Cl, Das smaragdgrüne Freifräulein. Jagdschloß Clingen

 

Freifräulein Titel

Jedes ordentliche Schloß hat auch ein ordentliches Schloßgespenst. Meist ist das eine weiße Frau. Ich kenne eines, da geistert ein Fräulein umher, und das ist grün. Es ist das smaragdgrüne Freifräulein.
Es war einmal vor vielen hundert Jahren, da hatte der König dem Grafen von Sondershausen ein Burglehen in Clingen gewährt. Und nicht weit hinter dem ehemaligen Schafstall des Gutes, da, wo der Schloßteich lag , in dessen klaren Wassern sich die alten Weiden des Inselchens spiegelten, und über dem die Libellern wie kleine Elfen ihren Tanz aufführten, dort eben, in friedlicher Stille, stand das kleine burgähnliche Jagdschloß.

Nicht nur der Graf, der ein leidenschaftlicher Waidmann war, wohnte oft und gerne unter dem Dach mit den zierlichen Zinnen, auch seine Tochter, das Freifräulein Amalia begleitete häufig ihren Vater. Hatte der doch unterhalb des Hengstberges, da, wo der Sage nach in Urzeiten eine Herde heiliger, weißer Hengste wohnte, eine große Koppel zu eigen, auf der die prächtigsten Rosse weideten, keine schweren Ackergäule zur Arbeit vor dem Pflug, sondern elegante, rassige Tiere mit schlanken Fesseln und sanften Nüstern. Das junge Edelfräulein liebte sie alle, doch zwei von ihnen waren ihre besonderen Freunde, die schöne Rotfuchsstute, die man ihrer samtenen Augen wegen “Samanta” genannt hatte und ein feurig-stolzer Hengst, der Apfelschimmel “Hektor”. Mal auf dem Rücken des einen, mal auf dem des anderen Pferdes durchstreifte sie die Felder und Auen zwischen dem Groll und dem Graß, bedächtig schlendernd oder im wilden Galopp, kein Bach zu breit, kein Gatter zu hoch, und die silber-beschlagenen Hufe funkelten in der Sonne. Dann konnte sie stundenlang an einem Waldrain liegen, den Wolken und den Schmetterlingen nach-schauen und träumen. Sie mochte das zarte Grün der Linden im Mai, das sattte Grün der Wiesen im Sommer und das algenschimmernde Wasser im Teich.

 

Henstberg

Hengstberg.

Im Schlößchen nun lebten neben ihr und dem Vater, Amalias Mutter war früh von der Pest dahingerafft worden, noch eine alte Magd, der Pferdejunge, die dicke Köchin und die Hausdame Hadrun. Diese aber war ein neidisches, zänkisches Weib. Mißmutig geiferte sie mit den Dienstboten, und schmeichelnd suchte sie die Nähe des Grafen, wobei ihr die Tochter im Wege stand. Heimtückisch sann sie, dieser zu schaden.

Amalia hatte von frühester Kindheit an einen Freund. Das war der alte Bruno, der Schäfer. So oft sie konnte, trippelte sie durch die Vikariengasse über den Markt zu dem Häuschen in der Langen Gasse.

 

Freirau Vikariengasse

All ihre Freuden und Kümmernisse vertraute sie dem gutmütigen Gesellen an, der kaute genüßlich seinen Priem und ließ sie auf seinen Knieen Hoppe-Reiter spielen. Aber die Dörfler raunten, er habe das zweite Gesicht, und er könne sich in ein Schaf verwandeln. Der treue Bruno beschützte das Kind, sein „Mälchen, das Seelchen“ und hielt Augen und Ohren offen, denn er war voller Mißtrauen gegen Hadrun.

fREIFRAU bRUNO MIT hERDE

Jahre vergingen. Da kündigte sich Böses an.
Es war ein Spätsommertag. Die Luft hatte flirrend über den goldenen Ährenfeldern gestanden, und die Schwüle der Nacht vertrieb den Schlaf. Da schien dem Freifräulein vor dem Fenster ihres Schlafgemaches im Turmzimmer auf einmal die Gestalt Brunos zu schweben. Seine Augen waren schlohweiß, und seine Stimme zitterte:

„Mälchen, mein Seelchen, schlaf nicht im Turm,
es dräuet gewaltiger Wettersturm.“

Amalia aber wollte die mahnende Worte des Alten nicht hören, und dachte: „ich bin doch kein Hasenfuß, der vor dem Donner ins Mauseloch kriecht.“ Doch es geschah, wie er es gesehen. Es war noch nicht heller Tag, da riß ein gewaltiger Gewittersturm die Zinnen vom Dach. Gerade noch konnte Aamalia die schmale Treppe hinunterstürzen, da traf ein Blitzstrahl den Turm, auf daß die Flammen hell zum Himmel loderten.

