Das Zwölfchen (Wie der botanische Garten entstand,)
Direkt unterhalb des kahlen Berges war das Reich des Elfenfürsten Bota. Er hatte viele Kinder und hütete alle mit väterlichem Stolz. Eines abends nun sah er eine Mutter mit ihren 11 Töchtern am Waldesrand spazieren gehen, und er war berauscht von diesem Anblick, denn diese Mädchen waren die lieblichsten Geschöpfe, die seine Augen bis zur Stunde erblickt hatten. Als sie am nächsten Abend wieder erschienen, um Beeren zu sammeln, wallte dem Elfenfürsten vor Wonne das Blut, so war sein Herz und sein Sinn verzückt.
Als die Mädchen nun aber zum drittenmal den Waldweg kreuzten, und jauchzend nach Schmetterlingen haschten, die meinte er, diese elf seien bezaubernder als alle seine Elfen, und er pirschte sich leise heran. “Frau,” sagte er, “wollt ihr mir nicht eine eurer Töchter schenken, ich will es auch reichlich lohnen.” Doch die Mutter war empört und verwies den Elfenfürsten gar strenge: “Bin ich eine Krämerin, soll ich mit meinem eigenen Fleisch und Blut Handel treiben? Schert Euch von dannen!” Der so Zurückgewiesene war traurig. So sehr begehrte er ein schönes Kind von dieser Frau. Und so begann er, um sie zu buhlen.Er überschüttete sie mit Geschenken und schönen Reden. Er bot ihr feinen Nektarwein und köstlichen Rosensalat, er verwandelte sich in einen Pirol und sang für sie alte Elfenweisen, oder er hüpfte zu ihrer Belustigung als Spatz herum und machte kecke Sprüche. Die Frau, die als arme Witwe nur mühselig ihre Kinder ernähren konnte, erhörte endlich den Freier. Sie öffnete ihm ihre Türe, und noch ehe ein Jahr vergangen war, gebar sie ihm ein kleines Mädchen, das sie “das Zwölfchen” nannte.
Das Zwölfchen hatte die Zartheit und die Sanftmut einer Elfe und die Seele eines Menschenkindes. Sie war etwas ganz Besonderes. Sie verstand die Sprache der Natur. Sie lauschte den Blumen und Gräsern und die Stimme des Windes war ihr vertraut. Am Tage half sie der Mutter, aber wenn die weißen Nebel aus den Wiesen stiegen, zog es sie hinaus auf den kahlen Berg, und sie tanzte zwischen Moosen und Farnen, und die Nachtigallen sangen ihr Lied dazu.
Als das Mädchen nun aber heranwuchs und von Tag zu Tag schöner wurde, konnte Bota den Gedanken nicht ertragen, dass sie noch elf ebenso liebliche Schwestern hatte. Er wollte. Dass seine Tochter die Schönste sei und keine ihr gleiche. So befahl er den Lüften, einen Sturm zu entfachen und zwischen Abendrot und Morgenrot die elf Schwestern in alle Winde zu zerstreuen, so dass der armen Mutter nur noch das Zwölfchen blieb. Die Frau war untröstlich über den Verlust ihrer Kinder, und ihre Tränen netzten die Erde.
Die Jahre vergingen. Zwölfchen blieb unverändert ein schlankes, rankes Jüngferlein, denn Vater Bota hatte ihr die ewige Jugend geschenkt, und er verscheuchte eifersüchtig jedweden Freier. Die Mutter aber wurde vor Gram schnell alt, und bald musste man sie zu Grabe tragen. Da war Zwölfchen einsam, und die Trauer über den Verlust ihrer Familie legte sich wie ein Schleier über ihre Schönheit und lähmte ihre Glieder. Sie vermochte nicht mehr zu tanzen. Da wurde dem Elfenfürsten bange, und er schickte in langen Wellen eine Botschaft über die ganze Welt.
Und die Schwestern hörten den Ruf, und weil sie wussten, dass Zwölfchens größte Freude die Blumen und Blüten waren, schickten sie , wieder den Wind als Boten erkürend, Samen aus aller Herren Lände, in die es sie verstreut hatte. So kamen Palmen vom Mittelmeeer, Gagaven aus Mexiko, Magnolien aus dem Osten Asiens und Wassergewächse aus der Südsee. Zwölfchen säte alles sorgfältig aus auf dem Boden am Rande des Kahlen Berges, dessen Tränen der Mutter die Erde getrunken hatte. Und es wuchsen aus dem Samen Sträucher und goldene Blüten, Pflanzen mit Blättern so groß wie Sonnenschirme. Und bald füllten die Gewächse einen großen Garten. Viele Leute kamen von weit her, um ihn zu bewundern. Zwölfchen nannte ihn “meinen “Bota-Garten”, nämlich den botanischen Garten. Ob sie im Dämmerschein dort auch wieder tanzt?
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