Der Holtertiobolt. (Handwerk in Bielefeld)

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Wie ich mir so neulich die freigelegte Lutter am Waldhof ansehen wollte, kam ich am Kindermannstift vorbei und hörte, wie mein Enkel im Chor gerade “wer will fleißige Handwerker sehn” schmetterte. “Ach ja”, dachte ich, wo gibt’s denn heute überhaupt noch Handwerker, allenfalls in Taiwan oder in Indiens Kellern. Was war früher ein Handwerksmeister doch für ein geachteter Mann, und es brauchte viel Fleiß und Geschick, ein solcher zu werden. Es herrschte damals ein Ständedenken, und man war sehr darauf bedacht, seinen Stand zu bewahren.
Doch was der Holtertibolt damit zu tun hat, das will ich jetzt erzählen.

Nun, er ist ein ganz verschlagener Gnom. Wahllos sucht er sich seine Opfer aus, ob Schulkind, Hausfrau oder Professor, am liebsten aber einen Handwerker. Er nistet sich in die Köpfe ein. Er gibt vor, den Leuten zu helfen, auf daß sie ihre Arbeit fix beenden. Aber er macht die Finger fahrig und die Hirne wirr und schneidet “schnipp ! schnapp!” ihren Erfolg ab, sodaß:
das Glas zerbricht, die Nadel sticht,
die Flamme erlischt und das Werk vernicht.

Bierhalle mit Trinkern

Nun saßen an einem schönen Vormittag drei junge Männer in Steins-Bierhalle am Gehrenberg zum Frühschoppen beisammen, ein Knochenhauer, ein Wüllner, das ist ein Tuchmacher, und ein Schottelierer, also ein Tischler. Diese Handwerker waren in Ämtern vereint, die die Ausbildung überwachten ebenso wie die Zulassung zur Meisterprüfung. Sie achten auf die Qualität der angefertigten Werkstücke und sorgen für die Familien, beim Tod eines Mitgliedes.
Am Nebentisch saßen ein paar Handwerker, die nicht in Ämtern vereint waren. Es waren ein Beuteler, ein Perückenmacher und ein Blaufärber. Die beiden Gruppen gerieten in einen heftigen Streit, wer wohl das beste Meisterstück bringe. Nach langer, heftiger Redeschlacht bestimmten sie schließlich, daß der Schottelierer einen soliden großen Eßtisch aus Nußbaum fertigen möge, und der Blaufärber dafür ein kunstvolles Tafeltuch. In 10 Tagen, so war man sich einig, sollten sie ihre Arbeit vollendet haben.
Holtertibolt hopp hopp
August, der Blaufärber ging sogleich daran, ein Model zu schnitzen. Eine singende Nachtigal wollte er zeigen für das Mittelstück, im Rapport sollten Sonnenblumen die Decke kränzen. Doch da!!! Es hatte sich der Holter-tipolt, seriös herausge-putzt, auf ihn gehockt und flüsterte ihm ins Ohr:
“Beeil dich, beeil dich, die Zeit ist kurz!” Dann führte er ihm die Hand, die das Schnitzmesser hielt, und … da, das Schnäbelchen des Vogels war weggeschnitten. Der arme Gustel mußte noch einmal von vorne anfangen. Schadenfroh grinste der Wicht und hüpfte mit langen, großen Schritten zum Heinrich.

“Heiner, bist Du noch nicht fertig, noch nicht fertig? Oooooo! Der Gustel ist schon weit, schon weit!” Aber der Heinrich ließ sich nicht beirren und sagte: “Gut Ding will Weile haben.” Scher Dich fort.” Der Holtertipolt ärgerte sich.
Inzwischen hatte der Blaufärber ein schönes neues Model geschnitzt, und das Schnäbelchen war besonders gut gelungen. Es sah aus, als ob der Vogel sänge. Er holte das große Stempelkissen, und mit der aus Waid gewonnen Farbe, die sich an der Luft blau färbt, wollte er gerade das Model mit dem Schlägel auf’s Leinen drücken, da kam der Holterdipolt angehüpft. “Bist Du noch nicht weiter? Der Tisch vom Heiner hat schon drei Beiner, drei Beiner!” Und, holtertipolt! was passierte? Der Farbtopf viel um, und das ganze teure Leinentuch war verdorben. ” Hihihi hiiii, gut so, gut so!” hämte der Gnom.
Acht Tage waren schon vergangen, da kam der Holtertipolt wieder zum Heinrich. Der hatte wunderschöne Intarsien in seine Tischplatte gelegt. Aber sie mußten in großer Ruhe geklebt und gepreßt werden. “Heiner, was trödelst Du, was trödelst Du. Der Gustl wird dir den Siegerplatz streitig machen, hopphopp, hopphopp!”Holter Intarsien

