Im Reiche der Chronossen .(Aschhoffsche Apotheke)
In der Obernstraße stehen sich zwei sehr alte Häuser gegenüber. In dem einen verkauft heute Strunkmann und Meister seine schöne Leinenwäsche. Auf der anderen Seite steht die alte Aschhoffsche Apotheke, in der Dr. Oetker seine Versuche machte, rote Funken und grünes Feuer sprühen ließ und endlich das Backpüver erfand. Man nimmt an, daß es das älteste Haus Bielefelds sei. Beide Bauten haben prächtige Türen. Sie sind fest gefügt aus starkem Holze und reich verziert mit den Wappen der Familien.
Doch von der Aschhoffschen Tür geht Seltsames aus. Fragt man danach, geht ein Flüstern und Raunen umher. Nannte man sie früher doch die “porta inferna”, was soviel heißen sollte wie “die Pforte zur Hölle”. Wer in der Walpurgisnacht durch sie ins Haus hineinging, kam nie wieder heraus, ward nie mehr gesehen war verschwunden in geheimen Gängen. Und als noch vor Jahren der Leierkastenmann durch die Stadt ging, sang er, wenn er vor dem Haus stand mit schauriger Stimme:
“Dort unten in den Gossen, da hausen die Chronossen,
sie ziehen Dich hinab lebendig in das Grab.
Drum Menschlein rat ich Dir, geh’ nicht durch diese Tür!”
Als nun im vorigen Jahr das alte Haus an einen GeschäftsÂÂmann verkauft wurde und der es von Grund auf umbauen wollte, da gruben die Arbeiter auch im Kellergewölbe und fanden da einen mächtigen, alten Kamin. Einer der Maurer, Paul, ein kräftiger, junger Geselle, hatte schon als kleiner Bub von den unheimlichen Gerüchten um diesen Ort gehört, und es trieb ihn die Neugier.
Es war die Nacht vor dem l.Mai. Ob sich die Hexen schon rüsteten zum Ritt auf den Bocksberg? Die Türen waren gewalpert, das heißt, es hingen Birkenbüschel an ihnen, um die teuflischen Weiber abzuwehren.
Als der Geselle um Mitternacht vor der Türe stand, schien sie ihm zu erzittern, wollte sie ihn warnen?.
Aber seine Wißbegier war größer, also faßte er Mut, schlich ins Haus und stieg in den Keller hinab.
Doch kaum war der letzte Glockenschlag vom Altstädter Kirchturm verklungen, da schienen unsichtbare Hände die schweren Steinblöcke neben dem Kamin zu verÂÂÂrücken, ein enger Einstieg in einen langen, dunklen Gang öffnete sich, und es deuchte Paul, er werde hineinÂÂgezogen und geschoben. Ein Gewirr unterirdischer Gänge breitete sich vor ihm aus. Plötzlich wurde ihm ganz sonderbar. Er spürte sich selbst nicht mehr. Da war nicht mehr oben und unten, nicht mehr rechts und links, nicht mehr vor und zurück, er war dem Raume entrückt, war eingetaucht in die vierte Dimension. Die Chronossen, die Zeitgeister hatten ihn in ihrem Banne.
Vorsichtig tastete er sich weiter in einem der finsteren, modrigen Gänge. Eine Ratte quitschte laut, als er auf ihren Schwanz trat. Auf einmal meinte er, Stimmen zu hören.
Ein Mann mit schwarzem Hut und weißer Armbinde stritt sich erregt mit einem Offizier um die Herausgabe von Koppeln und Seitengewehren für die Bürgerwehr. Man schrieb das Jahr 1830, und Paul befand sich unter dem Waldhof, der zu dieser Zeit als Zeughaus diente. Nun kam eine ganze Rattenfamilie auf ihn zugeschossen und er gab einen Schreckenslaut von sich. Sogleich entdeckten ihn die beiden Männer. Da er aber kein Soldat und auch kein Mann der Bürgerwehr war, hielten die beiden ihn für einen Aufrührer oder einen Spion und wollten ihn sogleich verhaften.
Doch plötzlich wurden sie umkreist von einer Schar Männer angetan mit braunen Kutten, die tief ins Gebet versunken waren. Vor beinahe 500 Jahren hatten Franziskanermönche den Waldhof als Domizil erkoren, um von da aus ein neues Kloster zu erbauen.
Doch plötzlich wurden sie umkreist von einer Schar Männer angetan mit braunen Kutten, die tief ins Gebet versunken waren.
Vor beinahe 500 Jahren hatten Franziskanermönche den Waldhof als Domizil erkoren, um von da aus ein neues Kloster zu erbauen.
Die Chronossen kicherten, sie hatten die Jahrhunderte schön durcheinander gebracht. Gerade wollten die Mönche dem Jüngling eine Schaufel in die Hand drücken, damit er zum Lobe Gottes sich am Ausschachten der Grube für das Kloster beteiligten, da wirbelten die Zeitgeister noch einmal ihre Sanduhren kräftig durcheinander und ein tausendjähriger, wütender Bauer schrie: “Auf meinem Land wird nicht von Fremden herumgegraben!” Es war Theoderich, dem das ganze Feld um den Waldhof herum gehörte. Da kam Wilpurga, sein altes Mütterlein hinzu:” Tiedi, du hast nicht Weib noch Kind, stelle das Land unter den Schutz der Kirche. Du siehst, Feinde werden kommen, Dir das Deine zu entreißen. Lasse Dir lieber jährlich ein Hemd, einen Schinken und ein Malter Käuse für mich geben.
Doch Tiedi schwang wie wild einen Knüppel. Paul wurde geÂÂtroffen. Er wollte entfliehen, doch es gab keinen RückÂÂweg, es gab ja die ganze Stadt Bielefeld noch nicht. Im Stürzen nun aber war er auf sein Funkgerät gefallen. Er hatte es vorsorglich in die Hosentasche gesteckt. So hörÂÂte sein Freund, wie Paul, eine Amateurfunker, plötzlich aus dem Äther ertönen: “Hilfe, Hilfe, schlag mich nicht tot, ich will deinen Waldhof doch garnicht rauben!” Er erkannte Pauls Stimme und allarmierte sofort die Polizei. Die rückten sogleich mit einer Streife an und durchsuchÂÂÂten Haus und Hof – vergebens. Die Bewohner waren brave Leute und empörten sich über den Polizeieinsatz. Auch der Keller schien völlig unverdächtig. Doch auf einmal meinÂÂÂten sie hinter einer Wand ein Stöhnen vernommen zu haben. Mit einer Spitzhacke rissen sie die Mauer auf und fanden zu ihrer größten Überraschung einen Gang und auf dem BoÂÂÂden einen Menschen liegen. Es war Paul. Ein loser Stein aus dem Gewölbe hatte ihn am Kopf verletzt, als er vom Kamin aus durch das Dunkel getappt war. Die Polizisten entdeckten auch eine Abzweigung, die direkt zur Sparrenburg führte, wahrscheinlich ein Fluchtweg der Grafen, oder umgekehrt, eine Möglichkeit für die Bürger, sich in der Burg in Sicherheit zu bringen.
Paul wurde ins Krankenhaus gefahren und versorgt. Aber seltsam, er war ja wirklich aus der Tür, durch die er hineingegangen war n i c h t wieder herausgekommen.
Sollten alte Sprüche doch nicht nur Märchen sein?