Mordsteine, (Mord in der Senne-)
Dies ist kein Märchen, sondern eine traurige Begebenheit. Und ich versuche , mir die Vorgeschichte auszudenken.
Die Mordsteine.
(…und wie es gewesen sein könnte.)
Im Wald, gleich neben dem Frieda Nadig-Haus, stehen zwei mächtige Gedenksteine aus dem 17.Jahrhundert. Sie sind aufgestellt für eine junge Mutter und ihrem Kind, die beide vom Vater ermordet wurden. Wie kam es zu der grauenvollen Tat?
Heide und Sand! Wer denkt da nicht sofort an “märkische Heide und märkischer Sand … ?” Aber nicht “… heil dir, mein Brandenburger Land”, geht es weiter, sondern die Senne in Ost-Westfalen-Lippe ist hier gemeint, eine karge Gegend zwischen Bielefeld und Paderborn. Die schmelzende Eiszeit rieb den Sand von den Hängen des Teutoburger Waldes ab und bildete hier heidebedeckte Dünen und Senken. Es wachsen anspruchslose Pflanzen wie Silbergras, Bauersenf und Mondraute. In den Stieleichenwäldern zirpt der Wendehals.
Sehr lange Zeit blieb die Gegend unbesiedelt, bis in der Mitte des 17. Jahrhunderts Graf Hermann Adolf zu Lippe das unfruchtbare Land am Hausterbach armen Siedlern schenkte , sie für 5 Jahre von allen Abgaben befreite und das Dorf Hausterbeck gründete. Als Heidebauern sollten sie ihr Glück versuchen.
Da saß nun der Anton mit einem Kumpel in der Linde in Isselhorst, und schon einige Humpen waren ihnen die Kehle hinabgeflossen. Antons Vater hatte einen Besitz daselbst, doch nach seinem Tode war Antons ältester Bruder Hoferbe geworden, und ihm blieb nun die Wahl zwischen Steinklopfen oder Bettelngehen. “Ich weiß etwas Besseres” fing da der Freund an zu reden. “Hast du nicht von dem neuen Siedlunggebiet in der Senne gehört? Ich glaube, da kann man reich werden” faselte er weiter. “Ich werde mich bemühen, ein solches Stück Land zu bekommen, mach doch mit.” Aber da war ein Hintergedanke in seinem Kopf. Antons Liebste gefiel auch ihm sehr gut, und falls sie Nachbarn werden würden …. nun ja, wäre doch nett !!!
Und so kam es, daß beide Sennebauer, eben “Heidjer” wurden. Anton hatte sein Mädchen zur Frau genommen. Sie hatten eine Kuh, eine Ziege und 11 Hühner. In das kleine Lehmhäuschen war auch Antons Vater mit eingezogen, aber eine Hilfe könnte er nicht sein, er war zu alt, und ihn quälte die Gicht. Die ersten zwei Jahre versuchte Anton den Ertrag des Bodens zu verbessern. Er schälte die Oberschicht der Heide in großen “Placken” ab, mischte diese als Dünger unter den Sand, und wirklich, gedieh jetzt auch ein wenig Buchwei-zen, den sie für den täglich Pickert brauchten. Der Nachbar kam oft zu Besuch, aber sonst war es sehr einsam hier.
Regelmäßig brachte Anna mit dem Kuhgespann auf dem “Butterpatt” Butter Eier und Kochkäse in die Stadt auf den Markt. Sie konnte so etwas dazu beitragen, daß sie keine Not leiden mußten. Aber das Leben war sehr karg. Dann kam ein grausamer Winter. Die Wege waren hochverschneit und nicht mehr befahrbar, und sie waren abgeschnitten von der Welt. Das Dach trug die Last der Schneemassen nicht mehr und brach. Dann erkrankte der sieche Vater an einer Lungenentzündung und lag im Sterben. Ehe noch der Pfarrer zu ihm kommen konnte, war er tot. Die Kuh war so abgemagert, daß sie keine Milch mehr gab, und fast alle Hühner hatten sie schon geschlachtet. Das Elend war groß.
