Aqualenchen. (Die Mühlen von Hillegossen)

Bielefeld jammert ja immer, daß die Stadt so wenige interessante Gewässer zu bieten hat. Na ja, mit dem Rhein kann sich unsere Lutter, die ja auch noch zum größten Teil verroht, also unsichtbar ist, nicht messen. Aber früher gab es doch einmal einen Stadtteil, der sehr vom Wasser gelebt hat. Doch wer weiß das schon?

Aqualenchen Titel

 

Irgendwo hinter dem kleinen Berg im tiefen Tann des Teuto entspringt der Forellenbach. Er fließt zusammen mit dem Sehlhausenbach durch Hillegossen, verbindet sich im Norden mit der Lutter und ergießt sich schließlich über Aa und Werre in die Weser. Aus seiner Quelle ist auch mit einem großen Schwall das Aqualenchen herausgeflutscht.
Aqualenchen ist eine Wasserjungfer. Ihr wißt ja, die ganze Natur ist erfüllt von Zauberwesen. Es gibt gute, die die Menschen beschützen und ihnen helfen, es gibt böse, die nur Unheil anrichten, und es gibt auch viele, die nur Schabernack treiben und die Welt veräppeln.

Aqualenchen ist noch sehr jung, ein Backfisch also, und sie ist behaftet mit genau den verrückten Ideen eines solchen Geschöpfes, mit den Launen, den tollen Plänen und mit dem Übermut und der Schwermut. Wie alle Naturgeister sind auch die Wassergeister eingeteilt. Die ganz Jungen müssen sich erst einmal an den Bächen bewähren. Die Hüter der Flüsse sind meist ältere Mütter oder Tanten, man nennt sie Flußmuhmen, die mit Bedacht und Güte ihre Hütearbeit verrichten. Die Beschützer der großen Stöme sind dann starke, kluge Wassermänner, und der oberste Boss ist Poseidon, der Herr der Meere.
Aqualenchen hatte sich viel vorgenommen. Ihr Bach sollte berühmt werden und reiche Erträge bringen. Und so hexte sie erst einmal an allen 70 Häusern der Bauernschaft ein Zettelchen ans Scheunentor:
“Wer will zählen zu den Schlauen,
der muß eine Mühle bauen.”
Und vor 1329 war die Obermeiermühle die erste am Forellenbach.
1972 wurde sie ein Raub der Flammen.

Mühle evcht

Für die Bauern, die von ihrem eigenen Korn auch ihr eigenes Brot buken, war der Wasserreichtum in Hillegossen ein großer Gewinn, denn mit einer eigenen Mühle konnten sie nun auch ihr Mehl selbst mahlen.
Und zu Aqualenchens großer Freude entschloß sich nun ein Kolon nach dem anderen eine Hausmühle zu bauen. Waren es zunächst nur Kornmühlen, so kamen später Ölmühlen, Bokemühlen zum Flachsbrechen und Sägemühlen hinzu. Im 19.Jahrhundert glich der Forellenbach einer Mühlenstraße.
Die kleine Wassermadam wußte genau, wie wertvoll ihr Bach war, denn ohne Wasserkraft mußte das Korn in Göpelwerken mit Pferden oder Ochsen betrieben werden. Und in früherer Zeit wurde der Göpel mit Menschenkraft betrieben.

Göpelmühle Pferd

Göpel handbetrieben

 