Das Jahr ging dahin. Nun verschleierte der Herbst die Stoppelfelder mit dichten Nebelschwaden, und leise pflückte nachts der Wind die Blätter von den Bäumen. Wieder einmal waren alle zur fröhlichen Jagdgesellschaft im Schlößchen versammelt. Die Herren waren schon voll des köstlichen Clingeschen Weines. Amalia hockte bei ihren Lieblingen im Stall, ihnen “Gute Nacht” zu sagen. Sie kraulte ihnen die Mähnen, und die Tiere stubsten ihr warmes, weiches Maul an ihre Wangen. Da stand auf einmal die Schafherde ohne ihren Hirten vor dem Pferdestall. Das Mädchen hörte ein leises Määäaaa, und dann schien Bruno zu flüstern:

Mälchen, mein Seelchen, es drohet Gefahr,
die Rösser gebärden sich sonderbar.

Verwundert, weil sie niemanden sah, wisperte Amalie zurück: „Laß Deine Unkensprüche. Geh schlafen.“
Im Morgengrauen war’s, da befahl Hadrun dem Pferdejungen Samanta und Hektor zum Schmied zu bringen, damit der ihnen die Silberbögen von den Hufen reiße, und in diebischer Habgier raffte sie das edle Metall an sich. Die Pferde aber stürzten beim nächsten Ritt und brachen sich den Hals.

Dann kam der Winter. Am Abend vor dem Dreikönigstag blies der Graf ein Halali zur Treibjagd. Er hatte auch seine Tochter zum Mitkommen aufgefordert, um sie aus ihrer Trauer zu reißen, in die sie seit dem Tode ihrer geliebten Pferde gefallen war, und so war sie dem Vater gefolgt.
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Im Schloß gab es viele Kunstwerke. Der Graf war reich und hatte vergoldete Waffen, herrlliche Porzellane und wertvolle Uhren in seiner Sammlung. Das Kostbarste aber war eine kleine Figur, die man im Kyffhäuserberg gefunden hatte, und die jetzt in Amalias Schlaf-gemach stand, es war der Püster.
Jeden Abend tat die Köchin ein kleines Sträußchen wohlriechende Kräuter in seinen Bauch, und der Dampf gab guten Schlaf und klaren Geist.

 

Püster 2

Und wieder hörte Amalia plötzlich Brunos warnende Stimme:

Mälchen, mein Seelchen, es ist große Not,
des Püsters Atem bringt Dir den Tod.

Verzweifelt bat er seinen Schützling, eine andere Schlafstatt aufzusuchen, doch Amalia lächelte: “Habt Ihr euch wieder versteckt? Ich bitte Euch, haltet ein mit dem trüben Nornengeraune, es wird mir keiner ein Leides tun. Ich werde einen guten Schlaf brauchen, denn morgen zur Jagd wird es einen langen, lauten Tag geben. Nun gehet und leget auch Euch nieder.“ Da ging der treue Alte mit einem langen Blick voller Wehmut, als wolle sie Abschied nehmen von dem Grafenkind, das er seit Kindesbeinen liebte wie sein eignes Kind.
Früh fiel die Nacht ein. Doch keinen erquickenden Schlaf brachten des Püsters Wölkchen. Gift strömte aus seinem Munde, und eine lähmende Schwere erfaßte des Freifräuleins Glieder. Die bitterböse Hadrun hatte den Püster mit drei gestoßenen Fingerhutblättern gefüttert und einen Fluch hineingewünscht. Unheimliches Pfeifen erfüllte den Raum. Amalias Herz wurde müde, sie erstarrte und schrumpfte und schrumpfte und schrumpfte bis sie so klein wie eine schier leblos verpuppte Raupe geworden war. Ein böiger Wind wehte sie aus dem offenen Fenster hinaus in den Teich.
Dort schlief sie, bis die wärmende Sonne des Frühjahres ihren Panzer zerbarst und sie als wunderschöne, grünschimmernde Libelle über dem Wasser schwebte. An jedem Dreikönigstag aber verwandelte sie sich zurück in ihre menschliche Gestalt. Umgeben von einem smaragdgrünem Schein geistert sie durchs Schlößchen und sucht Bruno.

 

mAKORDES 2

Bruno ist gestorben, das Schlößchen ist verfalleni, der Teich ist zugeschüttet, aber das smaragdgrüne Freifräulein schwebt noch an jedem Dreikönigstag durch Clingen. Dann
steht sie auf dem Markt vor dem Haus des Schmiedes, schaut zu Samanda und Hektor, den beiden Pferdeköpfen, die am gleichen Tag ihrer Verzauberung aus der Hauswand gewachsen waren. Sie streichelt ihre steinernen Nüster und weint. Und ihre Tränen verwandeln sich in kleine, grünschimmernde Perlen, die man am nächsten Morgen auf dem Pflaster des Marktes finden kann.
Und der Püster? Der steht im Schloßmuseum von Sondershausen
als einer der ganz Seltenen und Schönsten in ganz Europa.

 

Freifrau Schloßreste

Die Reste des Jagdschlosses mit dem Schloßteich.

1 Kommentar zu „Cl, Das smaragdgrüne Freifräulein. Jagdschloß Clingen“

  • Haltenhof Helga:

    Ich finde Ihre Aufzeichungen und Bilder sehr schön. Ich selbst kenne die Gebäude und einige Geschichten und freuemich, dass sie jemand für unsere Enkel und Urenkel aufgeschrieben hat. Danke. Ich habe auch das Buch “Zuflucht ” gelesen und gekauft . Dabei kamen mir die erzählten Geschehnisse wieder ins Gedächnis. Helga Haltenhof

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