Der Erbsenkrug. (wie der Gasthof entstand )
In der Mitte von Schildesche, gleich bei der Kirche, liegt der “Erbsenkrug”, ein alter, ehrwürdiger Gasthof. Der heißt nun nicht etwa so, weil man dort besonders gute Erbsensuppe bekommt. Oh nein, der Erbsenkrug hat eine ganz andere Geschichte.
Am Ende des Ortes, am Ufer des Johannisbaches, wohnte eine arme Weberfamilie. Vater und Mutter hatten immer fleißig gearbeitet, das feine Leinen zu weben. Und auch ihr kleiner Sohn, Michel, hatte schon von Kindheit an mitgeholfen. Als er älter wurde, verliebte er sich in die hübsche Tochter eines reichen Bauern, und die beiden versprachen sich einander. Da wurde in der Stadt die große Fabrik gebaut, und Maschinen stellten nun das Tuch her. So war der Vater ohne Arbeit, und Not zog ein in das kleine Haus am Bach. Als Habenichts mochte der Sohn nicht vor den hochmütigen Vater des Mädchens treten, um ihre Hand zu erbitten. So beschloß er, in die Welt zu ziehen, zu lernen und zu arbeiten, um die drei wichtigsten Grundlagen für einen Hausstand zu verdienen, das sind Kleidung, Nahrung und Wohnung.
Die Mutter konnte ihm nur einen Laib Brot und ihre Liebe mit auf den Weg geben. Der Vater aber reichte ihm zum Abschied seine Mütze und sagte: “Mein lieber Sohn, ziehe in Frieden und wisse, unter der Mütze sitzt ein kleines Männlein, es heißt >das Gewissen< . Höre immer auf seine Stimme, dann wirst du stets das Richtige tun.”
So nahm Michel Abschied von seinen Eltern und seiner Liebsten und wanderte los. Nach Wochen kehrte er ein bei einem Schneider in Frankreich. Der nahm ihn in die Lehre und gab ihm Bleibe in seinem Haus. Michel lernte gut und konnte bald so feine Kleider, Hosen und Röcke nähen, daß sie ein König hätte tragen können. Als er drei Jahre ordentlich gearbeitet hatte, packte er sein Säckel, um weiterzuziehen. Da schenkte ihm der Meister eine goldene Nadel und eine Spule mit seidenem Faden.
“Nimm das als Lohn für deine Arbeit. Du vermagst nun Dich und die Deinen zu kleiden. Zudem werden Dir Nadel und Faden einen großen Dienst erweisen können, aber wäge und wähle mit Bedacht, und vergeude nicht diese Gunst, denn sie wird dir nur ein einziges Mal gewährt.”
Michel wanderte weiter und kam zu einem Bauern nach Holland.
Der baute auf seinen Feldern köstliches Gemüse an, Möhren und Blumenkohl, Gurken und Radieschen. Wieder lernte und arbeitete er drei Jahre. Und als die Zeit um war, gab ihm der Bauer als Lohn einen Sack mit Erbsen. “Um Nahrung für Deinen bist du nun aller Sorgen ledig. Doch ein-mal werden Dir die Früchte einen großen Dienst erweisen können. Wähle klug die rechte Zeit und veriht die Gunst.” Michael lenkte seine Schritte nun der Heimat zu.
Nach der langen Wanderschaft wollte er endlich sein Haus bauen und mit seiner Liebsten eine Familie gründen.
Wie er so frohen Mutes seines Weges ging, erschien ihm plötzlich ein spindeldürres, schlangenhaftes Wesen. Es war die “dünne Dame”, Versuchung war ihr Name. Mit ihrem langen Schwanz umschlang sie ihn, ließ ihre Fächerohren wedeln und lockte: “Sei kein Tor, 1aß deine Pfunde wuchern, du Gebieter der Nadel. Wünsch’ dir goldene Kleider, damit dich alle beneiden und die schönsten Frauen dich umschwärmen. ” Da zog der kleine Mann unter der Mütze kräftig an Michels Haarschopf, und eilig verscheuchte der die dünne Dame.
Doch als er schon den heimatlichen Kirchturm sehen konnte, schlich die Versuchung noch einmal an ihn heran: “Törichter Mensch, nutze dein Glück, raffe, was du kannst, laß sich die Erbsen in Edelsteine verwandeln. ” Aber wieder bewahrte ihn der kleine Mann vor der lockenden Versuchung, und Michel ging unbeirrt weiter.
Als er endlich angekommen war, klopfte er an die Tür des reichen Mannes und sprach: “Bauer, ich habe mich in der Welt umgesehen, habe gelernt, gearbeitet und Gut erworben, ich bin nun Eurer Tochter würdig, erlaubt mir, sie zur Frau zu nehmen, und laßt mich ein Haus für sie errichten.” Da brach der reiche Mann in dröhnendes Gelächter aus: “Mit einer Schneidernadel und einem dürftigen Sack Erbsen wagst du, um meine Tochter zu freien. Aber sei es denn, wenn sie einen Bettelmann zum Ehegatten will, so mag ich sie nicht hindern. Und Land sollst Du auch haben, um darauf zu bauen. Ich schenke dir so viel, wie Dein Sack Erbsen umfaßt. Da kannst du eine wunderschöne Hundehütte errichten. Hoho, hoho!” Voller Traurigkeit verließ ihn Michel.
Da zupfte ihn wieder am Schopfe das Männlein unter der Mütze: “Dein Mädchen hat auf dich gewartet, kämpfe um sie. Jetzt ist die rechte Zeit, deine Gunst zu erbitten.”
Michel nahm die goldene Nadel, die Spule mit dem Seidenfaden und den Sack mit den Erbsen und flehte:
“Ich bitt’ Euch, helft mir!” Und siehe, flugs schlüpfte der Faden ins Nadelöhr, und die Erbsen fädelten sich in Windeseile zu einer langen, langen Kette auf, eine nach der anderen, bis auch die letzte gereiht war und sich mit der ersten verknotete. Danach rollten sie sich wieder in den Sack. Und Michel trug ihn zum Brautvater. “Bauer, ich nehme Dein Angebot an, gib mir das Land, das mein Sack Erbsen umfaßt”
Mit diesen Worten legte er seine Kette um ein Grundstück, das lang und breit das rechte Maß für ihn hatte. Er baute darauf ein schönes Haus, in das er mit seiner jungen Frau einzog, und einen Gasthof dazu, den er “Erbsenkrug” nannte.