Jungfer Ameise, ( Gut Nieder-Barkhausen )
Vor vielen hundert Jahren hauste, versteckt im dichten Wald des Nonnengrundes, eine einsame Nonne. Sie war mit dem Bann belegt worden, weil man sie der Hexerei verdächtigte. Und … sie verstand ihr Zauberhandwerk.
Der Nonnengrund liegt nur einen Katzensprung vom Gut Barkhausen in Asemissen, das im Süden vom Brockhauser Bruch. und im Norden von der Pansheide begrenzt ist.
Schon die Kelten bauten hier ihr Land. In der Busdorf-Urkunde von 1036 kann man lesen, daß der Bischof Meinwerk von Paderborn dem Kanonikerstift Busdorf in Asemissen das Gut Barkhausen mit fünf Vorwerken zum Lehen gegeben hat. Es war für die Versorgung der großen Fluchtburg auf dem Tönsberg zuständig. In dem Hügelland um das Gut herum herum entstanden größere Höfemeiler und kleinere Kötterhöfe.
Der Großbauer des Barkhausenhofes war ein strenger Mann, der gerecht und treu seinen Tag verbrachte. Er hatte als Jüngling mit dem Deutsch-Ritterorden an den Kämpfen im Baltikum teilgenommen und verlangte Zucht und Ordnung von seinen Leuten. Er war Gograf und konnte Urteil über kleinere Straftaten fällen.
Seine Tochter aber, die schöne Edelinde, war eine wilde Jungfer
Sie befand sich in ewigem Streit mit ihren Geschwistern, war sie doch ein “Vorkind”, das heißt, das Kind aus der Ehe mit der früh verstorbenen ersten Frau des Bauern. Faul und hochnäsig sah sie sich schon als Herrin auf dem Gut, verachtete die Knechte und machte sich über die Eget-kötter lustig: “Sie können zwar mit der Egge auf dem Feld herumfahren, aber nicht ihren Kindern die Läuse vom Schopf harken.” Und die Hoppen-plöcker verhöhnte sie: “Ihr seid ja so dürr wie Eure Bohnenstangen, paßt nur auf, daß man Euch nicht aus Versehen mit einpfählt und sich dann wundert, wenn kein Hopfen an Euch wächst.” Edelinde spazierte am liebsten zum Eselsbach, baumelte mit den Füßen im Wasser und ließ kleine Schiffchen schwimmen. Am Abend mußte ihr dann die Köchin besondere Leckereien kochen, aber niemals gab sie einem hungernden Buben auch nur ein Stück trockenes Brot ab.
Der Vater war empört über den Lebenswandel seiner Tochter. Keine Ermahnungen und keine Strafen halfen. In seiner Verzweiflung suchte er eines Nachts die Nonne auf und erhoffte Rat von ihr.
Die Alte kullerte mit den Augen, spreizte alle 10 Finger und stöhnte: “Welch ungeratenes Frauenzimmer, kennt keine Zucht, keine Fürsorge und keine Demut. Sie muß eine gerechte Strafe bekommen. Dann kramte sie eine kleine Phiole heraus, streifte von 10 Ähren das Mutterkorn ab, tropfte Weinsäure darauf und mischte das Ganze mit Ziegenmilch. Dann sagte sie: “Lasse die Köchin morgen damit einen süßen Brei bereiten. Das erste Lebewesen, welches Deine Tochter nach dem Verzehr dann schmählich behandelt wird ihr Schicksal sein. Siebenmal muß der Sommer den Winter besiegen, damit dieses Mahl keine Wirkung mehr hat.”
Als Edeline sich am nächsten Morgen schläfrig geräkelt und nach dem Frühstück geschrien hatte, brachte die Köchin ihr den Napf ans Bett, und sie schlang den Brei gierig in sich hinein. Da war auf einmal ein Sirren in der Luft, Ameisen waren auf Hochzeitsflug.
Aus der Zimmerecke krabbelten in einer Linie viele hundert Ameisen und schwirrten im Raum herum. Sie setzten sich auf ihre Bettdecke und knabberten die Reste aus dem Napf.
Wie eine Furie schlug das Mädchen auf die Tiere ein und schrie: “Verschwindet ihr elenden Viecher, was erdreistet Ihr Euch, mich zu stören!” und klatschte sie mit einer Fliegenklatsche tot. Da gab es auf einmal einen Blitz und einen grollenden Donner und…
Edeline war verschwunden. Die Köchin erstarrte vor Entsetzen.
