Die runde Kunigunde .

Sum mit Kunigunde

Kennt Ihr noch die große Fabrik an der Ecke Hermann- August Bebel straße. Die ganze Gegend roch nach Vanille oder im Herbst nach Zimt und Pfefferkuchengewürz. Es war die Keksfabrik Sum. Direkt daneben wohnten Schneiders, Vater, Mutter, fünf Kinder und Mopsi, der Hund. Kunigunde war die Mittlere, sie hatte zwei größere Schwestern und zwei kleine Brüder, sie war ein sogenanntes „Sandwichkind“.

Tja, und wie das nun so ist: Die beiden großen Schwestern kichern miteinander, probieren Kleider und Frisuren oder treffen sich mit Freunden. Dabei können sie die Kleine nicht gebrauchen. „Spiel doch mit den Jungen“, heißt es. Die Brüder aber raufen und spielen Fußball, und meinen empört, „was sollen wir denn mit einem Mädchen anfangen?“ So fühlt sie sich oftmals einsam. Ihre Mutter tröstet sie dann mit einem Bonbon, und auch wenn sie Angst hat, einmal hinfällt oder ein Spielzeug entzwei geht, bekommt sie zum Trost einen Keks oder eine andere Leckerei. Das ist langsam zur Gewohnheit geworden, und wenn sie Kummer hat, schleppt sie ihr ganzes Taschengeld in die „August-Baby-Straße“, wie sie die große Hauptstraße immer nennt, zu Neumann, um MilkyWay oder Bountys zu kaufen, oder in den kleinen Fabrikladen bei SUM, in dem es ganz billig große Tüten mit Bruchkeks gibt. Doch dabei wurde sie rund und runder! Und bald sangen die Kinder:

„Seht die runde Kunigunde sie hat Pfunde, ungesunde,
und sie stopft in ihren Munde zuviel Drops.
Wenn die runde Kunigunde weiter stopft zu jeder Stunde
soviel Pfunde in den Munde, geht sie hops!“

und dabei kringelten sie sich vor Lachen.
Kunigunde war sehr traurig darüber und aß deshalb noch mehr, am liebsten Schokoladenpudding mit „Familiensoße“. So wurde sie bald zur Kugel.
Eines Tages, gerade hat sie ihr Mittagsschläfchen gehalten, sitzt sie ganz allein in ihrem Zimmer und ist traurig. Papa ist im Büro, Mama liest ganz vertieft im Wohnzimmer einen spannenden Krimi, und ihre Geschwister sind sonstwo. Noch halb im Tran tappt sie in die Küche, um sich den Rest aus der Kekstüte zu holen. Im Flur kommt sie am großen Spiegel vorbei und erschrickt fürchterlich. Verzerrt sieht sie ihr Bild, sie war zu einem Riesenbonbon geworden. Eingewickelt in Zellophan guckte oben nur noch der Kopf und unten ein paar winzige Füßchen heraus.
O weh, jammerte sie, hier kann ich nicht bleiben, ich muß weglaufen, es wird mich sowieso keiner vermissen. Sie packt einen großen Sack voll mit Mars, Kinderschokolade und Kirschlutscher, legte obenauf noch einen dicken Marzipanhasen, der von Ostern übrig geblieben war, und rennt los.
Doch welch Schreck, ihre Beinchen können den schweren Kugelleib nicht mehr recht tragen, sie stolperte kopfüber die Treppe hinunter und direkt durch die offene Haustür hinaus. Der Sackinhalt kullerte auf die Straße und die herbeiströmenden Leute grapschten sich die süßen Sachen, klatschen, lachen, und rufen: „Das war aber mal eine tolle Reklame!“
Kunigunde rennt entsezt und tieftraurig davon und versteckt sich im dichten Gestrüpp unterhalb der Sparrenburg neben einem alten Kastanienbaum. An seinen Zweigen hängen dicke, runde Früchte, der Boden ist mit grünen Mooskugeln bedeckt und große rote Pilze recken ihre Hüte. Ihr ist gruselig, ihr werden die Augen schwer und sie schläft ein. Da ist ihr, als hocke Mopsi hinter ihr und fange auf einmal zu sprechen an: „Sei mir gegrüßt, Du bist im Dickland, hier sind wir alle gleich, Du brauchst gar nichts zu tun, Du musst nur tüchtig essen und warten, bis Du platzt.“ Kaum hatte das fette Hündchen das gesagt, da hört man ein leises Krachen und Knacken, überall platzen Kastanienschalen, und die reifen Früchte kullern auf den Waldboden. Dann sieht sie, wie eine dicke Larve sich knisternd spaltet und ein neues Wesen herauskriecht. Ihr Bekommt furchtbare Angst. Würde ihr Bonbonpapier auch gleich platzen und sie nackt da stehen? Aber sie hatte ja lange nichts gegessen, und so hatte sie wieder ihre normale Gestalt angenommen.

runde Kunigunde

Noch immer schlief sie, da flüsterte es auf einmal von den Bäumen: „Was will die Bohnenstange bei uns, so ein klapperdürres Gestell gehört nicht hierher. Gehe hin, woher Du gekommen bist.“

Wie ist es ausgegangen?
Die besorgten Eltern hatten nun inzwischen der Polizei gemeldet, dass ihre Tochter verschwunden sei, und so war ein Suchtrupp aufgebrochen. Und als Kunigunde das Gebell der Spürhunde und das fortwährend laute Rufen ihres Namens hörte, wachte sie auf, und voller Freude schlossen ihre Eltern sie in die Arme. Sie erklärten dem verängstigten Kind, dass aus den geplatzten Kastanien neue Bäumchen wachsen, und aus der Larve ein wunderschöner Schmetterling gekrochen war. Aber vor allem, dass sie Kunigunde ganz lieb haben. Jetzt erschien ihr die Waldwiese sehr freundlich, das Dickland war nur ein Traum gewesen.
Kunigunde wurde mit den Jahren ein hübsches Mädchen. Sie hatte viele Freundinnen und naschte nur noch ganz selten aber nur zum Spaß und nicht aus Kummer.
Und so sangen die Kinder:
Hört ihr Leute diese Kunde: Uns’re kleine Kunigunde
ist die schönste in der Runde und es freu’n sich Mensch und Hunde
selbst der Mops.

rude Kunigunde Mops Dose

p.s. Die Keksfirma, die 1884 gegründet worden war, hat 1991 ihre Pforten geschlossen. Nun gibt es keine verführerischen Bruchkekstüten mehr und auch nicht die schönen Keksdosen. Schade! Doch die meisten Kinder schlecken weiterhin zuviel.

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