Der falsche Eidam. (Ölmühle am Sültebach )
Es war vor langer, langer Zeit. Da nannte man das Weib des Sohnes “Söhnerin”, und den Mann der Tochter “Eidam”. “Muhme” bezeichnete die Tante und “Oheim” den Onkel, der Patenonkel aber war der “Gevatter”. Heute findet man diese Bezeichnungen meist nur noch im Märchen, allenfalls der “Vetter” hat sich in unsere Zeit retten können, während man die “Base” schon nicht mehr kennt.
Damals war es auch noch viel leichter, sich für einen Beruf zu entscheiden. Es gab noch keine Piloten oder Informatiker, keine Betriebswirte, keine Nahrungsmittelchemiker, Soziologen oder Psychotherapeuten, keine Automechaniker oder Fernsehmoderatoren. Man wurde Bäcker, Schneider oder Seifensieder, und wenn man ganz schlau war vielleicht auch Arzt oder Pfarrer. Sehr angesehen waren die Müller, denn sie hatten nicht nur eine Werkstatt, sondern eine Mühle und verdienten gutes Geld. Und so will ich nun von einer Mühle erzählen.
Im nördlichen Teutoburger Wald liegt noch heute eine alte Ölmühle. Der Sültebach treibt das mächtige Holzrad an, welches die Kraft schließlich auf das Königsrad überträgt, das wiederum das Mahlwerk antreibt. Hier werden mit lautem Knacken und Knirschen die Schalen der Ölfrüchte zerquetscht. Die Masse wird kurz erhitzt und das Öl dann im Stampfwerk ausgeschlagen.
Die Mühle hat da schon vor 500 Jahre gestanden, und zu dieser Zeit war es, daß ein alter Müller gramgebeugt in seiner Mühle saß. Er trauerte um sein Töchterlein. Nicht der Gevatter Tod hatte sie ihm entrissen, es war ein böser Streit gewesen, der sein Kind so sehr betrübt hatte, daß es sich vom Vater geschieden, ihn verlassen und in die Ferne gezogen war. Kein Brief, kein Wort hatte er je wieder von ihm gehört. So machte der Alte sein mühevolles Tagewerk, verdrossen und einsam.
Nun gab es in der weiteren Nachbarschaft einen mißgünstigen Burschen. In seinem Dorf nannten alle ihn nur “die Ratte”.”Hei”, dachte der, “es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es mir nicht gelingen würde, den alten Mehlsack um seine Mühle zu bringen. Er hat lange genug Geld gescheffelt, sollte sich doch freuen, wenn ich ihm “beistehe”.”
Es hatte der Teufel seinen Namen gehort, und Potz-Blitz stand er vor dem Dreistling. “Nicht umsonst spricht man von mir, Du willst die Mühle. Höre, Nur wenn es mit dem Teufel zugeht, kann Dein Begehren erfüllt werden. Aber wenn Du meine Hilfe willst, fordere ich einen Lohn. Ich will ein Drittel Deines Gewinnes.” “Du willst Geld”? fragte die Ratte erstaunt, “Du hast es doch sonst immer nur auf die Seelen abgesehen.” “Ja und, was glaubst Du, womit ich die Seelen kaufe?” Der Bursche war sofort einverstanden. “Aber sage mir, wie soll ich es anstellen?” “Sehr einfach” grinste der Teufel, “Du mußt die Tochter heiraten.” “Ja weißt du denn nicht, daß die seit Jahren verschwunden??” “Hälst du mich für einen Dummkopf, sie aufzutreiben ist für mich ein Fingerschnips, laß mich nur machen.”
Und so hatte der Müller eines Tages seltsamen Besuch. Ein junger Mann pochte an die Tür, war gekleidet in einem sauberen Wams und war von höflicher Art. Er zog das linke Bein nach, und seine Augen funkelten unheimlich. “Ich habe von deinem Kummer gehört ich bin viel gereist, hab viel gesehen und erlebt, ich will Dir helfen, Deine Tochter zu finden.” Mißtrauisch fragte der Müller: “Wie kommst du dazu , mir helfen zu wollen.” “Ich tue es aus lauter Liebe zu den Menschen”, kam die Antwort.
