Der Pan.(Erdbeben in Bielefeld )
Ganz versteckt in einer Ecke am Tempel der Musen, in dem die Hexen und Nymphen zu Hause sind, wo aus Bettelmädchen Königinnen werden, und wo eine Flöte Zauberkraft hat, da hockt er, zusammengekauert in einer Muschel, halb Gott, halb Bock, halb Herr im All, halb lähmender Schrecken, das Zwiegesicht, der Pan! Was hat er in Bielefeld zu suchen; er, der doch im Dickicht der Haine, im geheimnisvollen Dunkel der Wälder sein Reich hat? Das will ich Euch erzählen.
Als vor fast 800 Jahren der Ravensberger Graf Hermann die Stadt BieleÂfeld gründete, da gab es nur wenig festen Boden, um darauf Häuser zu bauen. Wälder und Sümpfe rahmten den Paß durch den Osning. Es tumÂmelten sich in den Gefilden die Nymphen, von der Lutterquelle kamen die Najaden, von den Bäumen die Dryaden, und zu ihnen gesellte sich Pan, der struppige Geselle mit Hörnern und Ziegenfüßen. Ihm ward verheißen, ganz Mensch zu werden, wenn er die Liebe einer schönen Frau gewinnen könne. Er hatte sich aus Schilfrohr eine Flöte gebaut und sie nach seiner Lieblingsnymphe »Syrinxa genannt. Mit ihr spielte er den Waldkindern im neblichen Morgengrauen zum Tanze auf. Wenn die verhüllenden Schleier sich hoben, schienen sich die Gestalten in Nichts aufzulösen, so daß kein menschliches Auge sie erblickte. Nur manchmal schaukelten im Wind noch liebliche Klänge nach. Am Mittag, wenn die Sonne am höchsten stand, sanken alle in tiefen Schlaf. Es war die Stunde des Pan.Eines Tages nun, ritt Jutta, die Gemahlin des Grafen, zur Jagd mit dem Falken. Sie war das Bruderkind des großen Kaisers mit dem langen roten Barte. Doch ihr Haar war golden wie die Strahlen der Sonne. Sie trug es nicht verhüllt wie es Sitte, nein, ihre Locken wehten gelöst beim scharfen Galopp wie die Mähne ihres edlen Pferdes. So sah sie Pan, und er war voller Entzücken. Sein Herz entflammte in heißem Begehren, dieses prächtige Weib zu besitzen. Seine zarten Flötentöne klangen gar verlockend, und die junge Gräfin war neugierig, von wo die ZauberÂklänge herkämen. Sie verließ den gewohnten Pfad. Da!! Plötzlich trat eine Gestalt aus dem Grün heraus und wollte nach ihr greifen. Jutta stieß bei dem unheimlichen Anblick einen schrillen Schrei aus, ihr Pferd bäumte sich hoch auf und stob dann in wilder Flucht… direkt in den Hagenbruch. Welch Entsetzen! Pferd und ReiteÂrin sanken immer tiefer und tiefer in den schier grundlosen Sumpf, und wären nicht Knechte vom nahen Waldhof herbeigeeilt mit Stöcken und Stangen, sie hätte sich nicht befreien können.
Wenig später lernten die Bielefelder die Häuser auf Eichenpfähle zu gründen und so die Brüche zu besiedeln. Die Nymphen waren verÂschwunden und Jahrhunderte lang schien auch Pan vergessen.
Doch wieder begab es sich, daß ein junges Weib mit herrlichen goldeÂnen Locken am Ufer der Lutter saß. Auch sie hieß Jutta und war die Tochter des Damm-Müllers, ein gar kluges Kind. Da erwachte in Pan wieder das Verlangen.
Weil nun die Begegnung nicht ebenso im Schrecken enden sollte, nahm Pan die Gestalt eines schönen Jünglings an. Doch er hatte sich in seiner Ungeduld zu hastig verwandelt, und so verschwanden die Bockshörner am Kopfe nicht vollständig, es blieben kleine Spitzen zurück. Pan bedeckte sie mit einem kessen Barett, das er tief in die Stirne zog. Dann näherte er sich flötespielend dem Mädchen. Diese erfreute sich an den wohlklingenden Melodien. Und als der Musikant sie artig um ein Wiedersehen bat, willigte es errötend ein. So trafen sich beide viele Male. In Jutta keimte eine Liebe zu dem hübschen Mann auf.
Sie lachte über sein Mützchen, das er nie absetzte, doch er hatte ihr einÂdringlich verboten, es ihm jemals zu nehmen. Das erweckte ihre NeuÂgierde. Und als sie nun ihre erste Nacht zusammen verbrachten, neckte Jutta: »Warum verbirgst du mir dein Haar, ich will es kraulen«, und sie lachte: »Oder hast du vielleicht eine Glatze?« Übermütig wollte sie nach dem Barett greifen. Verzweifelt rief Pan: »Tue es nicht, tue es nicht, es wird dich reuen!« Aber zu spät! Ausgelassen hüpfte sie, die Warnung verachtend, um ihn herum und riß es ihm das Barett vom Kopf.
Es gab einen grellen Blitz, ein gewaltiges Dröhnen rollte vom Osning heran, und augenblicklich stand Pan da in seiner Bocksgestalt, struppig und ruppig und mit riesigem Gehörn, dann verschluckte ihn der Wald! Jutta aber erstarrte, dann lief ein heftiges Zittern durch ihren Körper und bald bebte die ganze Erde. Von den Wänden fielen die Teller und Kannen, die Schornsteine stützten ein, und von der Pilgerherberge der heiligen Gertrud im Hagenbruch bröckelten die Mauern. In Bielefeld tobte ein Erdbeben.
Der Damm-Müller hat seine Tochter dem Kloster gegeben. Pan blieb verschollen. bis er Schließlich am Opernhaus wieder auftauchte. Wartet er noch immer auf ein Weib, das ihn erlöst???
Die Bildhauer Seifert und Greiner schufen vor fast 100 Jahren den Pan, der in einer Muschel an der Wand des Opernhauses hockt.