Cl. Der 6. Sinn.

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Vor Zeiten kam ein junger Vikar ins Dorf. Er war ein gelehrter, rechtschaffener Mann, doch an seiner Wiege hatte ein winziger Dämon gestanden, und ihm den sechten Sinn mitgegeben. Und so kam es, daß der Jüngling, immer wenn der Mond sich erneuert und seine Sichel vom Himmel strahlt, einen Lidschlag lang ins Vergangene oder ins Kommende blickte.
Wie er nun an einem Herbstabend über den Gottesacker spazierte, jenseits der Mauer dahin kam, wo man die Unseligen begrub, die Gottlosen, die selbst ihrem Leben ein Ende gemacht, da sah er drei seltsame Blumen stehn. Sie leuchteten und gleißten im fahlen Mondlicht, die eine feurich rot, die zweite wie samtener Burgunder und die letzte in keuschem Weiß.

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Und wie er so stand, schien eine Stimme zu ihm zu sprechen:

„Drei Blumen siehst Du blühen, drei Feuer werden glühen,
drei Kammern mußt du finden, drei Frauen wirst Du binden.“

Ein summendes Bienenvolk umkreiste die Blüten. Dann verschwand der Mond hinter einer Wolke, und mit ihm waren auch die Blüten und die Immen verschwunden.

Nach Ankunft in der Pfarrstelle war gerade ein Jahr vergangen, da wurde der Vikar von einer prasselnden Feuerbrunst aus dem Schlafe geschreckt. Hoch schlugen die Flammen über Greußen zusammen, Funken stoben und entzündeten aufs Neue im Umkreis die Hütten, und schwarzer Rauch schwehlte bis Clingen.Die halbe Stadt wurde ein Opfer des großen Brandes. Doch, als der Morgen dämmerte, wußte der Verstörte, daß das Unheil nicht diese Nacht, als da weiland vor sieben Jahren geschehen war. In der nächsten Nacht ließ ihn beißender Brandgeruch wieder kurz nach Mitternacht aufschrecken. Der Dachstuhl des Pfarrhauses brannte lichterloh, und die Decken drohten über ihm einzustürzen. Voller Entsetzen flüchtete er, bis er gewahr wurde, daß er auch diesmal nur lange Gewesenes erlebt hatte.
Als er in der dritten Nacht die Feuerglocken Sturm läuten hörte, und erregtes Getümmel auf der Gasse vernahm, drehte er seinen Kopf, zog sich die Decke über die Ohren um weiter zu schlafen, wähnend, wiederum eines Trugschlusses zu erliegen.
Als er jedoch diesen Morgen auf den Marktplatz kam, da sah er den Rathausturm mitsam der Ostseite des Gebäudes in Schutt und Asche liegen. Hatte doch der Wirt das Gehwerk der Turmuhr, es war im Froste eingefrohren, auftauen wollen, unter dem Seyer ein Kohlenbecken angezündet und die Glut alleine gelassen, so daß die Flammen sich gefräsig ihren Raub holen konnten.

Als der Vikar nun inzwischen wohlbestellter Pfarrer geworden war, eheliche er eine brave Jungfer und zeugte mit ihr fünf Kinder. Beim sechsten jedoch verstarb ihm die Frau im Kindbett und nahm ihr Kindlein mit ins Grab. Schier wollte der Mann verzweifeln.
Doch wieder kam eine Nacht, und er sah in der Keltergasse einen Mann, der einen toten Birnbaum abholzte. Und als er den Wurzelballen ausgraben wollte, stieß er auf eine große Steinplatte. Wie er sich auch mühte, der Stein war nicht zu bewegen. Doch, als er eine letzte verzweifelte Anstrengung machte, sackte er plötzlich mit der schweren Platte zusammen in die Tiefe. Er befand sich in einem großen Kellergewölbe. Und wie er so schaute, bemerkte er wieder einen Stein, der den Zugang zu einem zweiten Keller öffnete. Und als er auch diesen beseitigt, fand er noch eine verschlossene Pforte zu einem dritten Raum. Die Gewölbe waren leer, kalt und tot.
Am nächsten Tag suchte der Pfarrer die Stelle in der Keltergasse auf. Er fand einen blühenden Birnbaum, um den fröhliche Kinder spielten, und … er fand den Eingang zu drei Weinkellern in denen viele volle Fässer mit Rebensaft aus den hiesigen Weinbergen lagerten, den der Fürst als den besten weit und breit bezeichnete.

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Viel später gab es in Clingen keinen Weinbau mehr. Und so hatte diesmal der kleine Dämon den Blick in die Zukunft gerichtet.
(Auf den satten Wiesen des Weinberges grast heute eine große Herde edler Limousin- Rinder, aber das hat der 6. Sinn damals noch nicht verraten.)

Für den verzweifelten Pfarrer aber war das, was er im Heute gesehen hatte so voller Leben gewesen , daß er wieder Mut faßte, erneut ein junges Weib freite, und so gesellten sich zu seiner Kinderschar noch vier weitere hinzu. Es war eine glückliche, lange Zeit, die er segensreich für die Familie und die Gemeinde verbrachte. War seine erste Frau von scheuer, zarter Art gewesen, so war die zweite voller Tatkraft und Sinnesfreude. Doch auch mit ihr war es dem Pfarrer nicht vergönnt, den Lebensabend gemeinsam zu verbribngen. Und so nahm er, selbst schon im hohen Alter, wie ihm verheißen, eine dritte Frau.
Als er endlich selbst seinen Erdenweg beendet hatte, setzten ihm sein neun Kinder ein Denkmal. Es ist an der Westseite der Clingeschen Kirche angebracht Darauf ist er zu sehen im würdigen Ornat, umgeben von seinen drei Frauen und flankiert von zwei lieblichen Engeln. Und wenn man genau hinschaut, so kann man am linken oberen Rande ein Köpfchen herausgucken sehen. Ich glaub, das ist der kleine Dämon, der seither einen würdigen Menschen sucht, dem er die Gabe des 6. Sinnes schenken kann.

6 Sinn Denkmal ganz

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