Über so reges Leben am Forellenbach freute sich Aqualenchen sehr. Es hatten sich neben den vorhandenen Mühlen noch eine Messermühle und schließlich eine Papiermühle angesiedelt, denn das klare Wasser des Baches war für die Papierherstellung besonders geeignet. Aber leider gab es immerzu Streit unter den Mühlenbesitzern. Der eine staute zuviel Wasser, sodaß es dem anderen fehlte. Man beschwerte sich über Verschmutzung des Baches. Es störten Lärm und Gerüche. Besonders die Bauern im Kreise der Papiermühle waren sehr ungehalten. Sie klagten über den Gestank der Lumpen, die von den Händlern mit Sammenerlaubnis aus dem ganzen Bezirk zusammen-getragen wurden und das Grundmaterial zur Papierherstellung bildeten. Und man ging vor Gericht. Doch immer, wenn sie merkte, daß Unzufriedenheit aufkam, klappte sie ihre Flossenfüße zusammen und wandelte sich zu menschlicher Gestalt. Sie mischte sich unter die Streithähne und glättete die Wogen. Dem einen riet sie, ein Rohr durch des Nachbarn Feld zu liegen, um wieder genug Gefälle zu haben, dem nächsten gab sie den Rat, neben der Korn- noch eine Ölmühle anzuschließen, um den Gewinn zu erhöhen. Gegen die Einführung der Mühlensteuer konnte sie jedoch nichts tun, aber es herrschte Frieden.

Mühlenstraße

Doch dann geschah etwas, was nicht geschehen durfte. Die tüchtige kleine Wasserjungfer verliebte sich in den Sohn des Obermeiers, und dessen Herz schlug ihr entgegen. Und so hatte sie bei dem eingeführten Mühlenzwang seine Mühle bevorzugt, und alle mußten jetzt ihr Korn beim Obermeier mahlen lassen. Das brachte die kleinen Mühlenbesitzer auf, sie wurden rebellisch.
Da griff Poseidon ein und rügte die Jungfer: “Ich warne Dich Aqualene,
Tue redlich Deine Pflicht!
Gute Geister lieben nicht!
Die, diese Regel nicht verstehn,
werden immerdar vergehn.”
Darüber werdet Ihr Euch wundern, aber es ist wirklich so. Einen guten Ausgang finden Liebende im Märchen nur, wenn ein Mensch durch Zauberkräfte mit einem Bann belegt, gefangen gehalten oder in ein Tier verwandelt wurde und nur durch den Partner erlöst werden kann. Etwa der Prinz, der bei Grimm in einen Frosch verwandelt wurde, oder Hauffs Zwerg Nase, der mit Hilfe eines Kräutleins wieder Mensch wird.
Aber eine Zuneigung zwischen einem Menschenkind und einem Zauberwesen endet stets im Verhängnis. Bei Andersen opfert sich die kleine Seejungfrau aus enttäuschter Liebe selbst. Und unser kleines Aqualenchen denkt mit Schaudern an das Schicksal der armen Schneefrau und schlüpft traurig in ihre Quelle zurück.
Von da ab verödete der Forellenbach. Immer mehr Mühlen verschwanden. Allein die Papiermühle, die als einzige immer größer wurde, verdrängte sechs Mühlen. Und dann wurde durch die Erfindung der Elektromotoren die Wasserkraft nicht mehr gebraucht und in riesigen Fabriken wurden Werkzeuge schneller und billiger hergestellt. Besonders die Kornmühlen wurden überflüssig, denn das Mehl aus den großen Werken ist weißer, hält sich länger und ist billiger obendrein. Die Menschen backen nicht mehr ihr eigenes Brot, sie gehen zu Jibi und kaufen es fertig, meist sogar gleich mundfertig geschnitten. Nur kauen müssen sie noch selbst. Wo dreht sich heute noch ein Mühlrad?

Wassermühle 2

Aber neulich habe ich gehört, daß die kleine Aqualene beim Bielefelder Stadtdirektor nachgefragt hat, ob sie nicht vielleicht als Schutzgeist für die Lutter Verwendung finden könne. Denn diese wird ja in letzter Zeit doch wieder immer mehr an die Oberfäche gebracht. Ein Leben in der Großstadt würde ihr sehr gefallen.

Lutter offen

1 Kommentar zu „Aqualenchen. (Die Mühlen von Hillegossen)“

  • Maximilian:

    Die Geschichte ist echt gut, besonders wegen der schönen Bilder. Echt toll!!!!!!!!

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