Katharina. ( die Jungfer am Obernsee)

Wassermann 2

 

Könnt Ihr Euch noch an Friedolin erinnern, dem kleinen Wassermann, den seine Mutter verstoßen hatte, weil er goldene Haare hatte, und keine grünen, wie sich das so für einen echten Wassermann gehört. Er ist damals aus dem See in der Bielsteinstraße verschwunden und schien für immer verschollen.
Aber das stimmte garnicht. Er hatte sich seit langer, langer Zeit in den Johannisbachauen, die jährlich zu großen Seen überschwemmt wurden, versteckt.

Obersee

Er tauchte mit den Fröschen und hüpfte von einem Moosballen zum anderen, und wenn die Lerchen sangen, begleitete er sie auf seiner Grasharfe. Aber nachdem er selbst so viel Leid ertragen hatte, war sein ganzes Trachten, Gutes zu tun und Tiere und Menschen zu beschützen, und so achtete er vor allem darauf, daß niemand in das moorige Wasser falle und Schaden nähme.

Seekrug alt

Nun gab es am Rande der Aue einen großen, sehr alten Hof. Dort wohnte ein reicher Bauer mit seiner Tochter Katharina. Seine Frau war früh verstorben und er hatte sich bald ein junges Weib genommen. Diese brachte Hadrun, ihre Tochter, mit ins Haus. Als die Mädchen klein waren, spielten sie zusammen, aber so mehr sie heranwuchsen, desto fremder wurden sie einander. Katharina war ein hübsches, fröhliches Kind, und ihr Vater hatte ihr von einem Freund aus Borgholzhausen eine braune Senner-Stute geschenkt, (diese, dem Araber ähnliche Rasse, wurde seit beinahe 1 000 Jahren in Westfalen gezüchtet), und im wilden Galopp ritt sie mit dem Tier gern über die Weiden. Pferd und Reiterin waren sich in Eleganz und Temperament gleich.

Senner Pferd

Hadrun hatte Angst vor Pferden. Sie saß lieber bei der Mutter zuhause und stickte kleine Kreuzstichdeckchen, die dann überall im Zimmer auf Tischen und Schränken herumlagen. Das Mutterkind neidete ihrer Halbschwester jede Gunst, die der Vater ihr erwies, verging vor Eifersucht und sann stets darauf, ihr zu schaden. Und so suchte Katharina immer häufiger Trost bei der alten Amme, die im Dachkämmerchen hauste und noch Magddienste leistete.
“Käthchen” nannte sie das Kind, “Käthchen, mein Mädchen”.
Sie war eine weise Frau, und man sagte ihr nach, daß sie eine Spötenkiekerin sei und das “zweite Gesicht” habe.

Es war ein schwüler Sommertag gewesen. In der Frühe hatte die Amme Katharina besorgt angesehen:
“Käthchen, mein Mädchen, sei auf der Hut
Der Morgen erwachte in Feuersglut.”
Katharina hatte auf dem Feld zusammen mit den Knechten die Weizengarben gebunden und zu Hocken aufgestellt. Die Magd hatte für alle einen großen Kessel Suppe gebracht und ihr zugeraunt:
“Käthchen, mein Mädchen, sei bereit.
Unheil schwant schon zur Mittagszeit.”
Aber Katharina hatte gelacht und die Magd liebevoll eine alte Unke genannt.

Käthe Garbe

Nun hatte die Vesperglocke geläutet, und alle waren von der Mühsal des Tages erschöpft. Da sagte Hadrun mit heuchlerischen Lächeln: “Komm liebe Schwester, ich habe uns einen erfrischenden Trank aus Holderbeeren angerichtet, laß uns ihn genießen, und dann können wir uns in der kühleren Abendluft ein wenig am Auenstrand ergehen.”