Der Müller überlegte: “Was konnte es schon schaden, wenn der Mann sich auf die Suche macht. Vielleicht hat er ja tatsächlich viele Fäden, die er verknüpfen kann und er findet mein geliebtes Kind.” Der Pakt ward geschlossen. Es war aber kein anderer als der Teufel, der sich in Gestalt des Burschen hier mit schönen Worten angebiedert hatte. In seiner Allwissenheit kannte er den Aufenthalt des Mädchens. Sie hatte sich in ihrer Verzweiflung voller Kummer in ein Kloster zurückgezogen, dachte mit Wehmut an ihren Vater, brachte aber nicht den Mut auf, den Schritt zurück zu wagen.
Nun kam zu ihr ein seltsamer Besucher. Mit teuflichem Scharm buhlte der um die Bekümmerte, lobte ihren Liebreiz. “Komm mit mir, komm zurück zu Deinem Vater, er erwartet Dich voller Sehnsucht.” Und sie ging mit ihm.
Der glückliche Vater wollte nun dem Fremden eine Belohnung geben. Da sagte der: “Oh liebes Väterchen, ich habe Eure liebreizende Tochter so ins Herz geschlossen, ich möchte sie für immer behüten und beschützen, gebt sie mir als Lohn zur Frau, laßt mich Euer Eidam sein.”
So wurde die Hochzeit gefeiert.
Doch noch vor der Nacht erschien der Teufel bei der Ratte: “Ich habe unseren Vertrag erfüllt, jetzt tue Du das Deine.” Eine Stichflamme schoß zischend in den Himmel empor, der Teufel nahm wieder seine wahre Gestalt an, und im Ehebett lag der falsche Eidam.
Der aber dachte garnicht daran, seinen Teil des Vertrages zu erfüllen. Er fühlte sich nun als Herr der Mühle und wollte das Drittel heimlich für sich selbst sichern. Er heuerte für ein paar Heller drei junge Halunken an, die sich nächtens, in schwarze Gewänder gehüllt, und mit langen Schläuchen bewaffnet, heimlich in die Mühle schlichen und Öl absaugten. Zwar wunderte sich der alte Müller, daß plötzlich der Raps oder die Eckern weniger Ertrag brachten, obwohl er doch ein neues Mahlwerk eingebaut hatte. Da kam ihm ein alter Müller-Spruch in den Sinn:
Schüttel, Müller , rüttel, für jeden gibt’s ein Drittel.
Eins dem Bauern eins dem Meister,
und das letzte für die Geister.
Mahle, Müller, mahle, liebst dein Leben, zahle!
So legte er sich eines nachts auf die Lauer und sah plötzlich kleine, krummbeinige Gestalten affenähnlich über die Mauer klettern. Sie waren rabenschwarz und hatten an ihren Sterten lange Schwänze. Entsetzen ergriff ihn: “Das sind die Geister!”
Aber mutig kam er in der nächsten Nacht mit einer Stalllaterne wieder
und sah nun, daß es hundsföttige Diebe waren und die Schwänze dünne Schläuche, mit denen sie das goldene Naß absaugten. Er griff zur Schrotflinte und vertrieb die Diebe.
Aber auch der Teufel wurde wütend darüber, daß man ihn betrog. So tauchte er, als der Eidam wieder einmal sebstgefällig , sich schon als Meister fühlend, das knirschende Mahlgut betrachtete, unsichtbar hinter ihm auf und gab ihm einen Stoß. Der Unglückliche wurde am herunterbaumelnden Hendsärmel erfaßt und von den tonnenschweren Mahlsteinen in den Kollergang gezogen. Sein Arm riß vom Körper ab und sein Blut vermischte sich mit dem öligen Mahlgut bis der letzte Tropfen aus seinem Leib herausgeflossen war.
Vater und Tochter verließen die Mühle und lebten unerkannt in einem anderen Land.
Lange Zeit stand die Mühle verlassen und die Leute gruselten sich, und behaupteten, in der Nacht tröpfelte rotes Blut aus ihr. Doch dann kam ein fröhlicher junger Müllerbursche, der gerade ausgelernt hatte. Er erhielt die Erlaubnis die alte Mühle zu bewirtschaften und brachte es zu hohem Ansehen. Seine Nachkommen haben über Jahrhunderte dort Öl geschlagen.
Heute ist die Mühle durch Alexander von Spiegel wieder in ihren Originalzustand versetzt worden, und man kann erleben, wie in alten Zeiten Öl gewonnen wurde.