Der Lebkuchenmann. (Mausen wird bestraft )
Der Teich im Johannistal war schon zugefrohren, und die Bäume und Sträucher sahen aus, als habe man die Zweige in flüssiges Glas getaucht. Es weihnachtete sehr.
Da band sich die Frau des Försters Rudi eines nachmittags ihre Küchenschürze um, holte das große Holzbrett, den Wilger und die Ausstechförmchen aus dem Schrank und begann mit dem Plätzchenbacken. Denn ein Weihnachtsfest ohne Zimzsterne, Makronen und Butterkringel ist undenkbar.
Der Förster Rudi und seine Frau Ruth lebten mit Töchterchen Rosi und dem Dackel Wurzel am Steinbrink im Buchenwalde. Vater Rudi war mit Wurzel in den Wald gegangen, um nachzusehen, ob der Eisregen im Revier viel Schaden angerichtet hatte. So blieb Mutter Ruth also genügend Zeit, noch Schokoladenguß auf die Sternchen zu streichen, und die kleine Rosa streute bunte Streusel darauf. Zum Schluß buken sie noch einen lustigen Lebkuchenmann. Er bekam auf den Bauch 5 Knöpfe aus Mandeln eingedrückt und zwei dicke Rosinenaugen ins Gesicht. Als er braun gebacken war, malte ihm die Mutter noch einen großen, lachenden Zuckergußmund und weiße Schuhe. Das hätte sie mal lassen sollen.
So stand am Abend auf dem Küchentisch eine Riesenschüssel mit leckeren Plätzchen und obenauf der Lebkuchenmann. Rosi durfte sich noch die Sesamstraße angucken und mußte dann ins Bett. Auch die Eltern gingen früh schlafen, denn morgen wollte der Förster mit einer Kolonne kräftiger Männer im Wald, um die durch den Eisregen abgebrochenen Äste wegzuräumen.
Es war Mitternacht, da reckte sich der Lebkuchenmann. Er hatte Hunger! Ja hätte ihm die Mutter doch keinen Mund gemalt, denn wer einen Mund und Zähne hat, der will auch etwas zu Beißen haben. Und so machte sich der Lebkuchenmann über die Plätzchen her. Ratzeputzekahl gefressen hat er die Schüssel bis zum nächsten Morgen. Er selbst aber war mit jedem Bissen größer und dicker geworden. Er war mächtig stolz und dachte: “Es ist besser, ich verstecke mich.
Als Mutter Ruth in die Küche kam und die leere Schüssel sah, erschrak sie sehr. Dann wurde sie ärgerlich und schimpfte mit Wurzel: “Du böser Hund, hast die ganzen Plätzchen verdrückt und sogar den schönen Lebkuchenmann, pfui! Zur Strafe gibt es heute kein Fressen.” Wurzel zog den Schwanz ein, verkroch sich unters Sofa und war beleidigt.
Am Nachmittag holte des Försters Frau wieder ihr Brett, die Förmchen und den Wilger heraus, rührte einen neuen Teig zusammen, rollte aus, stach Sterne und Herzchen, verzierte alles und freute sich über die Leckerbissen. Einen zweiten Lebkuchenmann hatte sie allerdings nicht gemacht. Die Schüssel stellte sie ganz oben auf den Küchenschrank und sagte: “So Wurzel, diesmal hast Du das Nachsehen. Hier oben sind meine Plätzchen vor Dir sicher.”
Und dann war es Mitternacht. Der Lebkuchenmann erwachte, kroch aus seinem Versteck und hatte Hunger. Der Duft der frischen Plätzchen stieg ihm in die Nase, und hurtig kletterte er am Küchenschrank hoch und aß bedächtig eines nach dem anderen. Schmatzte, leckte sich die Finger ab und meinte: “Das tat gut!” Er war wieder ein Stückchen gewachsen, aber beim Herunterrutschen vom Schrank bröckelte ihm die Bemalung vom linken Schuh ab. Doch er kroch satt und zufrieden in sein Versteck.
Wie verzweifelt war die Mutter, als sie am nächsten Morgen wiederum vor einer leeren Schüssel stand. Jetzt verdächtigte sie sogar ihren Mann, denn wer hätte sonst auf den hohen Schrank greifen können: “Hast du heute Nacht die Plätzchen aufgegessen? Es ist doch kaum zu glauben, was Männer für einen Unsinn machen können.” Nun wurde aber der Förster böse: “Sag mal Frau, bist Du nicht gescheit. Ich bin doch kein Vielfraß. Ich habe geschlafen heute Nacht, genau wie Du.”
Und zum drittenmal stellte sich Ruth in die Küche und buk eine Schüssel voll Weihnachtsgebäck. Diesmal nahm sie diese mit in ihr Schlafzimmer.
