Das Grauen am hellen Berg. (Künsebeck)
Es war einmal ein Bauer, der hatte seinen Hof in einer sehr einsamen Gegend . Das Land war noch unerschlossen und wild. Mit tausend Windungen schlägelte sich ein murmelnder Bach, die Kulkenbecke, durch den Buchenwald und Wölfe labten sich an ihrem klaren Wasser. Der sandige Boden stieg an zu einem unheimlichen schloheißen Berg mit vielen Klippen und Höhlen. Und man raunte, daß dort in finsteren Neumondnächten der Teufel hause. So lauerte in Kunsebecke das Unheil.
Der Bauer nun, war ein stattliches Mannsbild und strotzte vor Kraft und Tatandrang. Und so kam es, daß er sich neben seiner Frau, die fleißig und brav ihr schweres Tagewerk vollbrachte, noch ein zweites Weib suchte und sie als Kebse behielt. Nach einiger Zeit hatte er zu den Kindern von seiner Ehefrau noch sieben weitere von der zweiten. Die beiden Mütter duldeten still und lebten in Frieden. Sie waren überein gekommen, daß sie später einmal sich zu gleichen Teilen das Erbe teilen wollten.
Fleißig trugen sie Feuerholz im Wald zusammen, sammelten die leckeren Früchte des seltenen Elsbeerbaumes, trieben die Schweine in den Barrelbusch zur Bucheckernmast und wuschen ihre Wäsche in der Kulkenbecke, aus der auch die Schweine ihren Durst löschten. Öfter zogen über dem Hellberg, dem weißen Riesen, schwere Unwetter auf, die die Kuppe und die ganze Senke verdunkelten und Unheil zu verkünden schienen.
So ging es lange Zeit. Doch plötzlich bemerkten die beiden Frauen eine seltsame Veränderung bei dem Bauern. Er teile sein Lager weder mit der einen noch mit der anderen. Er hatte sich ein weiteres Weib genommen. Eine Junge, Schöne tändelte mit ihm dahin unnd ließ sich beschenken.
Da kam die gerechte Wut über die beiden Verlassenen. Und sie gierten nach Rache und trafen sich, um nicht gesehen oder gehört zu werden, des nachts auf dem Helleberg. Scharen von Fledermäusen kamen aus ihren Stollen hervor und umschwirrten sie.
Die beiden ahnten nicht, daß hinten dem großen Kalkbrocken der Teufel hockte, der schon voller Wolllust auf die verwirrten Seelen der zwei Weiber frohlockte. Und so hörte man ihn plötzlich aus dem Munde der einen sprechen:
“Ich dir sende drei Ottern, die dich mit Gift zerbeißen solle”.
Und dann sprach auch die Kebse mit fremder Zunge:
“Und ich dir sende drei Wölf, die din Herzeblot saugen und
aufschlabbere”
und schließlich schienen sie dann im Chor zu grölen:
” Luzifer und alle deine Geselle in der Hille, hilfe uns !”
Da legte sich auf einmal eine Decke aus eisigem Nebel auf die beiden Frauen, so daß diese in eine Starre fielen, aus der sie erst beim ersten Sonnenstrahl wieder zum Leben erwachten. In ihnen brodelten nun die bösen Gedanken. Und so stiegen sie in der nächsten Nacht wieder auf den Hellberg und faßten den Plan.
In der dritten Nacht nun erwarteten sie voller Ungeduld den Bauern, den sie zu einem Festmahl ins Haus geladen hatten. Die Ehefrau hatte für ihren Gemahl unter die Elsbeeren, aus denen sie sonst einen guten Schnaps braute, oder ein leckeres Mus bereitete. die todbringenden roten Früchte des Seidelbastes gemischt. Die Kebse hingegen hatte das Stichmesser mit dem der Mann den Wildschweinen die Kehle durchschnitt, zum Teilen des Bratens benutzt und noch neben ihrem Teller liegen, und als er, voll des Lobes ob des leckeren Muses sich den Mund wischte, ergriff sie rasch das Messer, …
doch noch im Schwung gab es auf einmal einen ohrenbetäubenden Donner, sie verfehlte das Herz, und der Stahl durchstieß den Magen. Mit einem gewaltigen Blutstrahl schwemmten auch die giftigen Beeren mit aus dem Leib. Der Bauer behielt sein Leben, siechte aber alsbald dahin.
Die beiden Frauen kamen vor den Richter und wurden des gemeinsamen Mordversuches für schuldig befunden. Sie wurden gemeinsam kopfüber in einen großen Sack gesteckt, der mit einer dicken Hanfkordel verschlossen wurde. Ein dunkles Wetter ballte sich am Himmel zusammen, als der Büttel mühsam die Karre auf den Hellberg schob, und ein Blitz zuckt auf, als er den Sack ins tiefe, eisige Wasser des Kalksees warf.
Der Hof wurde von der Öde verschlungen, und was aus dem Bauern und seinen vielen Kindern geworden ist, weiß niemand zu sagen. Einzig die weißen Spitzem des Helleberges stehen noch immer drohend über der Ebene. Und in stillen Nächten, wenn die Fledermäuse in einem großen Ringelreihen um den Gipfel kreisen und man ganz genau hinhört, dann ertönen aus den nassen Tiefen des großen Kalksees gurgelnde Hilfeschreie.
Kunsebecke heißt heute Künsebeck und ist ein Ortsteil der Stadt Halle in Westfalen.
Noch immer gibt es ein paar alte Höfe dort, doch sie sind auf modernen Wegen erreichbar. Und es gibt einen Bahnhof auf dem der “Haller Wilhelm” täglich hält.
Die Kulkebecke heißt heute Rhedaer Bach und schlängelt sich noch genauso durch den Sand.
Am Hellberg wird heute moderner Kalkabbau betrieben, und um ihn herum sind große Flächen Naturschutzgebiet, denn auch die alten Erbsbeerbäume tragen dort noch ihre seltenen Früchte.