Der Werwolf. (Hirtenhatz an der Wolfskuhle.)

Werwolf mit Wolf und Schrift

 

Eine brave Frau, Emma geheißen, lebte als Großmagd im Alderdissen-hof. Sie war kein leichtsinniges, tändelndes Jüngferchen mehr, sondern ein rechtschaffenes, gottesfürchtiges Weibsbild und mit ihrem Dasein zufrieden.
Der Alderdissenhof bot eine der Rastmöglichkeiten am Postweg zwischen Osnabrück und Bielefeld und den Pilgern, die auf dem Weg zum Jostbergkloster waren, einen willkommenen Halt. Die Gegend ringsum war noch fast unbesiedelt und die schmalen Pfade führten durch dichten, unwegsamen Wald. In der Nähe des Klosters gab es , hinab über eine Stiege zu erreichen, eine Senke, die den Mönchen als Wasserspeicher diente. Gern erfrischten sich hier auch die Pilger , und …. auch ein Rudel Wölfe löschte hier ihren Durst.

Waldtrepe mit senke mit 4 Wölfen

Emma hatte schon früh von ihrer Mutter gehört, daß man in Urzeiten Tote neben den Postwegen in die Erde bettete. Und so gibt es auch hier am Jostberg eine Reihe Hügelgräber. Oben im Kloster bediente man sich jetzt zwar für die heligen Handlungen eines richtigen Altars und nicht wie zu den Zeiten der Zisterzienser nur eines Tragaltars, der durch einen Stein oder eine Schatulle symbolisiert wurde. Und es gab auch für Pilger die Möglichkeit einer Beherbergung, aber die Hügeigräber waren in Vergessenheit geraten. Und so war es Emma, die regelmäßig mit einem kleinen Strauß die Gegend aufsuchte, um der Toten zu gedenken.
Als sie wieder einmal im stillen Gebet vor dem Hügel stand, sah sie einen Hirten, der hier seines Weges ging. Die beiden lächelten sich freundlich an, der junge Mann ging weiter, aber Emma vergaß ihn nie.

werwolf Hügelgrab MIT EMMA

 

Wüste Zeiten herrschten im Land. Die Menschen glaubten an Hexen und fürchteten allüberall bösen Zauber. Es kam zu Massenprozessen, und mit grausigen Foltern wurden meist völlig unschuldige Frauen zu Geständnissen getrieben. Aber auch die Hirten waren geschmäht. Sie hatten Kenntnisse von Kräutern und Wässern, konnten lindern und heilen, das war den Menschen unheimlich. So wurden die Hirten ausgegrenzt. Man verwehrte ihnen zu heiraten, man verwies sie des Ortes und trieb sie ins Umfeld. Viele wurden als Werwölfe verurteilt, am Galgen zu hängen, und den Raben zum Fraße im Wind zu baumeln.

Auch Jakob war ruhelos umhergeirrt. Hatte mal dem einen Bauern gedient, mal dem nächsten. War heimlich auch zu leidenden Menschen gerufen worden und war ein kundiger Heiler geworden. Hatten die Schweine Rotlauf, kannte er Salbei und Käsepappel, und lahmte ein Schaf, so hatte er Bälappwickel parat. Da geschah es, daß er eines Tages zum Kloster gerufen wurde. Ein Bruder lag mit bösen Magenkrämpfen darnieder. Jakob mischte einen Trank aus Aronwurzel, Pimpinelle und Süßholz und eilte zu dem Kranken. Schon nahe der Klause, wollte er sich noch ein wenig erfrischen und stieg zum Wassertümpel hinab.
Doch da war gerade eine Wölfin mit ihren Jungen am Saufen. Das Muttertier, das sonst scheu die Menschen mied, griff, um die Kleinen zu schützen an, und biß Jakob in den Arm. Die Wunde war nicht groß. Jakob wickelte sein Schnupftuch darum und eilte davon.

Werwolf Biß

Im Kloster angekommen, traf er auf Emma, die gerade für den Kranken ein Täubchen gebracht hatte, damit dieser mit einer guten Suppe wieder zu Kräften komme. Und wieder lächelten sich die beiden an, und ihre Herzen schlugen schneller. Auf Emmas besorgte Frage nach der Wunde am Arm, antwortete Jakob, er habe sich an einem dürren
Ast gerissen. Doch ihr kam der Vorfall nicht aus dem Sinn.

Doch von nun an trafen sich die zwei heimlich in jeder Nacht und waren glücklich. Jakob hütete seine Herde auf einer großen verlassenen Wiese, die heute Schäferdresch heißt, und Emma mied gern die Nähe des Alderdissenhofes, damit niemand die verbotene Liebe bemerke.
Aber sie war in Sorge. Konnte die Wunde nicht auch von einem Wolfsbiß herrühren, der einen Menschen in einen “Wer”wolf, einen “Mann”wolf verwandelte?
Sie hatte von schrecklichen Dingen gehört.
War doch in Paderborn der Küh-Ludwig auf gräßliche Weise gerichtet worden, als er in der Folter gestand, einen Teufelsgürtel getragen, und als Raubtier 13 Kinder gefressen zu haben. Und der alte Franke, ein Schäfer aus Oerlinghausen, soll sich mit einer Bohne unsichtbar gemacht und dann gemordet haben. Er wurde geröstet und gepfählt.
Der Teufel, so flüsterte man, befahl den Opfern ihre Kleider unter einem Holderbusch zu verstecken, sich dann mit schwarzer Salbe einzureiben, damit der Zauber wirke. Hatte sie nicht neulich am Vogelbeerbaum einen zerrissenen Schal gefunden? Ihr grauste. Sie erinnerte sich an einen alten Abwehrzauber und murmelte:

“Du sollst kein Blut mehr trinken, sollst nicht wie Aas mehr stinken,
verdunk’le nicht die Gestirne, veröde nicht uns’re Hirne,
gestatte unsern Herzen, den Zauber auszumerzen,”

Es war ein schwühler Junitag gewesen und die Nacht wurde vom Vollmond erhellt. Emma wartete schon voller Ungeduld und plötzlich…… trat Jakob aus dem Wald !!! Ein gellender Schrei hallte durch die Stille. Kreischend stoben ein paar Krähen auf, und ein Reh flüchtete eilend ins Dickicht.

Jakobs geliebtes Antlitz hatte sich in eine Wolfsfratze verwandelt, und seine ausgestreckte Hand war zur Klaue geworden. Jakob war ein Werwolf.

Werwolf Waldwiese mit Frau

 

Emma schwanden die Sinne und sie sank darnieder. Als sie die Augen wieder aufschlug, lag sie gebettet in Jakobs Armen und sein gütiges Menschengesicht lächelte sie an. Die Angst um den Liebsten hatte ihr ein Trugbild vorgegaukelt. Oder….. hatte vielleicht der Zauberspruch noch in der Luft geschwebt?

Jakob gab sein unruhiges Hirtendasein auf. Er wurde Gespannführer beim Alterdissenbauer, sorgte für die Pferde und hatte auch die Kühe und Schafe unter seiner Obhut. Er lebte friedlich mit Emma bis zu beider Ende.
Die Stelle im heute dicht besiedelten Hoberge, an der sich die beiden heimlich trafen, heißt heute “An der Wolfskuhle”. Im Meierhof läßt sich noch immer gut rasten. Und im Tierpark Olderdissen kann man sich ein Rudel Wölfe anschauen.

Meierhof Olderdissen

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