Das silberne Huhn.

Auf einem einsamen Hügel nahe dem Moorbachtal im Himmelreich liegt die kleine Kate des alten Hemkentokrax. Jahrzehnte lang war „Krax“, wie sie ihn nannten, Lehrer für alte Sprachen am Rats gewesen. Dann hatte er sich nach seiner Pensionierung in das vom Vater ererbte Häuschen zurückgezogen. Seine Frau hatte er früh verloren, und Kindersegen war dem Paar nicht vergönnt gewesen, aber allein lebte der alte Mann doch nicht. Da waren Hermann und Ede, die beiden Goldfische, es gesellte sich Leo, der Kater hinzu, der immer auf der Sessellehne hockte und am liebsten die Fische geangelt hätte. Aus Barcelona hatte eine Urlauberin einen Welpen mitgebracht, der gerade noch dem Hundefänger von der Schippe gesprungen war. Obwohl ein Migrant, hatte sich das arme Tier, ein Cocker mit Dackelbeinen, zwar bestens emigriert, doch leider duldete der Vermieter der Urlauberin das Halten von Hunden in seinem Haus nicht, und so war Hutzel zu Krax gekommen. Nicht vergessen darf man nun noch die 4 Hühner, die in einem kleinen selbstgebauten Stall in der Hofecke wohnten. Mutter Trude, ein braunes Bielefelder Kennhuhn, hatte alle drei Töchter selbst ausgebrütet. Grete war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Bei den beiden anderen muß sie fremdgegangen sein, denn die rabenschwarze Nora hatte offenbar einen Kastillianer zum Vater gehabt und Blanka war ein schlohweißes Leghorn. Sie war die Schönste und des Alten Liebling.

Silb

Manchmal ärgerte die Katze den Hund, und der wiederum scheuchte die Hühner durcheinander, aber die meiste Zeit lebten sie friedlich mit einander zusammen mit dem Alten.
Hatte dieser nun früher seine Schüler in die Sprache der Römer und Griechen eingeführt, so unterhielt er sich jetzt mit den Tieren. Und mit feinem Gespür verstand er, daß sie ihm antworteten, ein jedes auf seine Art. Er lernte die Sprache der Tiere. Er bemerkte, daß Miau oder Wauwau stets anders klang, und selbst das Gegacker der Hühner konnte er langsam deuten. Besonders mit Blanca verstand er sich gut. Wenn es einem seiner Schützlinge schlecht ging, hörte man ihn schaurig klagen, und die Kinder gruselten sich vor ihm.

So gingen die Tage und die Jahre dahin. Um seine große Familie satt zu machen, verbrauchte er viele Thaler. Wiskat und Pal wurden immer teurer, und die Fische und die Hühner konnten auch nicht nur von Fliegen und Regenwürmern leben. Sein Sparsäckel schrumpfte mehr und mehr. Da passierte es, daß eines nachts der Blitz in den Hühnerstall einschlug und das ganze Häuschen abbrannte. Zum Glück konnten sich Trude und ihre Töchter retten. Sie hockten fortan des nachts in der Küche, denn um den Stall wieder aufzubauen, fehlten dem Alten die Gelder. Doch dann kam es ganz schlimm. Das Dach des Kottens wurde schadhaft, und es regtnete hinein. Die Sorge war groß.

Sibern Huhn Stammtisch endgültig

 

Derweil saßen die Theesener Bürger im Pickertkrug beim Bier sagten:
„Der alte Trottel soll doch seine Viecher abschaffen, wo er doch selbst kaum was zum Kauen hat.“ „Wenn er überhaupt noch kauen kann“, warf ein anderer gehässig ein. „Soll doch seinen Hühnern den Hals umdrehen, dann hat er wenigstens noch ein kräftiges Süppchen.“ „Seine Bude ist auch am Zerfallen, der braucht kein Bad, der hat ne Dusche in der Küche,“ meinte ein Dritter und grinste schief. „Warum hockt er noch hier rum und erschreckt unsere Kinder mit seinem Gejaule, soll doch ins Altersheim ziehen, der Depp.“ Und so hatten alle kein freundliches Wort für den alten Lehrer.
Über der Wirtshaustür hatte eine Schwalbe ihr Nest. Sie hatte alles mitgehört und flog nun schnell zu Blanka und berichtete ihr aufgeregt von dem bösen Gerede der Zecher. Auch Krax kam zu Ohren, wie man über ihn redete. Er merkte, wie bedrückt seine Tierfamilie war und tröstete sie: „Meine lieben Freunde, habt keine Angst, ich bleibe bei Euch, lieber hungere ich mit Euch, als daß ich Euch im Stich lasse.“

Da berieten sich die Tiere miteinander: „Wenn er so treu zu und hält, müssen wir versuchen ihm zu helfen. Leo schlug vor, Tag und Nacht auf Mäusejagd zu gehen, aber Hutzel mochte keine Mäuse, und die Fische und Krax würden sie noch viel weniger mögen. Hutzel überlegte, ob er nicht hin und wieder beim Fleischer eine Wurst klauen könne, aber der hatte einen scharfen Dobermann, den man unbedingt respektieren mußte. Den Fischen aber fiel garnichts ein.

Da hüpfte Blanka in der nächsten Nacht in die Kammer des Alten und fing an zu gackern: „Kraks steh auf, wir müssen etwas unternehmen.“ Diieser verstand, daß das Huhn etwas wollte, und so folgte er ihm. Der Mond schien hell, und sie gingen den Hasenpatt entlang, vorbei an der großen Eiche, vorbei an dem Zauberbaum, bis sie die versteckte alte Kate des Kräuterhexleins fanden.

Hasenpatt dunkel mit krax Uhu

Das Weiblein hörte sich die traurige Geschichte an, kräuselte ihre krumme Nase, zwickte sich am Ohrläppchen und flüsterte endlich: „Ich will versuchen, Euch zu helfen.“ Sie ging hinaus in den Garten und brach viele kleine Stückchen von den Mondstrahlen ab. Die tat sie in einen großen Topf und kochte sie mit Schlagsahne zu einer dicken Soße. Als diese abgekühlt war, streute sie noch eine Priese Silberdistel hinzu, rundete das Ganze mit drei Tropfen Uhu ab und bestrich damit Blankas Gefieder. Dann war sie plötzlich verschwunden.

Kräuterhexe mit Uhu

 

Am anderen Morgen, als Krax in die Küche schaute, wo seine Hühner wie immer auf der Handtuchstange hockten, traute er seinen Augen nicht. Blanka erstrahlte in reinstem Silber. Und wie er so stand und staunte, plusterte sie sich, macht „gaaak, gaaak“ und legte ein silbernes Ei.
Nun war alle Not vorbei. Das Häuschen wurde repariert, ein neuer Hühnerstall gebaut, Hutzel bekam eine Extraportion Leckerli und Leo eine Spielmaus. Blanka und Krax aber saßen zusammen am Küchentisch und verstanden sich prächtig. Und jede Woche am Sonnabend legte Blamka fortan ein silbernes Ei.

Gaaak Gaaak

p.s. Wenn Ihr dann auch sonnabends bei Jibi einkaufen geht, und die Kassiererin Euch als Wechselgeld ein silbernes Ei herausgibt, dann wißt Ihr, daß auch Krax sich gerade mit seinem Wochenbedarf eingedeckt hatte.

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