Das Einhorn (Oetkerpark)

Einhorn

Mitten auf einer Wiese im Oetkerpark steht ein riesiger Elch, und wenn man Glück hat, so kann man im frühen Morgenrauen, wenn die Nebel noch wallen, 7 Wichtel sehen, die sich mit dem gewaltigen Tierdenkmal zu unterhalten scheinen.

Eigentlich müßte hier ein Einhorn stehen, denn vor 777 Jahren lebte Willibald in unseren Wäldern, das letzte Einhorn auf der Erde. Es war wunderschön anzusehen, denn es hatte ein schneeweißes Fell und ein goldenes Horn. Aber es war sehr einsam. Es hatte keinen Vater, der ihm Ratschläge geben konnte, keine Mutter, die ihn liebkoste und keine Geschwister, die mit ihm spielten. Nur die 7 Wichtel, die in einem Häuschen um die Ecke an der Egge wohnten, leisteten ihm hin und wieder Gesellschaft. “Ach, wenn ich doch Spielkameraden hätte, warum muß ich denn allein auf der Welt sein”, klagte Willibald ihnen sein Leid. Die Wichtel strichen sich ihre langen Bärte, schüttelten bedächtig ihre greisen Häupter und murmelten:

“Wir sind nun einmal Wesen der Phantasie. Nicht Maschinen können uns gebären und nicht irdische Mütter vermögen uns Leben zu schenken, sei zufrieden und weide auf den Wiesen der Träume.” Traurig trabte Willibald davon, und bald schlief er ein. Ein Käutzchen schrie, der Mond hatte sich hinter einer dicken Wolke versteckt, und lautlos schwebten ein paar Fledermäuse von Wipfel zu Wipfel.

Da!… Es knackte im Unterholz, erschreckt piepsend huschte eine verschlafene Spitzmaus davon. Mit leisen Trippelschritten kam der Oberzwerg heran: “Willibald, Willibald, weißt Du wenn nicht, daß Du die Gabe der Verwandlung hast? Du kannst in alles schlüpfen, was ein Horn im Namen hat. Du mußt nur an Deinem Horn dreimal rechts- und dreimal lkinksherum drehen und dazu sagen:

“Horn, Horn wand’le Dich, gib mir schnell ein anderes Ich!”

einhorn

Willibald war voller Freuund und fing sofort an zu drehen und zu wünchen. Es gab einen grellen Blitz, und er stand auf einmal als ein bulliges, wildschnaubendes Nashorn im Walde. Erschreckt rief der Zwerg: “Willibald, hier kannst du nicht bleiben, leb wohl, geh nach Afrika, dort ist deine Familie.”

In der Savanne fand Willibald eine kleine Herde, aber er wurde nicht freundlich begrüßt. Nun hatte er zwar Artgenossen, aber als Fremdling wurde er nicht angenommen.

Betrübt drehte er wieder an seinem Horn und wünschte sich ein anderes Ich. Und siehe, da schrumpfte er auf einmal winzig klein zusammen. Er bekam sechs Beinchen, so dünn wie Spinnweben und krabbelte zwischen Holzstäben herum, die nichts anderes waren, als Tannennadeln auf dem Waldboden.

Hornkäfer 2

Es war ein Hornkäfer aus ihm geworden!

Er krabbelte über eine Ameisenstraße und wurde heftig beschimpft: “Du großer, dummer Panzer, Du trampelst unsern ganzen Weg kaputt, geh weg hier!”

Nein, das neue Ich gefiel Willibald auch nicht. Und wieder murmelte er:
Horn, Horn wandle Dich,
gib mir schnell ein anderes Ich!

eichhoernchen weiß

Und schon hüpfte er mit schwarzen Knopfaugen, goldbraunem Fellchen und einem buschigen Schwanz von Ast zu Ast. Das war lustig. Und er hatte auch Spielgefährten. Aber dann kam ein Junge mit einer Steinschleuder, und beinahe hätte er Willibald am Kopf getroffen.

Vor lauter Schreck drehte Willibald nicht am Horn, sondern an seinem schönen Schwanz. Das konnte ja nicht gut gehen, und …

welch Entsetzen, er war zu einem Blätterteighörnchen geworden. Prall gefüllt mit Kirschmarmelade lag er bei einem Bäcker zusamen mit Berlinern , Mohrenköpfen und Streuselkuchen in der Auslage.

Hörnchen essen

Und schon kam ein Junge – war das nicht der mit der Schleuder ??? und wollte es gerade in den Mund stecken. Willibald hatte schreckliche Angst.
“Hilfe, Hilfe” schrie er laut und wachte davon auf. Er lag im tiefen Gras um die Ecke an der Egge. Die 7 Wichtel schnarchten noch. Eine erste Lerche sang ihr Lied in den blauen Himmel. Er war zuhause.

Lange erzählte man die Mär von dem schönen Einhorn. Später glaubten die Leute nur noch das, was sie sahen.
Als dann in unserer Zeit tüchtige Gärtner den Oetker-Park anlegten, ging wieder ein Murmeln um, dass früher hier ein prächtiges, hirschähnliches Tier gelebt habe. Da die Menschen nun aber gar keine Einhörner mehr kannten, meinten sie, es müsse ein stattlicher Elch gewesen sein, und so ließen sie das Denkmal bauen und stellten es mitten in den Park, gleich neben den Teich.

(Das Denkmal ist eine Spende der vertriebenen Ostpreußen in Erinnerung an ihre Heimat.)

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