Cl. Das Siedel- Sudel- Männlein .
Schon im alten Rom hatten die Menschen ihre Hausgötter, die ihnen Schutz gewähren sollten, und die sie sehr verehrten, die Laren. Sie bauten ihnen kleine Altäre und brachten Geschenke. Und, ob man`s nun glaubt oder nicht, es gab auch in Clingen so einen kleinen Hausgeist. Es war das Siedel-Sudel-Männlein. Das war allerdings ein recht berechnendes Wesen. Es hatte eine helle, freundliche Seite, aber auch eine dunkle gehässige. Mal war er lieb und hilfsbereit, mal grob und eigensüchtig. Sein Äußeres passte er dem jeweiligen Stand des Hausherren an. Wohnte er bei einem Mediziner, spazierte er im weißen Kittel und mit einem Abhörrohr durch die Gegend, stellte er sich als Hausgott eines Kaufmanns dar, so sah man ihn mit einem Abakus (Rechenmaschine) und Kontoauszügen herumwedeln. Hier ln Clingen jedoch zeigte er sich als Großbauer.
Und nun werde ich erzählen, wie es dazu kam.
Als vor vielen, vielen Jahren ehrbare Bauern Clingen besiedelten, kamen sie als “freie Herren” nur dem Grafen zu “Schutz” Und “Trutz” verpflichtet. Sie gründeten fünf Hofstellen jeweils mit einem soliden Gutshaus. Das schönste und größte dieser Anwesen lag gleich neben dem Schloß, gegen Westgreußen schauend. Doch als der Bau fertig war mit seinen 48 Fenstern und der breiten Treppe hinauf zum großen Saal, da zog nicht nur der stolze Besitzer ein, sondern auch das Siedel-Männlein. Er wohnte in der großen Kugel am rechten Torpfosten, sodaß es alles Kommen und Gehen, alles Tun und Lassen wohlwollend oder mißbilligend beobachten konnte. Und es bestimmte
fortan das Schicksal der Bewohner.
Das Hausgeistlein war als Kebssohn einer Norne aus dem Bauch geschlüpft. Er hatte von ihr das Netze spinnen und das Fädenknüpfen gelernt. Für sein allzeitiges Fortleben aber mußte es selber bemüht sein. Begann es zu kränkeln, holte es sich, was es benötigte. Und so gebrauchte es seine Gaben mit viel Tücke, List und Eigennutz. Bekam es nicht das Begehrte, so wurde es zum Sudelmännlein, und es selbst und seine Gastfamilie darbten dahin
Der erste Freiherr, der den Hof sein eigen nannte, hatte eine wunderschöne Tochter. Diese ersehnte sich mit aller Inbrunst Freundsschaft und Liebe. Da erschien bei Sonnenaufgang das Siedelmännlein. Es krächzte und japste : “Kkrrr. Kkrrrr, gib mir etwas von Deinem Atem, ich erfülle Dir auch deine Wünsche, krrrrr!” Das Jungfräulein willigte lächend ein, Und kaum war eine kurze Zeit vergangen, da kam ein stattlicher junger Mann auf edlem Rosse dahergeritten und warb um die liebliche Mald. Er war ein Poet. Viele warme Nächte saßen sie Hand in Hand in der rosenumkränzten Mauer hinten im Garten., blickten zu den Sternen empor und träumten von einem glücklichen Leben. Aber das Männlein hatte dem Mädchen zuviel des Atems beraubt, sodaß sie dahinsiechen mußte und bald ihr junges Leben aushauchte.
Viele hundert Jahre vergingen, und es kam ein neuer Herr auf den Hof, und es war ein gelehrter Mann, doch in Nöte geraten, bat auch er das Männlein um Hilfe. Da nahm dieses ihm etwas von seiner Klugheit, damit er selbst sich rühmen könne. Der Mann konnte seine Dinge ordnen, aber sein Geist wurde immer schwächer, und am Ende hatte er ganz seinen Verstand verloren.
Und wiederum bekam der Hof einen neuen Herrn. Der strebte nach Wohlstand und Achtung. Das Männlein war sofort zur Stelle. Elendig humpelnd forderte es ein Stück von dessen Bein dafür. Und siehe, ein Handschlag , und der Tausch war gültig. Zwar humpelte und hinkte nun der neue Herr durchs Leben, aber Regen, Wind und Sonne ließen die Saat prächtig aufgehen und kein Hagel zerschlug ihm das Korn. Kein gefräßiger Käfer machte seine Kartoffeln krank, und das Vieh blieb von Rotlauf, Rotz und anderen Seuchen verschont. Und da er fleißig und schlau war, hatte er im Alter ein Säckel voller Thaler und wurde von allen geachtet.
Das sah das Männlein voller Neid. Sooo viel für ein Stückchen Bein war nicht in seinem Sinne. Es grübelte und fing wieder an zu sudeln. Doch dann kam ein schrecklicher Krieg, und der Bauer bangte um das Leben seiner Söhne. Es waren die Gebete der Mutter stärker als die Zauberkraft des Männleins. Zwar waren die Thaler verbrannt, doch die Söhne gerettet. Aber nun hatten andere Herren das Sagen im Land und über den Hof, und Unfriede zerstörte die Familie. Das Nest des Siedel-Sudel-Männlein im Torpfosten wurde zertrümmert, und das Haus verfällt, so hatte es kein Bleibens mehr.
Nun ist er nackt und bloß. Da ist es geflohen. Wohin? Keiner weiß es zu sagen. Vielleicht ist er in die Politik gegangen, die können Leute mit der Gabe fürs Fäden ziehen und Netzte spinnen gut gebrauchen. Vielleicht ist er aber auch in den Bauch seiner Nornenmutter zurückgekrochen. Die Welt hat ihm nicht mehr gefallen.