Der Lebkuchmann war inzwischen fast so groß wie ein Mensch geworden und hatte als einziges Versteck den Platz unter den Ehebetten gefunden.
Da, es war kurz nach Mitternacht. Die Frau erwachte von einem Mampfen und Schmatzen. Hastig rüttelte sie ihren Mann wach: “Steh auf Mann, schnell hol Dein Gewehr, ich höre den Räuber, er ist hier im Zimmer!” Aber sie war so aufgeregt, daß sie das Knöpfchen von der Nachttischlampe nicht so schnell fand. Der Lebkuchenmann nutzte die Zeit und sprang hurtig zum Fenster hinaus in den Garten und war verschwunden.
“Durchs Fenster ist der Lump,” schrie die Entsetzte, “ich habe ihn gerade noch entwischen sehen. Er steckt in einem braunen Overall und hat den linken Schuh verloren.” Aber soviel sie auch suchte, einen linken Schuh fand sie nicht.
Der Lebkuchenmann lief in den Wald. Nun hatte er aber in der Nacht nicht nur einen Teil der Plätzchen sondern auch sieben Rumkugeln verschlungen und war im Koopf ganz betrunken. Er fühlte sich richtig stark und schmiedete große Pläne. Endlich dachte er: “Was brauch wir einen Nikolaus, wenn ich doch da bin. Ich werde dem Alten auflauern, ihn gefangen nehmen und alle Süßigkeiten selbst aufessen. Hei, das wird eine Freude, dann werde ich der Stärkste auf der Welt. Schließlich brauchen wir auch keinen Weihnachtsmann mehr, den werde ich auch einfangen und alle Geschenke sollen mir gehören.
Schon meinte er, in der Ferne den Schlitten von Knecht Ruprecht zu hören und torkelte voran. Es waren jedoch nur Zweige gewesen, die klirrend von den Bäumen brachen. Er stolperte darüber und verlor dabei seine Mandel-Mantel-Knöpfe, sodaß er obenherum ganz nackt war und entsetzlich frohr.
Da sah er in einer Senke einen verrosteten Kotflügel und zwei alte Autoreifen herumliegen. Hatte mal wieder irgendeiner den Wald als Müllkippe benutzt. Er baute sich aus den Reifen ein Nest, kroch hinein und deckte sich mit dem Kotflügel zu.
Dann dachte er nach: “Ich werde allein meinen Plan nicht durchführen können. Ich brauche starke Helfer, eine Räuberbande oder ein Regiment Soldaten oder andere bärenstarke Kumpanen.” Und plötzlich hatte er einen Geistesblitz: “Bären , hallo Bären, das wär’s.” Er sprang auf und schlich zum Försterhaus. Er wußte, in der Küche stand eine Dose, in der die Frau Salzstangen, Bonbons und Gummibärchen aufbewahrte. Unbemerkt konnte er die Tüte mit den Bärchen klauen und wieder verschwinden. Seine Überlegung war: “Wenn ich so gewachsen bin, weil ich etwas in mich hineingestopft habe, das aus dem gleichen Material ist wie ich selbst, so brauchen die Gummibärchen doch nur tüchtig Gummi zu fressen und werden zu einer wilden Bärenschar.
Also setzte er die roten, grünen und gelben Teilchen auf die Autoreifen und befahl: “Los, nun freßt mal tüchtig, aber dalli, dalli, denn ich brauche Euch bald.” Leider geschah garnichts. Die Gummibärchen hatten keinen Mund, und selbst wenn sie einen gehabt hätten, wären ihnen die verrotteten Winterreifen nicht bekommen.
Der Lebkuchenmann war außer sich vor Wut. Er wurde schon immer dünner und kleiner , denn er hatte ja schon lange nichts mehr gegessen. Und nun fing es auch noch an zu tauen. Das Wasswer tropfte ihm auf Kopf und Bauch und er wurde immer weicher und weicher.
Als Förster Rudi am nächsten Morgen wieder seinen Kontrollgang durch den Wald machte, fing Wurzel auf einmal freudig an zu kleffen. Er hatte ein Häufchen Kuchenmatsch entdeckt, was er schwanzwedelnd aufschleckte. Am besten schmeckten ihm die zwei Rosinen, die darin steckten.
Weil Rosi gar so bettelte, buk die Mutter kurz vor Weihnachten noch einmal einen Lebkuchenmann, allerdings malte sie einen dicken weißen Vollbart diesmal an Stelle des Mundes, und den hat das Kind dann am 2.Feiertag zusammen mit einer Tasse Kakao verputzt.
O je, ich muß Schluß machen, draußen poltert es an der Tür. Das ist bestimmt der Nikolaus. Was ein Glück, daß ihn der Lebkuchenmann nicht erwischt hat.