Hadrun war in vergangener Nacht heimlich den weiten Weg bis zur Galgenheide gelaufen. Sie hatte ihren Hund und ein altes Jagdhorn mitgenommen. Sie wußte, daß sie hier finden könne, was sie so sehr begehrte. Wenn nämlich ein Jüngling unschuldig gehängt worden war, so wuchs aus seinem letzten Lebenssaft am Fuße des Galgens das Zauberkraut der Alraune. Gierig scharrten Mädchen und Hund im schwarzen Boden. Da, sie fanden, was sie suchten. Doch in dem Moment, als der Hund die Wurzel aus der Erde riß, hörte man, wie der Gehängte in einen schauerlichen Schrei ausbrach. Da stieß Hadrun in das Horn und übertönte das Brüllen. Jetzt hatte sie, was sie brauchte.

Käthe Alraune

 

Heute hatte sie die Wurzel im Mörser zermahlen und eine kräftige Priese in Katharinas Trank gemischt.
Sie waren kaum ein paar Schritte am Schwemmufer entlang spaziert, da ballten sich bereits dunkle Wolken bedrohlich zusammen und verdunkelten den Himmel, die Bäume beugten sich, und die Berge schienen zu stöhnen. Katharina fühlte sich leicht betäubt. Es war ihr, als würde ihr Körper dahinschweben. Da plötzlich, ein gewaltiges Grollen und mit Urkrach entluden sich Blitz und Donner.
In diesem Moment packte Hadrun die Taumelnde und stieß sie mit aller Kraft in die aufgewühlten Wassermassen. Plötzlich, wie es gekommen, war das Unwetter abgezogen, der Himmel klärte auf und blutrot ging die Sonne in der Ferne hinter den Hügel des Teuto unter.

Im Hause bebte die Amme;
“Der Himmel leuchtet im Abendrot
mein Mädchen, das Käthchen entreißt mir der Tod.”
Doch Fridolin hatte voller Entsetzen die Untat gesehen. Er kannte das schöne Mädchen, das dort am Rande der Aue zu Hause war. Wie oft hatte sie schon gelauscht, we

nn er leise auf seiner Harfe spielte. In großer Eile rief er seine Freunde, die Frösche und Kröten zusammen, und so zogen und schoben 99 Rotbauchunken, die in den über-schwemmten Tümpeln der Aue ihre Heimat gefunden hatten, die schon fast Versunkene ans Ufer. Sie war gerettet.

Unkenschwarm mit Käthe

Hadrun mischte sich aus unendlichem Zorn über den mißglückten Versuch, sich der gehaßten Rivalin zu entledigen, selbst einen großen Teil der geheimnivollen Wurzel in ihren Becher und fiel darauf in einen abgrundtiefen Schlaf. Keiner weiß, ob sie daraus jemals wieder erwacht ist.

Vor etwa 40 Jahren wurde die Johannisbachaue zu einem See umgestaltet. Der Obersee ist mit seiner Umgebung ein grünes Paradies geworden, und in dem klaren Wasser tummeln sich nun Hechte und Brassen, und sogar die seltenen Rotfedern kommen vor. Auf der kleinen Insel in der Mitte des Sees hat Fridolin sein Plätzchen, und wenn er gute Laune hat, singt er den Fischen Balladen von seinen Abenteuern vor.

Obersee heute 435

 

So sieht der Obersee heute aus, und man will die Anlage demnächst noch erweitern. Das alte Bauernhaus ist jetzt eine gemütliche Gastwirtschft mit Biergarten, in dem man auch Pickert essen kann. Es gibt einen großem Kinderspielplatz, und es gibt auch nicht weit entfernt einen Reitstall, ob man allerdings mit Sennepferden durch die Weiden galoppieren kann, weiß ich nicht.

p.s.Übrigens hat die Unke ganz unberechtigt ihren schlechten Ruf. In alten Zeiten galt sie in manchen Erzählungen auch als empfindsames Wesen, das Wohlstand bringen oder auch einen Schatz hüten und Leben retten kann.

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