Cl. der Wurmberg
“Heide wulle’mer off’n Barch mache, Heu wende”, sprach Jakob , spannte seine Lotte an und fuhr mit dem Hamburger und vier Frauen um halbfünfe los in den werdenden Tag hinein. Die Tautropfen hingen noch an den Halmen und die aufgehende Sonne verwandelte sie in abertausend glitzernde Diamanten. Und … er kam nie wieder zurück.
Jakob hatte es schwer. In der Nähe der Ohmschenke, am westlichen Rand des Fleckens, hatte er von seinem Vater ein bescheidenes Anwesen geerbt. Das Dach des Hauses war in den Kriegswirren beschädigt worden und die Wand des Stalles hatte Löcher. Aber das mußte warten, denn das Säckel war leer. Jakob hoffte , daß die neue Ernte seine Lage etwas hoffnungsvoller aussehen lassen könnte. Mutig versuchte er auch neue Dinge. So hatte er neulich in seinem Gärtchen ein paar von den sonderbaren Knollen, die man Erdäpfel nannte, eingesetzt. Vielleicht konnte man damit etwas verdienen. Er dachte an den kleinen Bengel vom nahen Schloß, der ihm neugierig zugeschaut hatte und plötzlich weinend mit einem halben Wurm zu ihm kam. “Schaut, Ihr habt ihm das Hinterteil abgehackt.” “Wirf ihn ins Gebüsch” war seine Antwort gewesen, “Es ist doch nur ein Regenwurm.”
Das Steinhöfchen war nur ein kleiner Plan am Berg, direkt neben dem Diebesacker und wurde vom Wormbach begrenzt, aber er reichte, um Wintervorräte für seine zwei Kühe zu ernten. Jakob und die Frauen hatten schon tüchtig geschafft und lange Gassen mit dem großen Holzrechen gewendet, damit das Gras gut austrocknen möge. So legten sie eine kurze Pause ein. Jakob setzte sich ein wenig abseits unter einen Weidenbaum und grübelte. Clingen war von der großen Pest befallen. 128 brave Bürger, Männer, Frauen und Kinder waren der Seuche schon zum Opfer gefallen, darunter auch Malchen, die Tochter des Nachbarn, die er zum Weibe nehmen wollte. Was würde werden, konnte er seinen kleinen Hof halten? Mußte er doch nun auch noch seinen Bruder mit durchfüttern, denn die Salpeterhütte, in der dieser sein Brot verdient hatte, war eingegangen. Er war müde und traurig. Das Ränftchen und der Stöpel war gegessen, so leerte er noch mit großen Schlucken die Flasche mit dem selbstgemachten Apfelsaft, nicht bemerkend, daß dieser schon in Gärung übergegangen war. Dann döste er ein.
Die Sonne war schon höher gestiegen und ein Schwarm Lerchen sang ein Loblied am Himmel. Doch Jakob lauschte nicht auf ihr Jubilieren. Ihm deuchte, er höre auf einmal eine Stimme. Es schien mehr ein leises Piepsen. er schaute sich um, aber niemand war zu sehen. Da wieder “Jakob, hörst du mich?” Sonderbar, bewegte sich da nicht etwas? “Jakob, komm zu mir”. Nichts, nur ein leiser Wind streichelte das Gras. Endlich entdeckte der Gerufene einen winzigen Regenwurm, der unter einem Stein aus seiner Erdröhre schaute und wisperte:
“Komm mit mir, ich zeige Dir ein anderes Leben.” Da schrumpfte Jakob plötzlich
und wurde von einer unsichtbaren Macht in die Röhre hineingezogen.
Tiefschwarzes Dunkel umfing ihn. Doch dann erschien ein kleiner Kadett mit einem Feuerwisch, das ist ein zur Fackel gedrehtes Strohgebinde, und die Umgebung wurde deutlicher. Er sah kleine Hügel, die winzige Paläste trugen, er sah emsig schaufelnde Arbeiter, und er sah wunderschöne Frauen.”
“Wieder fing die Stimme an zu sprechen. “Wir leben hier schon seit vielen Millionen Jahren. wir haben unzählige Kriege überlebt, wir haben Seuchen getrotzt und wir leben weiter. Verscheuche Deine trüben Gedanken. Schau Dir unsere schönen Prizessinnen an. Du kannst sie alle haben. Als Mensch hast Du nach Menschenweibchen geschaut, mit den Augen eines Wurms erscheint Dir jede
Wurmfrau als Göttin. Hier sind wir Gleiche unter Gleichen Sie können Dir schöne Söhne und Töchter schenken, und Du wirst ewig leben. Doch wenn Du in Dein Reich
zurückwillst, kannst du Dich nicht wieder zurückwandeln, Du wirst ein Wurm bleiben, und Dein Leben wird sehr kurz sein. Ihr hochmütigen Menschen, die Ihr Euch seht, als der Schöpfung Krone, und nur die anerkennt, die Euch gleichen, Was würdet Ihr sein ohne uns, doch für Euch sind wir unbedeutende Kreaturen. Ohne uns wären Eure Äcker unfruchtbar und Ihr müßtet Hunger leiden, und am Ende würde die Erde verglühen.”
Jakob wurde schreckensbleich, und er fing an davonzulaufen, und er lief und lief immer tiefer in die Erde,…. oder immer tiefer ins weite Land.
Da wähnte er einen hohen dppelspitziger Stein zu sehen, in der Höhle? Oder zeigten sich
am Horizont die Türme der alten Kirche von Gangloff-sömmern ?
Dann wäre er abgebogen, am Ried vorbei und an der Dreise? Oder lief er jetzt nach Kutzleben hin? Es gruselte Jakob und er lief immer schneller und schneller.
Die Frauen hatten unterdessen ihre Arbeit wieder aufgenommen und waren sehr verwundert über Jakobs Fernbleiben. Hatte er vielleicht den Franz vom Nachbarplan getroffen, der heute auch ins Heu fahren wollte und hatte sich verquatscht mit ihm Aber die Sonne fing langsam an zu brennen , und man mußte fertig werden. Sie waren besorgt, doch endlich machten sie sich ohne ihn auf den Heimweg.
Im nächsten Frühjahr, als der Schnee geschmolzen war, fand man Jakobs Mütze im Gras liegen, neben einem Regenwurmloch. Er selbst war für immer verschwunden.
War er in ein Gemetzel der schwedischen Truppen gekommen, hatten ihn sächsischen Belagerer zwangsrekrutiert, oder gar, wie der hessische Fürst es machte, ihn als Soldat nach Amerika verkauft? Oder kam er in die Fänge des berüchtigten Kühnemund, ist gar mit ihm zusammen am Galgen geendet. Oder ist er doch geblieben bei den schönen Prinzessinnen???
Die Anhöhe jedoch, an die sich Jakobs Steinhöfchen anschmiegte, hatte seitdem die meisten Regenwürmer in ganz Clingen und heißt deshalb noch heute “der Wurmberg”.