Cl.Pfäpengeister.

Pfäpengeister

Zu alten Zeiten, als Clingen noch eine wehrhafte Stadtmauer rings um seine 200 Häuser hatte, konnte auch der Wallgraben davor durch die Helbearme unter Wasser gesetzt werden.am Abfluß des Grabens Noch heute heißt die Stelle “der Teich”. Im Winter konnte man hier Schlttschuh laufen. Nach der Trockenlegung wurden Obstplantagen dort angepflanzt und am Abfluß des Gra­bens Weidenbäume. Nun spielten die Buben im Sommer zwischen den Bäumen Fußball, und das sehr zum Ärger der Baumpächter, die Angst um ihre Äpfel hatten. Im Frühjahr aber, wenn der Saft in die Weidenzweige trat, schnitten sie sich Ruten und fertigten sich Pfeifen daraus. Zum Gelingen mußte die Schale vom Kern abgeklopft und dabei ein Zauberspruch gesungen werden:

Rote, rote Pfäpen
wißte mich geroten,
kimmt der Moo aus Schloten
kimmt die Kau
frißt dich rau
kimmt das Schwin
frißt dich ganz und gore nin!

Einmal nun war Paul, ein Junge aus Westgrissen, unter den spielenden Kindern. Sein Vater hatte etwas auf der Domäne zu richten und seinen Sohn im Landauer mitgenommen, wollten die beiden, nach erledigter Arbeit, doch noch weiter zu einem Onkel nach Grü­ningen. Nun leben aber seit altersher die Bengels aus Clingen mit denen aus Westgreußen in inniger Fehde. Unzählige Gefech­te mit zerschundenen Knieen und veilchenblauen Augen zeugen davon. So kam sich der Junge aus dem feindlichen Nachbarort recht verloren vor. Es war ein schöner Maientag, und wieder schnitzten die Jungen ihre Weidenpfeifen, klopften mit dem Messerrücken die Rinde weich und schnitten sorgfältig ein Mundstück . Der Westgreußner aber hatte kein Messer und ärgerte sich, hätte er doch auch gerne ein Pfeifchen gehabt. Wie nun einer nach dem anderen sein Zaubersprüchlein aufsagte, sprang Paul dazwischen und prahlte: „Ha,

Schwin und Kau und Schloter Moo
sinner nur in nirgendwo.

Pfäpen 6 Jungen

Dann lief er schnell davon. Schon auf der Heimfahrt von Grü­ningen war dem Jungen sehr übel. Und als er zuhause angekom­men war, steckte ihn seine Mutter schnell ins Bett, denn er hatte hohes Fieber.

Es war mitten in der Nacht. Da stand auf einmal ein kleiner, dürrer Mann vor des Jungen Bett. Er hatte schwarze Zottelhaare, fin­stere Augen, ein langer, wie ein Seil gedrehter Bart wuchs ihm vom Kinn herab, und in der Hand hatte er ein Messer. Dem Jungen schauder­te, doch der Unheimliche zog ihn mit unnd sagte:
“Komm, Du ungläubiger Knabe, komm mit mir durch die Wei­denwälder ins Reich der Pfäpen.

Dort werd ich Dich binden und schinden.
In dicken Seilen mußt Du verweilen.
Dann komm’n sie zuhauf und fressen Dich auf.

Und auf einmal raschelte und trampelte es und grunzte und muhte. Und alle Weidenbäume ringsum fingen an zu kichern, hihihihi!!! Der dürre Mann aber klopfte nun mit dem Mes­serrücken auf des Jungen Kopf herum, so, als wolle er die Haut abschälen. Da plötzlich kam im Schweinsgalopp ein riesengroßes Tier mit spitzen Hauern wie eine Wildsau, auf ihn zu, grgrgrgr, und von der an­deren Seite kam mit gesenktem Kopf, laut brüllend eine Kuh, muhhh, muuuhhh. Die beiden stellten sich vor ihm auf:
“Du hast nicht an uns geglaubt, steh stramm, wenn wir mit Dir sprechen. Da uns keine Pfäpen schmecken, werden wir jetzt Dich auffressen.”

Pfäpen Kuh Seiler Sau ganz

Und damit fingen sie an, an seinem Kopf zu knabbern, zu knabbern, zu knabbern! Und plötzlich war wieder große Stille und schwarze, dunkle Nacht.

Als Paul am anderen Morgen aufwachte, waren ihm am Kopf große Büschel seiner Haare ausgefallen, und sie wuchsen nicht wieder nach. Sein ganzes Leben lang mußte er mit Glatzestellen herumlaufen. So trug er fortan stets einen großen schwarzen Hut, den er nur im Bett absetzte. Und Pfeifen hat er sich auch nie wieder ge­schnitten .

Als er viele, viele Jahre später einmal nach Schlotheim fuhr, sah er dort einen kleinen, dürren Mann vor dem alten Mühlenturm neben dem Seilermuseum sitzen . Es hatte lange, weiße Zottelhaare und ein kleinen gezirbelten Bart. Er spielte auf einer Pfäpen und sein Hund jaulte die zweite Stimme dazu. Es war ein alter Seiler, der früher hin und wieder mit seinem Kärwe (Tragkorb) über die Dörfer gekommen war, um den Bauern Seile und Wäscheleinen zu verkaufen. Die Kinder hatten stets ein wenig Angst vor ihm gehabt, weil er, wenn sie ihn neckten, mit krächzender Stimme drohte. sie an einen Baum festzubinden.
Der Alte wünschte freundlich ‘Guten Tag’. Aber Paul kam es vor, als wenn er ihn schon immer gekannt hätte.

Pfäpen Seiler vor Turm

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