Die Herbstzeitlose (der Fluch der Widukindburg)

Herbstzeitlose Titelbild

Hasenpatt Schild

Folgt man von der Schildescher Stiftkirche dem Hasenpatt in Richtung Enger, so führt dieser uns direkt in die Vergangenheit. Vor 800 Jahren lebte ein edler Herr auf der Engerschen Burg, der Widukindburg. Er hatte mit seinem Troß im 3. großen Kreuzzug gegen die Ungläubigen gekämpft und war mit Richard Löwenherz gen Jerusalem gezogen. Danach. Dann war er weiter durch die unbekannte Welt gestreift und hatte eine Frau aus Kolchis mitgebracht. Ihr Haar und ihre Augen waren schwarz, und ihre Schönheit und ihre Anmut hatten den Mann aus dem kühlen Norden geblendet und verzaubert.

Kolchis Anfang

Kolchis war das Land der Medea, es war das Land, in dem Blumen ihre Pracht erst im späten Herbst zeigen und ihre Blüten den Tod bringen. Man nannte sie Giftkrokus, Teufelsbrot, nackte Hur, es war die Herbstzeitlose, betörend schön aber gefährlich. Und so nannte der Edelmann sein Weib zärtlich “meine Herbstzeitlose”. Diese hatte, wie die stolze Königstochter der Kolcher, die Kenntnis der Kräuter und Gifte und galt als Zauberin. Und wie diese war auch sie in Liebe zu dem Fremden verfallen und mit ihm gegangen. Aber sie liebte auch ihre Heimat und trug um die Schulter als einzige Erinnerung das Widdervlies, mit dem sie als Kind, zusammen mit ihrem Vater, das Gold aus dem Schwarzen Meer gewaschen hatte.
Das Land mit dem alten Gemäuer der Engerschen Burg konnte nie zu ihrer Heimat werden. Sie traf auf tiefes Mißtrauen der Siedler. Man sah in ihr eine Unholdin, und man flüsterte, daß sie die Hühner verhexe, die danach blutige Eier legten, daß sie zu den Rössern spreche und diese dann ihre Wildheit verlören, und daß sie heimlich Kräuter koche und Salben braue. Und so verdächtigte man sie, eine Hexe zu sein, doch keine der niederen Art, denn diese streifen auf dem Rücken eines Wolfes durch den Wald, sie jedoch trug eine feinzisilierte goldene Gazelle im linken Ohr, und so hieß es, sie würde alleweil auf einer edlen Gazelle durch den nächtlichen Osning traben, und darob fürchteten sie das Weib um so mehr.

Gazelle0001

Als ein Jahr vergangen war, gebar die Frau zwei kleine Mädchen und nannte sie Schana und Teona. Schana war die Göttin des Glücklichseins und Teona der stille Mond. Und so waren auch die Wesen der Kinder.
Als sie nun heranwuchsen, schienen sie mit ihrem blonden Haar und den hellen Augen viel mehr ihrem Vater zu gleichen, und dieser vergötterte sie. Seine Frau jedoch wurde ihm immer fremder und er gedachte, sie zu verstoßen. Da wandelte sich deren Liebe in bergegroßen Haß, und sie sann darauf, das Leben ihres Mannes zu zerstören. So schlich sie eines nachts, als ihr Mann für Tage mit seinen Kumpanen auf einem Jagdzug war, heimlich in die Schlafkammer der Mädchen und sprach in einschmeichelndem Singsang:

“Götter Euch das Leben geben, Götter Euch das Leben nehmen
handeln auch im fremden Land durch diese, meine Mutterhand.
Laßt den Trank Euch Labsal sein, geht in die Ewigkeit dann ein.”

Sie hatte in die Becher das Tod bringende Gift der schönen Kolchisblume gemischt, und als dieses seine vernichtende Wirkung vollendet hatte, stieß sie die Nachtkerze um, und die ganze Kammer ging in lodernde Flammen auf.

Kolchis Brand 3

Als man die armen Körper der Kinder gebahret hatte, schlüpfte die Mutter, als Klageweib verkleidet, in die Totengruft hinein und schnitt mit einer Fasanenschere die Ringfinger der beiden ab.
An jedem steckte ein Goldreif. In den einen war ein “A” graviert, in den anderen ein “T”. Sie wickelte die verkohlten Fingerlein in eine Pergamentrolle und ließ diese von einem gedungenem Knecht ihrem Gemahl überbringen. Dieser sah sein ganzes Glück vernichtet und Schwermut trübte seinen Sinn. Er bettete die schwarzen Knöchelchen auf ein kleines Brokatkissen und legte es in eine zierliche Schatulle aus Elfenbein. Und immer, wenn der Mond im vollen Kreis stand, öffnete sich das Kästchen ein wenig, und er meinte, das glückliche Lachen seiner Kinder zu hören. Und für einen Augenblick überflutete ihn Trauer und Glück zugleich.
Hundert Jahre später unterlag der Edelherr Simon in einem Streit dem Grafen von Ravensberg, und dieser ließ die Burg bis auf die Grundmauern schleifen. Heute steht an ihrer Stelle das Stracksche Haus. Beim Ausschachten fand man tief im Boden einen Wappenstein mit der Lippischen Rose. Und wenn man tief genug gräbt, kann man vielleicht noch Vieles andere aus der Vergangenheit finden.

Und was ist aus der Unholdin geworden?
Sie flüchtete damals vorbei an der Windmühle und vorbei an den Meyerhöfen in eine Höhle unter dem Weißen Stein und ward nie wieder gesehen. Aber in jedem Spätherbst blühen am Fuße des Steins die Herbstzeitlosen, und der Wirt des Gasthofes am Rande meint, manchmal in der Nacht ein schauriges Seufzen von dort her zu hören.

Kolchis weißer Stein

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