Cl. Walpurgisnacht in der Tanne.

 

Walpurgisnacht Titel

 

 

Nach diesen freundlichen Worten kam mir in den Sinn, schau ich da doch auch mal hin. Kaum gedacht, tappten meine Füße schon wie von selbst um die Ecke in die Herrengasse, und ich befand mich in dem uralten Gasthaus. Ich setzte mich oben auf die Galerie zu den Müttern und Schwiegermütter, die mit Argusaugen die fröhliche Schar da unten betrachtete und Zukunftspläne schiedete.
Noch saßen die jungen Frauen kichernd in Grüppchen zusammen und die Herren standen, Bier und Korn trinkend, an der Theke herum, doch bald war das Fest im vollen Gange, und so langsam benebelten sich die Köpfe der Feiernden. Da schlug die Rathausuhr 12, und beim lezten Glockenschlag wurde plötzlich die Tür aufgerissen und ein Pflasterscheißer aus Greußen erschien und brüllte: „Seid mir gegrüßt all ihr Clingeschen Esel, wie wärs mit einer Entscheidungsschlacht?“ Da trat Krawall auf und schrie mit Donnerstimme, bei der sogar die Brötchen im Backofen erzittern: „Hau ab, das ist unser Fest.“
Der Stinker kam mit seinem Ziegenbock. Er hatte diesen und sich selbst extra mit Mouson-Lavendel besprüht . Er setzte sich zu Nußtörtchen , der seine Tochter im Kleiderschrank eingesperrt hatte, damit sie nicht an den Falschen gerate. Eine Unterhaltung mit dem Russen ist einfach, er spicht echtes Clingesch. Mit dem Berliner ist’s etwas schwieriger, mit seiner ausländischen Wortwahl heimste er meist Kopfschütteln ein. Auch rote Weste erkannte keiner. Er hatte heute zur Feier des Tages ‘ne blaue an.
Plötzlich höre ich ein freches Mädchen „Jesus“rufen, wen meint sie denn da? Nun spielte die Kapelle Ox einen flotten Marsch und Bläharschen sinne Tochter, hat sich sofort an Schnirpel rangeschmissen, legt eine tolle Sohle auf’s Parkett, und Zappel schlägt den Takt dazu.
Dann kommt Schmecksteprächtig, der gleich ‘ne dicke Halbgeräucherte aus der Hosentache zieht. Sein Gegenüber schüttelt nur den Kopf, denn der hat gerade mit 20 Klößen das Wettessen gewonnen und sich damit eine gute Grundlage für die Kornrunden geschaffen. Täwe mit’m abben Ohr erzählt mal wieder jedem, daß die Schwinnigel in Jena ihm das abgesäbelt ham. Der Trompeter sitzt traurig in der Ecke. Mit seinem höchst persönlichen Instrument darf er in der Kapelle nicht mitspielen.

Herein kommt der Possenbär, natürlich in Uniform. er will für’s Winterhilfswerk sammeln. Nun tritt Linachen auf, in feiner Kledasche mit neuem Kapotthütchen . An jeder Hand einen unverehelichten Sohn und im Mund den Spruch mit dem sie den Ihren immer wieder die Chancen klarzumachen versucht: „Warum in die Ferne schweifen, sieh, das (besser „die“) Gute liegt so nah“.(Ja, wo isse denn?) Die Tuttelchen werden vermißt, Mutter und Tochter. Nun ja, die eine ist am Dauerhofkehren, die andere hockt in der Futterkammer, sind aber tüchtige Leutchen.
Vom Fassadenkletterer ist eine Karte aus Monte Carlo gekommen: “Kann leider nicht kommen, habe gerade einen großen Fisch an der Angel.“ Scheint Cary Grant nachzueifern.
Schnatter, der Vater von den drei Figuggerchen, hat von seinen Bienen aus dem Flattich ein Gläschen Honig mitgebracht, jetzt hat er’s aus Versehen ins Bier gerüht und wundert sich. Er dreht’s Spindelchen als Malzbier an und meint, es gäbe Kraft. Zwetschgenkuchen, der seine Vorliebe für dieses Pflaumengebäck auf alle seine Nachkommen vererbte, sagt, Zwetschgenkuchen wäre dafür viel besser geeignet, und meint dann, mit dem Krückstoß aufspoßend: „ Hör auf mir, ich kann es Dich beweisen!“ Da klatscht Fiefchen lauten Beifall. Sein Urahn war schon vor Jahrhunderten begeisterungsfähig, als er die unter Napoleon in Clingen einmarschierenden französischen Truppen mit: „Fief Lamperöhr“ begrüßte und seitdem so heißt.

Kuddeljung steht mit einem Unbekannten in der Ecke rum. Was büschpert er denn da mit dem Fremden? Hat wahrscheinlich wieder mal ein Schnäppchen im Auge.
Nun erscheint der Kanter, am Ohrläppchen zerrt er einen heulenden Schüler mit sich: „Warte Bürschchen, ich werde Dich moris lehren.“ Da tritt die Betschwester mitleidig dazwischen, faltet ihre Hände auf dem Struppelkopf. „Ach, mein armes Schäfchen, Du kommst morgen zu mir in die Betstunde, und alles ist gut.“ Da hat sich der Bengel doch einfach losgerissen.

Röschen stürzt herein und berichtet aufgeregt, daß sich Schlammrutscher mit Täwe zusammengetan hat und beide in den Graben gekullert sind, man müsse helfen.
Es hocken an einem Tische der Seier mit Sähnichen, der Schlaue und Benedeckchen, dessen Name sich irgendwie von “gebenedeit” abgeleitet hat .War sein Ahn vielleicht besonders fromm und hat alles gelobpreiset?

Wo bleibt denn Dieschel, fragt sich ein jeder. Ach, der hatte sich mit Emmechen. der Mutter von Hugchen . verabredet, aber nun ist ihm sein Kürnisdieschel nicht bekommen und Emmechen hüpft mit ihren 88 Jahren allein auf dem Tanzboden herum.
Die Gnädige , die, wie es heißt, Haare auf den Zähnen hat, guckt durch die Tür, zieht sich aber gleich wieder zurück und verschwindet im Schloß, diese Gesellschaft ist nicht die ihre.
Die Kapelle Ox wird müde und ich auch. Werde mich wohl heeme machen. Langsam scheint der ganze Saal in Nebelschwaden zu verschwinden.
Am nächsten Morgen frage ich den Ausklingler, was das in der Nacht denn für seltsame Leute waren, und höre. „Seltsame Leute, gute Frau, das waren alles ehrbare Clingener.“

Kennt Ihr die alle nicht mehr? Da müßt Ihr mal Eure Urgroßmütter fragen.
Zum Beispiel diese hier.
.

Wedelshof Vesper

p.s.: Hallo, Ihr lieben Clingener. Wißt Ihr noch andere ehrbare Mitbürger. Ich würde sie gern noch zum Ball einladen. Schreibt mal einen Komentar.

Kommentieren