Nun habe ich viel über meine neue Heimat Bielefeld erzählt. Doch neulich war Lumpi ja bei der Oma in der Ruhl. Da ist es doch gut, wenn ich nun einmal zur anderen Oma nach Clingen gehe.
Clingen ist ein kleiner Ort in Thüringen. Er liegt nördlich von Erfurt am Rande der „Goldenen Aua“. Der „Flecken Clingen“, wie es im alten Kirchenbuch heißt, hat seit 1350 Markt- und Stadtrecht und ist Sitz des Gerichtes.
Auf einer großen Landkarte aus dem 16.Jahrhundert, die ich vor Jahren in einem prunkvollen Saal im Palazzo Vecchio entdeckte, ist der Ort als einziger in der ganzen Umgebung eingezeichnet. Aber auch noch viel früher hat es hier schon Siedlungen gegeben. Aus dem Jahre 900 kennt man zwei Dörfer „Gruzin“, heute Westgreußen, und „Clingen“, die der Sage nach 525 ein Ritter mit seinem Gefolge gegründet haben soll.

Und nun werde ich einige wundersame Geschichten aus Clingen erzählen.

Im tiefen Loch
da haust der Zoch!

Der Zoch ist ein böser Wassermann. Nicht Haare, nein, grasgrüne Algen, die ihn unsichtbar machen, umkränzen seinen großen Kopf. Da, wo beim Menschen die Füße gewachsen sind, wuchs ihm ein fusseliger Schwanz, doch dafür hat er 4 m lange Krakenarme.
Schon seit Jahrhunderten hockt er unter der Steingrabenbrücke und lauert auf Opfer. Und wer schuldbeladen des Lebens Bürde nicht mehr tragen, und des Lebens Lust nicht mehr kosten will, den zerrt er voller Gier in die Tiefe. Der Zoch kann schnell zuschlagen oder lange harren. Bald umschlingen seine Arme Pferd und Mann und Wagen mit plötzlichem Griff, bald träufelt er langsam Verzweiflung und Schwermut in sein Opfer. So holte er sich das Trudchen und des Trompeters Weib, die entehrte Jungfer und Fritz, den alten Maler.

Einmal nun gab es einen jungen Bauern, den Gustav. Der war fleißig und rechtschaffen und liebte die Tochter seines Nachbarn. Da der Jüngling aber nur wenige Morgen sein Eigen nennen konnte, sein Hof war durch viele Teilungen klein geworden, der Vater des Mädchens aber zu den Reichsten des Dorfes gehörte, zürnte dieser und widersetzte sich dem Bunde der Liebenden.
Da trafen sich die jungen Leute heimlich des nachts unter der großen Linde auf dem Kirchberg und schworen sich ewige Treue. Als der Vater dies gewahr wurde, sprach er böse über den unerwünschten Eidam.

Als nun einmal im Morgengrauen ein Frettchen wüst in seinem Hühnerstall gehaust hatte, verbreitete er im Ratskeller am Stammtisch: ” “Der Gustav hat mir nicht nur meine Tochter gestohlen, er ist auch in meinen Stall eingebrochen und hat den Hühnern den Hals umgedreht. Die Köpfe hat er gekocht und gegessen, ihm hing noch eine Feder aus dem Mund. Er ist mit dem Teufel im Bunde.”

Und als kurze Zeit später der Satt­ler beim Gerinne ins Rutschen kam und ihm ein Töpfchen mit beizender Lederbrühe vom Leiterwagen kullerte, in die Helbe fiel, darob aber viele Fische er­stickten, bezichtigte der Mann wiederum den Gustav und grölte: “Seht, nun vergiftet er das Waser, er ist schlecht, er will uns verderben, werft ihn in den Pulverturm, dort mag er verrecken.” In dem alten, von Ratten behausten Turm in der Brunnengasse hatte schon mancher Clingener ge­schmachtet .

Die Ratsherren, so aufgehetzt, wollten nun dem Gustav den Prozeß machen. Da wußte der in seiner Not keinen Rat mehr. Kreuzelend und zu Tode traurig trieb es ihn zur Steingra­benbrücke. Und wie er so hing über den Abgrund, da hörte er eine lockende Stimme: “Komm, schöner Jüngling, komm zu mir, alle deine Sorgen werden von dir genommen. Die Welt wird wasserblau für dich, du wirst die schönsten Träume träumen und deine Liebste wird sich mit dir vereinen.’ Da ließ sich Gustav mit einem wehen Aufschrei zum Himmel hin­unterstürzen ins schwarze Nichts.

Doch siehe, als die Gischt ihn umschäumte, kamen 1 000 Frö­sche herangeschwommen und gaben ihm Atem. Der Zoch hatte keine Macht über ihn, denn die Liebe seines Mädchens war stärker. Es saß am Ufer und weinte Tage und Nächte, und ih­re Tränen fielen in den Graben. Und sie weinte so sehr, daß das Wasser schwoll und über die Ufer schwemmte bis das gan­ze Dorf zu versinken drohte. Und als im 7. Mond das bleiche Nachtgestirn sich zum vollen Kreise rundete, da schwappte mit einer gewaltigen Welle ein Jünglingskörper ans Land. Als aber das Mädchen die kalte Stirne küßte, floß plötzlich wieder warmes Blut durch des Verlorenen Adern und er er­wachte zum Leben.

Seither haben noch viele Verzweifelte den Sprung in die Tiefe getan. Die meisten hat der Zoch behalten und nicht wieder herausgegeben, denn nur wer frei von Schuld, konnte! durch gute Menschen gerettet werden.

Denkt daran:

Ins tiefe Loch lockt noch heute
der Zoch die cling’schen Leute.
Drum gebet acht,
sonst wird es Nacht.