete sie.
Als die Knaben ins Mannesalter gekommen waren, wurde aus Ludwig
ein Bischof, und aus Otto ein Graf. Auch Gustel wuchs zu einem
ansehnlichen Mannsbild heran, und die wundersamen Fähigkeiten der
Mutter waren in ihn übergegangen. Sowohl beim Adel als auch beim
Bürgertum war er gleichermaßen geschätzt und gefürchtet.

Damals nun wütete überall im Lande noch die blutige Fehde zwischen den Geschlechtern. Zweifelte jemand daran, von amtswegen zu seinem Recht zu kommen, so verschaffte er sich das höchst selbst. Er erklärte einfach der Stadt, in der sein Gegner wohnte, die Fehde. Dann war er berechtigt, jeden Bürger, der sich außerhalb der Schutzmauern seines Ortes befand, zu überfallen, zu berauben und sich an ihm schadlos zu halten. Dem Ludwig nun war der benachbarte Graf zu Tecklenburg feindlich gesinnt. Und Otto lebte in Unfrieden mit den Edelherren zu Lippe, so daß häufig Streit, Lug und Trug das Land unsicher machten. Dies aber schadete den Händlern und machte ihnen das Leben schwer. Und so nimmt es nicht wunder, daß sogar würdige Kaufherren bald lauthals wie die Marktweiber schimpften.
Als nun Gustel wieder einmal abends im Krug saß, mußte er hören, wie der Höker klagte: »Fünf Jahre habe ich Schilling für Schilling gespart, wollt mich einkaufen in die Gilde, hatte schon einen Fürsprecher, weg. alles geraubt, dieser Hundsfott, dieser unselige, heiliger Georg steh mir bei!«
»Hach, ich glaube dein Patron wird dir da wenig nützen«, warf der Ker­zenmacher ein, »da mußt du dich schon an den Grafen wenden.« Es erhob sich nun ein großes Gemurmel und Geschimpfe. »Mir, wie ist es mir ergangen«, schrie der Schotteler dazwischen, »ich habe meine Pfen­nige zusammengekratzt, habe heute nacht Unterkunft bekommen in der Pilgerherberge in der Hagenbruchstraße, will nach Rom, und nun. nun?? Alles weg! Seien doch sämtliche Edelherren und Grafen ver­flucht, wir Kleinen, wir sollen das mal wieder ausbaden, wie immer, wie immer!«
Wie es nun dem Gustel so möglich war, dem Volk aufs Maul zu schauen, berichtete er das Gehörte sogleich dem Otto. Dieser war empört. Denn wieder einmal hatte der Edelherr zu Lippe eine Schuld zu unrecht gefordert, hatte die Stadt betrogen und unschuldige Bürger beraubt.
Da verbündete sich Graf Otto mit den Nachbarstädten. Man verpflich­tete sich zur Hilfe bei Raubzügen und Brandstiftungen. Und so zog man gemeinsam gegen Simon, den zur Lippe. Nach blutigem Kampfgetümmei wurde dieser gefangengenommen, in einen rohgezimmerten Holzkäfig gesteckt und in den Buchsturm von Osnabrück geworfen.

Fehde Gefangener mit Turm

Dort hat er 6 Jahre schmachten müssen, und nur durch ein hohes Lösegeld kam er endlich wieder frei. Wie aber die vielen Helfer bestrafen, die aus Feigheit, Unwisenheit, Rachsucht und Gemeinheit die Übeltaten mitgetan hatten? Da wußte der Gustel einen guten Rat. Er sagte zum Otto: “Lasse alle herbeirufen, die im Gefolge des Unruhestifters standen, aber auch die, die voller Mißgunst gegen dich waren. sage ihnen, sie sollen sich auf meiner Wiese treffen, sie würden eine gute Belohnung erhalten.” Da ließ Otto einen Aufruf ergehen, auf daß sich alle versammeln sollen. Gustel aber ging in der Nacht auf seine Wiese und verwünschte sie: “Jeder, der meine Wiese betritt, der Böses im Sinne hatte und auf dessen Lippen die Lüge wohnt, der soll auf der Stelle verwandelt werden in einen wilden Stier!« Und als sich am nächsten Tag die Lakeien, die Schmarotzer, die Schleicher und die Gefolgsmänner versammelten, da hatten sie kaum mit einem Fuß die Wiese betreten, da waren alle zu wilden Stieren geworden. Und sie stießen sich gegenseitig mit ihren Hörnern die Leiber ein.
Dies sah die uralte Mutter des Gustel, und mit der Weisheit des Alters suchte sie Frieden. So nahm sie ihre letzte Zauberkraft zusammen und milderte den Fluch.

Bauernhaus mit Bullen

»Nicht wilde Stiere, tumbe, träge Ochsen mögen sie werden, die schuldbeladen die Wiese betreten.” Und so verwandelten die sich wie tolle Bestien einander zerfleischenden Bullen in friedliche Ochsen, die sich nur stumpf anstierten und wiederkäuten».

Die Weide, die dem Johannesberg gegenüber liegt, nannte man fortan die “Ochsenweide”. Heute gehen dort die Menschen spazieren, genießen die friedliche Natur und denken nicht mehr an die Zeiten, in denen es noch die Fehde gab.

Die Bauernkate jedoch, in der Gustel und seine Mutter gewohnt hatten, stand dort, wo heute das Bauernhausmuseum steht. Die Leute besuchen es gern, beschauen sich die schönen Dinge aus alter Zeit und lauschen am Kaminfeuer mit den Kindern den geheimnisvollen Märchen von damals.

Bauernhausmuseumsplatz

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