Das Geheimnis des alten Mecklers .
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Die alte Schmiede.
Es waren einmal vier Männer, die saßen in der alten Schmiede zusammen und spielten Skat. Der Turmwächter, der Stadtmusikus und Jupp, der Meckler. Sie waren Freunde von Kindesbeinen an. Alle standen im Dienste der Stadt und erhielten einen Sold vom Kämmerer. Der Meckler hatte die Flur an der Wertherschen Straße zu überwachen und dafür zu sorgen, daß kein Fremder sein Vieh auf der Stadtweide grasen ließ. Auch durfte er Bösewichter festnehmen und einsperren.
Als er nun, nach fröhlichem Zechen und Spielen, den Heimweg antrat, wurde er kurz vor seinem Kotten von einem finsteren Gesellen überfallen. Dieser hatte den Jupp im Wirtshaus beobachtet und bemerkt, daß der glücklich gespielt hatte, und der Gewinn von 30 Mariengroschen – das war fast ein ganzer Joachinthaler, in seiner Tasche steckte. Er schlug grob auf den Wehrlosen ein, raubte ihm sein Geld und mit einer Mistgabel verletzte er ihn so sehr, daß er mit zerrissenem Knie am Boden liegenblieb. Für den Ärmsten begann ein langes Siechtum.
Sein Amt verlor er, denn er konnte sich nur noch mühsam auf Krücken bewegen. Und so zog Not bei ihm ein. Zwar halfen ihm Freunde, doch sein Stolz verbot ihm, Almosen anzunehmen.
Als wieder einmal das letzte Kantchen Brot aufgezehrt und auch keine Kartoffel mehr im Sack war, lag er schlaflos in der Nacht. Da hörte er ein leises Klopfen an der Türe. Und als er öffnete, stand vor ihm eine junge Frau, eingehüllt in dicke Tücher und mit einem Glockenblumenkranz im Haar. Verwundert schaute Jupp die Gestalt an. Wie hatte sie den Steinenbaum, den Schlagbaum am Wertherschen Weg, passieren können, ohne, daß der Baumhüter sie bemerkte. Er wollte wissen, wer die Frau war, woher sie kam und was sie von ihm wollte. Doch diese sagte: “Frag nicht!« und trat ein. Sie deckte dem Mann den Tisch mit Fleisch und Brot, mit Käse und einem Humpen Bier, so daß der satt und zufrieden war. Und sie mahnte: »Du darfst dein Lebtag nicht sprechen davon, was in der Nacht geschieht.« Dann legten sich beide zur Ruhe. Im Morgengrauen war sie verschwunden, noch ehe Jupp erwacht war. In der nächsten Nacht klopfte sie wieder an seine Tür. So ging es viele Monate. Und als der Winter hereinbrach, gebar Jule, so hatte der Meckler sie bei sich genannt, in einer Nacht einen kleinen Sohn. Am Tag war der Mann wieder allein. Jede Nacht nun stillte die Mutter ihr Kind, und der Knabe gedieh prächtig. Doch, wenn sie ihm die Windel wechselte, verwandelte sich der Inhalt in pures Gold. Heimlich verwahrte Jule dies in einem großen Topf.
Eines Nachts nun, als der Knabe gerade ein Jahr alt war, hatte der Meckler auf einmal eine Erscheinung:
Jule stand vor ihm, eingehüllt in eine rosa Wolke und übergab ihm den Topf, der bis zum Rande mit Goldldstücken gefüllt war, und sie sprach:
“Ich muß dich nun verlassenen. Nimm das, und merke dir gut:
“Ein Teil lebe, ein Teil gebe, ein Teil hebe!
Und denke immer daran, daß du dein Lebtag lang niemanden unser Geheimnis verraten darfst.«
Dann küßte sie ihn, nahm ihr Kind auf den Arm und ward von Stund an nie wieder gesehen.
Jupp war sehr traurig, aber er tat, wie ihm geheiÂÂÂßen . Er nahm zwei Teile aus dem Topf, dann vergrub er den Rest noch in selbiger Nacht unter der alten Schmiede. Der eine Teil reichte zu einem bescheidenem Leben, mit dem anderen half er, wo er nur konnte, denen, die ärmer waren als er.
Als er nun sehr alt und krank geworden war, merkte er, daß sein Leben zuende ging, und als er den Schein des Abendrotes im Fenster sah, dachte er: »Einen Leb-Tag werde ich nicht mehr sein, also will ich jetzt mein Geheimnis enthüllen, damit meine Freunde den Topf ausgraben und weiter Gutes tun können.« Er ließ den Turmwächter, den Schweinehirt und den Stadtmusikus zu sich rufen. Doch ehe sie an sein Bett eilen konnten, war es zu spät.
Als der Meckler der Erde übergeben wurde, weinten viele Menschen an seinem Grab. Und es stand da auch ein feiner junger Herr, den keiner vorher gesehen hatte, und der einen Strauß von Glockenblumen auf den Sarg gleiten ließ. Doch so unbemerkt, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Am nächsten Tag allerdings hieß es, ein Unbekannter habe der Stadt eine große Summe für ein Armenhaus gestiftet.
Als man vor Jahren die alte Schmiede abriß, um die Stapenhorststraße breiter auszubauen, fand man tief in der Erde einen großen Topf mit der Inschrift »Jupp und Jule«. Der Topf war leer, nur unter dem Boden klebte ein sehr altes Goldstück. Und hinter der Straße, da wo jetzt die Tennisplätze liegen, wachsen in jedem Jahr große Büsche Glockenblumen.