Die Schneefrau. (Zerflossene Liebe)

Schneefrau Titel

Eng an den Berg geschmiegt liegt die Burgstraße. Hier wohnt Paul.Schon seine Urgroßmutter wohnte hier in einem der damals winzigen Giebelhäuschen aus Fachwerk, über deren Dächer der Turm des neu gebauten Rathauses schwebte, und wo die Kinder auf der Türschwelle saßen und mit Murmeln spielten.

Burgstraße0001

Die alten Häuser gibt es nicht mehr, und Paul wohnt in einem neuen Haus. Er hat auch nicht mit Murmeln gespielt, und hat meist Legomodelle zusammengebastelt. Oder er traf sich mit anderen Kindern auf dem Spielplatz an der Promenade, stromerte auf der Burg herum, und im Winter gings zur Hundewiese zum Schlittenfahren.

Paul ist einsam. Er träumt von einer jungen Frau, doch die ist so fremd. Sie verdeckt ihr Haar, und wendet keusch den Blick. Sie geht nicht zum Tanz, und sie ißt kein Schwein, und sie betet zu einem anderen Gott.
Paul arbeitet im Grundbuchamt am Landgericht. Es ist Freitag Nachmittag, und, freudig seiner Akten entronnen, macht er einen Spaziergang im Berg. Da sieht er Jungen, die gerade einen großen Schneemann gebaut haben.

Schneefrau Kinder

Ihm kommt der Gedanke, warum gibt es immer nur Schneemänner? Und voller jugendlichem Übermut beginnt er im häuslichen Garten, eine Schneedame entstehen zu lassen. Zwei Augen aus Eierbriketts, den Mund aus einer roten Rübe geschnitten, blonde Zöpfe aus Stroh vom Kaninchenstall geflochten, und schon guckt ihn die Dame lächend an. Nun bekommt sie noch eine Kette aus Kastanien, und einen alten Schal, der als Scherpe dient. Wie verzaubert von seinem eignen Werk gibt Paul der Schneedame einen zarten Kuß auf die Stirn.

Schneemann

Am späten Abend geht er noch mit einem Kumpel ins Brauhaus. Sie trinken eine paar Gläser Bier und brechen kurz nach Mitternacht auf. Als Paul die Burgstraße hochgeht, weht ein seltsamer Nebel um ihn, und ein feines Sirren und Knistern wie von seidenem Taft schwebt im Raum. Da, jetzt hört er ein Raunen:
Mein Mund ist rot, mein Kleid ist weiß
Oh, große Not, mein Herz ist Eis.
Kopfschüttelnd legt sich Paul zur Ruhe, hatte er ein Bier zuviel getrunken? Am Morgen schaut er nach seiner Schneefrau im Gärtchen. Die steht noch immer am Zaun, doch er findet, daß die Kohleaugen traurig wirken. “Mann”, tadelt er sich selbst. “ich glaube, Du fängst an zu spinnen.”
Am nächsten Abend wird spät in der Sportschau ein Spiel von Arminia übertragen. Schneefrau mensch

In der Runde wird noch bis tief in die Nacht diskutiert. Da geht plötzlich die Kneipentür auf, und es erscheint eine wunderschöne junge Frau in einem langen weißen Kleid. Sie trägt eine lila Scherpe um die Hüfte und ihre strohbunten Locken umschmeicheln eine Perlenkette an ihrem Hals. Paul starrt das Wesen an, das sich lockend ihm nähert. . . . ! ! !Ist das nicht seine Schneefrau?

Wortlos nimmt sie Platz in der Männerrunde zwischen abgewetzten Jeans und Kaputzenshirts, und wortlos wird sie von allen angestarrt, Eine Märchengestalt in der Kneipe. Sie beugt sich zu Paul und flüstert:
“Mein Kleid ist weiß, doch mein Mund ist rot,
erwärmt mein Herz, oder ich bin tot.”

Dann ging sie zur Tür hinaus. Paul stürzte hinter ihr her, aber draußen war nur Kälte und Nebel.
Als nun in der dritten Nacht die Zeiger der Uhr sich auf der 12 treffen, verwandelt sich die Schneedrau zum letzten Mal. Sie klettert die Treppe hinauf in Pauls warmes Zimmer. Sie findet ihn, einen Krimi lesend, auf dem Sofa. “Ich will zu Euch gehören, ich will in Deine Welt. Hilf mir.” Und Paul erklärte ihr, daß es eine sehr große Veränderung für sie sei, und daß sie viel lernen und vieles aufgeben müsse. Und sie redeten, sie fragten und sie stritten sich und sie waren Feuer und Eis. Und kaum merkten sie, daß die Stunde der Verwandlung sich dem Ende zu neigte. Die Schneefrau stürzte davon. Sie floh über die Treppe nach unten und blieb mit ihrem Kleid …… oh Schreck …… an den Stacheln des großen Kaktus hängen. Sie konnte sich nicht schnell genug befreien. Die Uhr schlug Eins.

Schneefrau fliehend mit Kaktus

Als Paul am anderen Morgen die Treppe herunterkommt, sieht er nur eine große Wasserpfütze, darin schwimmt eine Kette aus dicken Kastanien und am Kaktus hängen ein paar weiße Stofffetzen. An der Wand aber leuchtet eine Schrift auf:
Mein Kleid war weiß, meine Augen sind leer.
Meinen roten Mund gibt es nicht mehr.
Die Brücke zum anderen Leben zerfällt.
Ich muß zurück in meine Welt.
Der Platz am Zaun im Garten ist leer.

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Paul denkt an das fremde Mädchen, das ihm so sehr gefällt, und doch so anders ist. Und er denkt an seinen alten Geschichts-lehrer und die gruselige Erzählung von den Menschen die einst doppelt geboren worden seien.
Doch diese machtvollen Geschöpfe, so heißt es, hätten den Neid der Götter erregt, und diese trennten sie in zwei Hälften. Und nun suche eine jede ihre andere, um wieder eins zu werden.

Und weiter denkt er: “Was wird, wenn zwei ganz verschiedene Hälften aufeinander treffen, können sie sich zu einem guten Ganzen vereinen? “
Dann holte er tief Luft und machte einen langen Winterspaziergang die Promenade entlang bis zur Habichtshöhe.

Schneefrau Promenade

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