Heinrich war gerade dabei kunstvolle Blumen zu legen, deren Blätter aus Ebenholz, die Kelche aus Elfenbein und die Blüten aus Perlmutt waren. Und so schimpfte er ärgerlich: “Laß mich in Ruhe!”Und er griff sogar zum Stecken, um den lästigen Kerl aus der Stube zu treiben. “Geh doch zum Teufel!”
Und das tat der Holtertipolt dann auch. “Lock ihn ins Gasthaus, damit er sich einen Rausch ansaufe,” antwortete der um guten-schlechten Rat Befragte. “Aber” höhnte der Höllenknecht, “warum denn mühest Du Dich so emsig, ist doch Beharrlichkeit Deiner Art ganz zuwider.” “Tja, weißt Du denn nicht, weißt Du denn nicht, daß mir der Deche einen Posten versprochen hat, wenn ich erreiche, daß kein Meister mehr aufgenommen werde. Die Gilden sind voll, die wollen keinen Neuen mehr haben in ihren Reihen. Ihr Ansehen und ihr Einkommen werde sonst geschmälert, geschmälert.” Doch so sehr sich der Holtertipolt auch mühte, Heinrich ließ sich nicht verführen. Er ging zwar ins Wirtshaus, denn es war nicht mehr wir früher, wo jeder seinen eigenen Trank brauen konnte, wenn er nur die städtischen Braupfannen benutzte, heutzutage mußte man sein Bier eben käuflich beim Wirt erwerben, der dafür dann Steuern zahlte. Aber er behielt seine Sinne und seinen klaren Kopf. Und pünkllich am zehnten Tag lieferte er sein Meisterstück ab. Und es war wahrlich meisterlich. Sein Onkel, Heinrich Gläntzer, kaufte den Tisch. Und man konnte ihn lange Zeit in dessen Wohnraum bewundern, bis die Bomben das Haus und den Tisch vernichteten.

Tisch bei Glänzer

Intarsie Tisch
Etwas später hat übrigend der Heinrich noch ein kleines Beistelltischen mit Intarsien gearbeitet. Und wißt Ihr denn auch wo das steht? Bei uns in der Luisenstraße im Wohn-zimmer. Da liegt der Atlas drauf und das Büchlein mit den Vogelarten, damit wir immer gleich nachschlagen können, wer sich gerade am Vogelhäuschen sattfrißt. Eine Nachtigal ist leider noch nicht dabei gewesen.

Und was ist aus dem Gustel geworden? Der hat sich später ganz auf edle Leinendecken spezialisiert. Für 35 Gulden konnte er sich in die Gilde einkaufen, und das große Festmahl, was er zu diesem Anlaß gegeben hat, war jahrelang Gesprächsstoff in Bielefeld. Man sprach von ihm dann nur noch vom “Meister”. Er hatte großen Erfolg, mußte sich bald einen tüchtigen Mann nehmen und die beiden gründeten eine Firma, die weltbekannt wurde. Der Name ist “Mann und Meister”.
Falls Ihr einmal von einem arabischen Scheich zum Grünkohlessen eingeladen werdet, dann stehen die silbernen Teller und die goldenen Gabeln bestimmt auf einer kostbaren Decke von “Mann und Meister”.

p.s. Ich glaube den Holtertipolt haben sie irgendwann auch noch in die Gilde aufgenommen, denn es ist schon schlimm, wie es bei vielen Handwerkern heute so holterdipolter zugeht.

blaudruck07

Gustels Meisterstück

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