Die fälische Medusa. (ein Kind der Heidbreder Heide)
Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebte weitab von der Stadt einsam in der Heidbreder Heide die Familie Heinertomwaasen. Dem Vater, genannt Hinkebeen, war von einer Kugel das Knie zerschossen worden, als er 1623 an der Seite des “tollen Christian” gegen Tilly gekämpft hatte. Nun verdiente er sich mühsam als Höcker das tägliche Brot für die Seinen.
Mit der Hucke auf dem Rücken ging er von Haus zu Haus und bot seine Radieschen, Petersiliensträußchen, und Äpfel an, und was sonst gerade im Garten und Feld wuchs. Viel brachte das mühsame Gewerbe nicht ein. Aber sie hielten auch ein paar Schweine, sodaß es im Winter nach dem Schlachten frische Wurst und gute Wurstbrühe gab. Das war die schöne Zeit, wo alle einmal satt wurden.
Die Mutter war in jedem Jahr aufs Neue gesegnet. Vier Kinder nahm ihr der schwarze Tod, der in der großen Pestwelle über die Grafschaft Ravensberg gekommen war. Ein fahrender Scholar aus Paderborn hatte die Seuche eingeschleppt, als er bei ihnen um ein Nachtlager gebeten hatte. Aber es saßen immer noch sieben hungrige Mäuler zum Vesper um den Tisch herum.
Und wieder rundete sich ihr Leib , sie hatte große Schmerzen und ihre Fülle wurde zu einer schweren Last, sie fühlte sich fahrig und müde. Da ging sie zu einer weisen Frau. Diese mischte einen Haferbrei mit Eisenkraut und Kalmus, auf daß der ihren Körper als auch ihre Seele zur Ruhe bringen möge. Was sie nicht beachtet hatte, war, daß das Kraut neben Waldpilzen gewachsen war.
Als das neue Schwesterchen in der Wiege lag, fragten die Kinder: “Mutter, was hat sie für seltsame Augen?” “Mutter, was hat sie für eine häßliche Nase?” “Mutter, ich habe Angst vor ihr.” Die Tochter war eine Mißgeburt, und sie nannten sie Medusa nach dem entstellten Schreckensweib der Griechen.
Drei Jahre war sie alt und konnte gerade laufen, da wurde sie in den Schweinestall verbannt. In einer Ecke schlief sie mit den Tieren und wurde auch mit diesen zusammen gefüttert.
Als sie etwas älter geworden war, gab man ihr einen Stock in die Hand und schickte sie auf die Weide, die Schweine zu hüten.
Ihre Haare hingen ihr wie Schlangen von Kopf herab, und sie war in dem niedrigen Stall krumm geworden. Auch schien sie stumm, und es kam nur ein Grunzen aus ihrer Kehle. Doch des nachts, wenn die Nachtigall in der großen Buche am Haus ihr Lied zum Himmel jubilierte, dann sang auch Medusa in wortlosen tiefen, warmen Tönen einen heiligen Sang, und die Schweine scharten sich um sie.
Die Hirtin zog mit ihrer kleinen Herde oft weit über die Wiesen und Äcker der Heide, so daß sie nicht mehr den Rückweg fand. Einmal wurde sie schlafend in der Nähe von Ossenbrügge (Osnabrück) gefunden. Sie war mit ihren Tieren dem alten Handelsweg über die Brücke der Hase gefolgt, auf dem die Bauern ihre Ochsen getrieben hatten. Da ließ der Vater dem Mädchen das Zeichen der Senner Pferde auf die Stirn brennen, damit man wisse, wo Tiere und Mensch hingehören.
Doch es gab Klagen und schwere Anschuldigungen gegen Medusa.
Für jeden, der ihr ins Angesicht schaute, war es ein Schock, und die Blitze aus ihren Augen schreckten die Menschen.
So klagte die Nachbarin, ihr seien alle Äpfel am Baum verfault, und die nächste sagte, ihre Hühner seien von Milben befallen und könnten nicht mehr laufen. Der Schmied berichtete, sein Gaul habe plötzlich den Rotz. Und je älter die Ausgestoßene wurde, desto häufiger wurden die Klagen. Die Kühe gaben keine Milch, die junge Stute verfohlte, und schließlich vernichtete ein Hagelschlag die gesamte Haferernte. Da war es allen klar, Medusa war eine Hexe.
Und …von überall ertönte der Schrei:
“Die Hex muß brennen, die Hex muß brennen!”
Und …man zerrte sie vor den Richter.
Doch dann raunte das Volk: “Werden ihre Hexenstrahlen nicht das Feuer löschen??” Also verurteilte sie der Richter zum Tod durch das Schwert, aufdaß dieses ihr mit einem Hieb den Kopf vom Leibe trenne.
Und … als die Menge versammelt war auf der Galgenheide, gut versorgt mit Brot und Pickert, in freudiger Erwartung ob des schaurigen Schauspiels, das ihnen sogleich geboten werden würde, und der Henker schon anhub sein langes, scharfes Schwert … da verdunkelte sich plötzlich der Himmel, es tat einen mächtigen Donnerschlag, und herab fiel ein Schweinekopf in die Grube. Medusa aber war verschwunden.
Später erzälten die Leute, sie seie weit weggegangen und habe sich in der Eifel im Brunnenschacht des grünen Pützes versteckt. Viel, viel später wurde ihr da ein Denkmal gesetzt.
Die Familie ist aus der Heidsieker Heide fortgezogen , und der Vater hat einen kleinen Krämerladen in Julinbike (Jöllenbeck) aufgemacht. Heute kommen von diesem Landstrich täglich große Mengen an Bio-Gmüse nach Bielefeld auf den Markt.
Die Schlangenhaare der Medusa aber knüpfen sich manche junge Mädchen gern als Rastazöpfe auf dem Kopf. Sie werden wohl in heutiger Zeit kaum die Kühe, sonder eher die jungen Männer in der Disko verhexen. Doch wer denkt dabei an Medusa?