Cl. Höllenfahrt durchs Grass.
Wie viele seiner Landsleute zuckelte der Fuhrmann Adam gemächlich mit seinem Einspänner und einer hohen Fuhre Korn von Clingen nach Nordhausen zur Schnapsfafrik. Es war gutes Korn, was hier am Ausläufer der Hainleite wuchs, und der Branntwein daraus war weit berühmt und begehrt. Das Wetter war gut, das Pferd kannte den Weg, und Adam döste so vor sich hin.
Doch der Weg führte durch das wilde “Geschling”, das unheimlichen “Grass”. Wahrlich, in diesem Waldstück kurz vor Sondershausen hausten sonderliche Wesen. In der Urzeit stapften Auerochsen und , die dem Donar heiligen Eber durchs Dickicht, jetzt machen Wölfe und Bären die Gegend gefährlich. Aber es ist auch das Reich der Räuber und Halunken.
Adam hatte keine Angst. Sein Ahn hatte ihm gesagt: “Du mußt Dich ganz groß machen und laut schreien, dann bricht der Bär seinen Angriff ab.” Und daran hielt er sich. Auch vor Räubern fürchtete er sich nicht, hatte er doch einen Knüppel und Max, seinen Dackel, bei sich, und der biß sich sofort an jedem fremden Hosenbein fest.
Als er nun fröhlich und mit wohlgefüllter Geldkatze auf dem Heimweg war, stieg er im Schutz des Waldes ab, um sich kurz zu erleichtern. Da hörte er auf einmal ein unheimliches Geräusch. Es war ein lautes angriffslustiges Gröhlen, und er erschauderte. Es krachte und raschelte, und das Gröhlen kam näher. Da sah er den Bär. Riesengroß richtete der sich vor Adam auf, und dieser war garnicht imstande sich auch “groß” zu machen, er war ein kleiner schmächtiger Kerl, der zitternd vor Angst immer mehr schrumpfte.
Doch auf einmal drehte das Tier ab und trollte sich ins Dickicht. War ihm der Happen zu gering?
Adam fuhr weiter. Doch als er da angekommen war, wo der Weg nach Ebeleben abzweigt, stürzten sich plötzlich fünf vermummte Gesellen mit lautem Geschrei auf ihn: “Geld oder Leben” forderten sie und drohten mit langen Heugabeln ihn aufzuspießen. Und wieder geriet Adam in Todesangst. Sein Knüppel nützte ihm garnichts, die Kerle waren gefährlich. In seiner Not ergriff er die Flasche Nordhäüser, die er sich aus der Fabrik mitgebracht hatte, warf sie den Kerlen zu, und diese zogen johlend ab.
“Ach, würde ich doch endlich den Kirchturm von Clingen auftauchen sehen” dachte er gerade, da krabbelte auf einmal aus einer Erdhöhle eine seltsame Gestalt heraus. Barfüßig und mit einem Ledenschurz bekleidet schritt der Mensch auf ihn zu und sang. Es war der Wanderprediger Gustav Nagel, der ihn bekehren wollte. Aber, wie war das möglich, der trabte doch erst 300 jahre später durch Wald und Feld. Doch Gustav schritt hartnäckig neben dem Wagen her und wollte Adam zum Verzicht auf
Fleisch überreden. Da gab dieser ihm eine dicke Scheibe der guten Zungenwurst und Gustav Nagel trollte sich.
Adam war nun aber im Kopf so wirr geworden, daß er sein Pferd zu einem wilden Trab über Stock und Stein antrieb. Und so kam, was kommen mußte, er übersah einen quer über dem Weg liegenden dicken Ast, und .. . sein Wagen kippte. die Achse brach, Max hatte sich sein linkes Ohr abgequetscht und lahmte. Schon meint er die wüsten Drohungen der zurückkommenden Banditen zu hören. Und brach da nicht auch der Bär gefolgt von seiner Frau wieder durchs Gebüsch? Auch Gustav Nagel tänzelte erneut vor ihm her und zog Grimassen. Da packte Adam voller Verzweiflung seinen Max schnell in einen Sack, buckete ihn auf, setzte sich aufs Pferd und galoppierte davon. In der Nähe wußte er eine Jagdhütte des Fürsten. Dort versteckte er sich im Pferdestall. Was nun????
Tja, was meint Ihr. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und rief den ADAC. Schon nach 10 Minuten landete ein Hubschrauber auf der Wiese und transportierte ihn wohlbehalten heim. Sein Pferd fand den Weg allein und wurde mit einer großen Portion Hafer belohnt.
Am Morgen saß Max vor seinem Bett und bellte ein “Guten Morgen”. Sein Bein war gesund, und auch sein Ohr war ganz heil. Es war alles in Ordnung, selbst der Jubiläums-Doppelkorn lag noch wohlbehalten auf dem Rücksitz. Lediglich der linke Kotflügel von Adams Auto hatte einen Kratzer. Es schien, als habe er beim Heimkehren am gestrigen Abend die Toreinfahrt zum Hof leider etwas verfehlt .
Was war gewesen?
Adam hatte in letzter Zeit viel in seiner Vergangenheit geforscht. Dabei traf er auf seinen Urahn, der auch Adam geheißen hatte, und der Fuhrmann gewesen war. So hatte es ihn gelockt, auf dessen Spuren einmal nach Nordhausen zu fahren. In der Schnapsfabrik nahm er sich eine Flasche Jubiläums-Doppelkorn mit. Und auf dem Rückweg machte er Pause auf dem bekannten Possen. Dort hatte er die Bären im Zwinger bewundert, war auf den hohen Fachwerkturm gestiegen und hatte rings ins Land geschaut.
Schließlich hatte er dann mit dem Förster in der Wirtsstube etliche Runden Nordhäuser getrunken, und dabei hatte der Alte ihm so manches Gruselige erzählt. Es scheint, als ob nicht nur Wilhelmine, die fürstliche Schwester, die das alte Jagdschloß “auf dem Vogelgesang” kurz mal in “zum Possen” umbenannte, mit den Leuten ihre Posssen getrieben habe.
Die letzte Runde mit dem Förster schien doch eine zuviel gewesen zu sein.