Cl.In den Fängen von Kraborn.
Es war an einem diesigen Winterabend. Den ganzen Tag über hatte es nicht richtig tag werden wollen. 11 Uhr, der Nachtwächter Ede machte gerade zum zweitenmal seine Runde, und das trübe Licht der neuen Laterne, die ihm die Gemeinde bewilligt hatte, durchdrang kaum die Finsternis. Seine Wache dauerte bis 4 Uhr morgens, und in der Winterszeit wurde er dafür mit 2 Thalern entlohnt, während er sich im Sommer mit nur einem begnügen mußte. Es war wenig und der Monat lang. Ede kam ins Grübeln.
Heinrich, dem Schweinehirt, war der Vertrag verlängert worden, ob es der seine wohl auch werden würde? Das Gemeindesäckel schien nicht sehr voll zu sein, anders konnte man sich sonst nicht erklären, warum man sich so schwer tat, einen Ofen im Ratszimmer aufzustellen, wo doch alle Herren bei Frost das Bibbern kriegten. Hatte man nicht neulich für die drei Weidenbäume vor dem Brauhaus zwei Thaler in die Kasse bekommen. Und auf’s Bier mußte man jetzt auch noch eine Steuer zahlen. Jaja, heutzutage war das Leben schwer, war es nicht in der guten alten Zeit doch viel besser gewesen?
Der Nachtwächter bog vom Markt um die Ecke und bemerkte, daß in der Tanne bei Müllern noch Licht brannt. Er beschloß, sich einen kleinen Schnaps zu genehmigen.
In der Stube saßen Johann, der Lohgerber zusammen mit dem Schafmeister Caspar und Elias, dem Tranksteuereinnehmer. Zahlreiche Nösel Nordhäuser waren schon durch ihre Kehlen geflossen. Die Drei waren versunken ins Kartenspiel, gerade sagte Caspar einen satten Grand mit Vieren an, und Johann höhnte: „Den hättte auch meine Großmutter spielen können!“ Da tat sich die Wirtshaustür auf, und herein trat ein seltsamer Gast. Sein Gesicht war leichenblaß, die dunklen Augen lagen in tiefen Höhlen, und ein paar zottelige Haarstränen hingen von seinem Kopf herab. Seine dürre Gestalt war mit einer faltigen Lederhaut bezogen, so daß er aussah, als sei er aus einem Moorgrab entstiegen. Und plötzlich hub er an zu krächzen: Hooooo, was wißt Ihr schon von einer Zeit vor 100, 300, 500 Jahren. Ihr schert Eure Schafe, Ihr gerbt Eure Felle, Ihr treibet dem Grafen die Steuer ein und lebet in Frieden Hoooooo! Ich will Euch führen ins Damals, in die gute, alte Zeit!“! Und dabei zitterte und lachte er.
Augenblicklich erlosch die Laterne des Wächters. Es war auf einmal, als wabbere die Finsternis und der Nebel durch Tür- und Fensterritzen von draußen herein in die Köpfe der vier Männer. Wwwwwwwwww. Aus ihrer Betäubung erwacht, fanden sie sich in einem dunklen Gemäuer wieder. Sie hatten schwere Ketten an den Füßen, die mit Ringen an die Wand geschmiedet waren,. und vor ihnen stand, schauerlich grinsend, der Bleiche. “Hoooo, Ihr Allzugescheiten, jetzt könnt Ihr am eigenen Leibe erleben, wie es war in der guten alten Zeit. Ihr seid Gefangene auf der Burg Kraborn.Hier könnt Ihr schmachten Euer Lebtag lang, wenn wir nicht schnell ein Lösegeld für Euch bekommen, mein Bruder und ich.”
Ja, die Zeit des hehren Rizttertums war vorbei. Hatte noch Kraborns Großvater schon im zarten Alter von sieben Jahren als Page seiner Herrin gedient und sich mit 14 als Knappe im Waffenhandwerk geübt, bis er mit 21 zum Ritter geschlagen wurde und das Schwert tragen durfte, so war bei seinem Vater nur noch der Minnedienst verblieben. Nun waren die Landesfürten so stark geworden, die Entwicklung der Feuerwaffe machte den Kampf mit dem Schwert bedeutungslos, und die Landsknechte übernahmen das Krieghandwerk.
Die Brüder Kraborn gerieten in Not und wurden zu Raubrittern. Mit Wegelagerei, Raub und Entführungen machten sie im weiten Umkreis Handel und Wandel unsicher. Die braven Bauern und Händler fürchteten sie, und der Graf konnte sie nicht fassen.
Schon fürchteten Johann, Caspar und Elias und der alte Nachtwächter, Hungers sterben zu müssen, und elendlich im Verlies zu vermodern, denn die Familien waren arm, sie konnten unmöglich die Summe des Lösegeldes aufbringen.
Da gab es auf einmal eine große Unruhe auf der Burg. Ein Trupp kaiserlicher Soldaten war auf Rudolfs Befehl in Hof und Gemächer eingedrungen. Sie jagten die Ritter mitsamt ihrem Gefolge davon, befreiten die Gefangenen und machten die Burg dem Erdboden gleich. Mit Hilfe des Grafen von Gleichen wurden damals noch 88 andere Raubritterburgen geschleift und das Land befreit-. Die beiden Kraborns entflohen. Der eine direkt in Richtung der Sümpfe bei Straußfurt, der andrere gen Norden und ward nie wieder gesehen.
Vom Turm schlug es gerade Mitternacht, als die vier Männer erschreckt hochfuhren. Sie saßen noch immer am Wirthaustisch. Die Kanne mit Nordhäuser war umgekippt, Fuseldunst hing in der Luft. Und als der Nachtwächter seine Laterne wieder entzündete und sich aufraffte zur nächsten Runde, war ihm sein Kopf schwer, und seine Füße schienen ihm wie mit Ketten gefesselt.
Waren die Kraborns damals für immer verschwunden? Nun, 100 Jahre später, im 15.Jahrhundert hat einer aus der Sippe die Dörfer Erbra und Engilda, eines von den Engelsdörfer, ausgeraubt. Und als viel später wieder einmal ein Steuereinnehmer zum Quartal auf dem Weg war, die Einnahmen der Tranksteuer dem Grafen in Sondershausen abzuliefern, wurde er im Grass überfallen und des Geldes beraubt. Bestimmt ist das einer von den Kraborns gewesen.