Cl. Walpurga .
Und nun kommt ein richtiges Gruselmärchen aus uralten Tagen, und Ihr müßt schon glauben, daß die Geschichte wirklich in Clingen geschehen ist. Viel Spaß.
Vor langen Zeiten, als noch Thor seinen Hammer schwang, Blitze ihm zu Bote waren, als der Wolf die Sonne fraß, und die Nornen den Schicksalsfaden spannen, da lebte hier am Helbeufer ein Volk, dessen Stammvater Mannus war. Unter den Weibern gab es ein blutjunges Ding mit schlanken Fesseln, so zart, wie die Läufe eines Rehes, mit seidigen Haaren so gold wie die Strahlen der Sonne, und mit Augen so blau, wie die Blüte des Weid, doch das Herz in der Brust und das Hirn im Haupt so tückisch, wie das Gift einer Schlange. Walpurga, so wurde das Mädchen genannt, hatte den Belzi, wie man den Teufel damals nannte, im Leib. In der Nacht vor ihrer Geburt hatten den Kindsvater üble Träume gepeinigt, so nahm er sie nicht in die Sippe auf. Sie wurde eine Wilti, ein Waldgänger, eine Wolfsbraut.
Als sie sieben Jahre alt war, wurde sie im Wald ausgesetzt. Sie hauste bei einer Rabe. Diese war sebst eine Ausgestoßene, hatte sie doch in ihrer Jugend ein gar unzüchtig Leben geführt und darob ein Knäblein geboren mit dem Rachen eines Wolfes. Noch an der Schnur hängend, hatte sie es ertränkt. Die Rabe führte Walpurga ein in die magischen Künste des Weibes. Sie lehrte sie, einen Trank zu bereiten aus Weizen , Beeren und Honig und auch mit den Kräften der Kräuter, die Sinne zu reizen. Als sie dann zur Jungfrau herangewachsen war, schien eine Zauberkraft von ihr auszustrahlen, die alle Männer des Stammes betörte.
Eines Tages nun, die Sonne glühte im Sommerzenit, und der Weizem und die Gerste standen hoch in Frucht, und die Schnitter trennten mit schnellen Sichelhieben die Ähren von den Halmen, die, noch auf dem Acker stehend, dem Vieh zum Futter dienten. Da trabte auf einmal der edle Hermunduras heran. Er war Mund über die Sippe und wollte schauen , ob alles beim Rechten. Gerade im leutseligen Gespräch mit den Schnittern, bemerkte er, daß sich plötzlich ein junges Bullenkalb von der widerkäuenden Herde löste und ins nahe Unterholz stob. Sogleich ritt Hermunduras ihm nach, um es wieder einzufangen. So kam er geradewege zu der elenden Lehmhütte, die sich Walburga errichtet hatte. Das Mädchen lag hingestreckt in der Sonne, bekleidet mit einem sechmal um die Taille geschlungenen Gürtel. Unzählige Schnüre hingen daran, an deren Enden kleine Bronzekügelchen baumelten, neben ihr das Kälbchen, das voller Wollust ihre Füße leckte.
Goldene Sonnenpunkte flirrten in Ihrem Haar und die großen hungrigen Augen saugten sich an dem Mann fest. Der Edle ließ sich in die Hütte ziehen und Walpurga bewirtete ihn mit Gerstenbier, das sie mit viel Eberesche gewürzt hatte, Das Trinkhorn war groß, und er leerte es bis zur Neige, sodaß er im Vollrausch darnieder sank.
„Wie ist so heiß mein Blut, wie ist so kalt mein Herz,
die Flammen deiner Arme, sie schmelzen Stein und Erz.
KOMM !!
kühle mir das Blut und wärme mir das Herz.
Den Himmel uns bereitend, zeiht’s uns bas höllenwärts!“
Und auf einmal brauste ein Sturm auf, grelle Bltze tauchten die Hütte in ein Flammenmeer, und gewaltige Donnerschläge dröhnten durch den Wald. Das Mädchen hatte den Edlen verhext. Er machte sie zu seiner Kebse, seiner Nebenfrau. Doch ihr brodelndes Blut gab nicht Ruhe. Und so geschah es , daß der Herr sie eines nachts auf seines Knechtes Bettstatt fand. Sein edles Herz gebot ihm, nicht die ihm zustehende Rache zu nehmen, und der Ungetreuen Nase und Ohren abzuschneiden, auch nicht sie mit eigener Hand zu Tode zu schlagen, wie es ihm zu richten gemäß gewesen wäre. Er rief einen Thing ein, um ein gerechtes Urteil finden zu lassen. Es lautete:
„So manchem braven Mann hat sie den Kopf verdreht, nun solle der ihre
gedrehet werden, bis er vom Leibe sich trenne.
Sie flatterte wie ein Täubchen. Nun sterbe sie auch wie ein Täubchen.“
Und als nun im heheren Kreise das Urteil gesprochen, schlugen die Mannen Beifall heischend mit ihren eisernen Framen, den Wurfspießen, klirrend aneinander, und man vollzog das Urteil. Dann schlug man ein Loch in die Lehmhütte, trug die Tote mit den Füßen zuerst hinaus, und mauerte sogleich das Loch wieder zu, damit ihr Geist keine Rückkehr finde. Sie wurde verscharrt und die Grube hoch mit Steinen belegt.
In der Nacht aber erschien Lilith, Adams erste Frau. Aus ihrer Schlangenhaut entschlüpfend ergriff das tückische Weib das abgedrehte Haupt, küßte zärtlich den toten Mund, und es verwandelte sich der Kopf in einen Apfel. Lilith hatte ihre Zwillingschwester heimgeholt. Und damit konnte die Geschichte der Menschheit neu beginnen.
In der Walpurgisnacht kann man auf dem Hexentanzplatz im Brocken die Schwestern tanzen sehen zu Füßen des Loki, ihres Meisters, der auf einem achtbeinigem Hengst im Rund galoppiert zu Häupten der Menschen, der Genarrten.
Zweimal tausend Jahre mußten vergehen, da fand man auf dem Gelände der Funkenburg bei Westgreu0en das Grab eines blutjungen Mädchens. Ihr zierlicher Leib lag gehockt im Gesteine, auf der Brust ein gebrochener Stab, doch einen Kopf konnte man nicht finden.