Durch Erbvertrag war die Grafschaft Ravensberg zu dieser Zeit an den Kurfürsten von Brandenburg gekommen. Dieser war ein sehr fortschrittlicher Herrscher, den man später “den Großen Kurfürsten” genannt hat. Der baute seine Macht nicht nur durch straffe Verwaltung, sondern auch durch die Errichtung eines stehenden Heeres auf. Und so kam es, daß Anton sich von dem damals im Raum Ravensberg stationierten Regiment anheuern ließ, und bald seinen Sold als Dagoner verdiente. Gewissenhaft übersandte er das meiste von dem Geld an seine Frau, damit sie ohne Sorge das kleine Anwesen wieder aufbauen könne.
Anton war ein guter Soldat, er stieg zum Feldzeugmeister auf und kämpfte zusammen mit den Schweden gegen Polen. Fast zwei Jahre war er nicht zuhause gewesen. Nun, zurück an seinem Standort, bekam er eineNachricht aus Hausterbeck. “Komm sofort zurück!”
Den Zettel, den die Nachbarin überbrachte, hatte der Pfarrer geschrieben. Seine junge Frau war des Lesens und Schreibens unkundig. Eine Schule für Arme gab es damals noch nicht.
Anton war in großer Sorge, was war geschehen? War die Ernte verhagelt, war sein Haus abgebrannt, war seine Frau krank? Er erbat so schnell wie möglich Urlaub, doch als ihm dieser verwehrt wurde, verließ er bei einer nächtlichen Übung heimlich die Truppe und ritt zum Dorf. Als er endlich am nächsten Tag dort ankam, fand er sein Haus ziemlich wüst vor, die Äcker waren nicht bestellt, der Apfelbaum gefällt, und auf einer Bank neben dem leeren Hühnerstall saß seine Frau mit einem Baby auf dem Arm. Der allezeit hilfsbereite Nachbar lag schnarchend auf einer Bank neben dem Ofen.
Seine Wut war grenzenlos. Er riß den Pallasch, den Dragonersäbel, empor und zerschnitt mit einem Hieb zuerst der schreienden Frau den Hals und tötete im blinden Zorn sodann das Kind.
Der Nachbar rannte entsetzt davon, wurde von den anderen Heidjern zum Dorfe hinausgeprügelt und ward nie wieder gesehen .
Kopflos vergrub Anton die Leichen im Sennesand und trat in wilder Eile die Flucht an. Es heißt, ein Ochse habe die Getöteten kurze Zeit später freigescharrt. Anton konnte aufgegriffen und verurteilt werden. Im Volke wurde gemurmelt, zwei Ochsen seien als Vollstrecker erwählt und diese hätten ihn am lebendigen Leibe kaputtgerissen. Das stimmt nicht. Er wurde vor einem ordentlichen Gericht im Timpen auf der Heide am Galgen aufgehängt. An der Stätte, wo Mutter und Tochter ihr Leben verloren, stellte man zwei mächtige Steine auf.
Auf der Vorderseite des Kindersteines steht:
Anno 1660, den 3.Oktober Maria Helena.
Auf der Rückseite:
Ach Vater, wie konnt’s dein Herze leiden,
dass Du mir thatest den Halz absneiden,
und begings an mir an diesem Ort
ein grausam unerhörten Mort.
Die Inschrift des anderen Steines ist unleserlich.
Von dem kleinen Heideort Hausterbeck ist heute nur noch die Ruine der ehemaligen Dorfkirche zu sehen. Der größte Teil der Senne wird schon lange als Truppenübungsplatz genutzt. Aber die Schönheit dieser Landschaft ist noch immer die gleiche. Die Heide blüht und der Wendehals zirpt.