Die hochnäsige Jungfer war eine Ameise geworden. Ein ganz neues Leben beginnt.
Nur beim jährlichen Hochzeitsflug sind die Weibchen und Männchen beflügelt. Nach der Befruchtung werfen die Weibchen ihre Flügel ab, und die Männchen sterben. Die Königin hat Edelinde als Arbeiterin eingeteilt. Sie wohnt mit vielen anderen in einem winzigen Erdkämmerchen und muß am Nest- und am Straßenbau mithelfen. Doch sie versteht nicht, was sie tun soll und meint hochnäsig: “Ihr müßt schon deutsch mit mir reden, sonst rühre ich keinen Finger.” Da zeigten ihr die anderen wie man zur Verständidgung mit den Fühlern am Kopf klopfen kann oder streichen, mal schnell und mal langsam. Das ist wie bei einem Morsealphabet. Nun verstand die Störrische. Aber gleich kam: “Was, ich soll in der Erde wühlen, da werden meine zarten Finger doch schmutzig , igitt, das tue ich nicht.”
Aber sie mußte es tun, wie alle anderen auch. Es war schwere Arbeit. Als sie einmal beim Ast-transport anstatt zu tragen, sich selbst tragen ließ, ist ihr das sehr schlecht bekommen. Mit ihrem Leib mußte sie, als in der Ameisensraße ein Spalt war, zusammen mit anderen eine Brücke bilden, um die Lücke zu schließen. Die Straßen wurden übrigens häufigt mit einer Hin- und Gegenspur gebaut, und Edelinde brachte als “Geisterläufer” den ganzen Verkehr durcheinander.
Ihr alter Vater war gramgebeugt über den Verlust seiner Tochter. Er wähnte sie tot und für immer verloren. Doch eines Nachts hatte er einen Traum. Er sah eine Ameise auf dem Gutsturm hocken und bitterlich weinen, war das Edeline ?
Er ging zur Nonne und bat sie um Gnade für das Mädchen, aber die Zeit war noch nicht um, und die Wandlung noch nicht vollzogen.
Edeline wurde Soldat. Sie mußte den Ameisenbau vor Feinden schützen, und schließlich erlernt sie die Brutpflege. Sie wäscht die Eier, sie füttert die Larven und trägt sie an die Sonne und hilft den Puppen beim Schlüpfen. Aus Eiern, die nahe bei der Königin liegen, können durch Extranahrung neue Königinnen heranwachsen. Diese wohnen dann als Unterköniginnen mit im Bau, oder lassen sich in der Nähe nieder und ziehen ein eignes Volk auf. Meist sind die beiden Staaten dann durch Straßen verbunden und man tauscht Lieharbeiter aus.
Und wieder hat der Vater einen Traum. Er sieht eine Ameise in seinem Park, die liebevoll eine Larve pflegt.
Sieben lange Jahre sind vergangen. Da sitzt auf einmal Edelinde in ihrem Bett, vor sich eine Breischüssel. Das Zimmer erscheint ihr wie ein riesiger Saal, und die Frau, die vor ihr steht, hat sie noch nie gesehen. Mühsam erkennt sie ihren greisen Vater, der den Hof an seinen Sohn übergeben hat. Der ist der Herr. Der junge Edelmann, der einstmals um sie geworben, und den sie mit Hohn und Spott zurückgewiesen, hat sich längst eine andere Frau genommen. Edelinde ist zuhause eine Fremde.
Da verläßt sie das Gut, zieht sich nun auch in den Nonnengrund zurück und führt ein einsames, karges Leben. Sie hilft, wo Hilfe nötig , und sie gibt, wenn Not herrscht. Im Dorf nennt man sie “den Engel von Asemissen”.
Aber ihre Kräfte schwinden dahin, und ein langes Siechtum beginnt.
Ihr Vater läßt für sie ein wunderschönes Grabmal bauen und Ameisen umrunden den Platz.
Edelinde ist vom Hochmut genesen.
Sie ist die verlorene Tochter gewesen.
Doch als sie endlich zurückgekommen,
Wurd’ sie barmherzig aufgenommen.
Fortweil hat sie nur Gott gedient
Und alle ihre Schuld gesühnt.
Das Wort Asemissen bedeutet “Haus bei den Eschen”, aber ich glaube, es ist irgendwie von Ameisen, Amissen abgewandelt.