DIE LAUSEICHE. (Spuk in Brönninghausen )
Da, wo der Brönninghauser Bach in die Windwehe mündet, ganz nahe beim alten Runkelkrug, steht ein großer, uralter Baum. Man nennt ihn »die Lauseiche«. Es heißt, an ihrer Rinde hätten sich früher die Zigeuner gekratzt und sich von ihren Läusen befreit. Ob das wahr ist, weiß man nicht, aber eines ist gewiß: Hier spukt es!
Es lebte einmal ein reicher Bauer in Brönninghausen. Der hatte zwei Söhne, den Hubert und den Caspar. Der eine war hochgewachsen und stolz, doch er trug auch seine Nase hoch und war voller Mißachtung gegenüber seinem kleinen Bruder, der brav und bescheiden alle Ächte ertrug.
Als nun der alte Bauer gestorben war, erbte Hubert, der Älteste, den Hof, wie das in Westfalen so rechtens war, und für Caspar blieb nur ein armseliger Kotten mit einem kleinen Garten dahinter übrig. In dem brüchigen Stall hielt er eine Kuh, die Liese, und Hippchen, die Ziege. Zwischen den Beeten scharrten fünf Hühner, voran Gabriel, der Hahn. Der reiche Bruder lebte in den Tag hinein. Statt auf seinen Feldern zu schaffen, stolzierte er im Gehrock und steifen Kragen im nahen Bielefeld herum, praßte bei den Wirten der Stadt und spielte mit dunklen Gestalten um Geld. So kam es, daß bald sein Hof voller Schulden stand.
Hatte er zunächst Caspar ob seines spärlichen Besitzes nur mit Hohn bedacht, so erfaßte ihn nun Zorn und Gier, wenn er das Erbe seines Bruders schaute. Der war fleißig gewesen, hatte gezimmert und gemauert, so daß Häuschen und Stall sich wieder schmuck und sauber zeigten. Im Garten gediehen herrliche Blumen, die Caspars Frau, zu Sträußen gebunden, in der Stadt verkaufte.
Hubert nun sann darauf, wie er dem Bruder schaden könne, um auch dessen Besitz habhaft zu werden. So tat er heimlich, als eines frühen Morgens die Kühe auf die Feldmark – die gemeinsame Weide – getrieben wurden, zur Liese noch zwei von seinen Rindern hinzu. Dann lief er zum Meckler: »Seht, der Caspar hat mir Vieh gestohlen und treibt es nun als sein Eigen ein.« Da wurden alle drei Tiere in den Schüttstall gesperrt, und Caspar mußte nicht nur Buße zahlen, um sie wieder frei z8u bekommen, sondern wurde auch noch für den angeblichen Diebstahl hart bestraft.
Wenig später schlug Hubert Bäume, mehr als ihm zustanden. Auch setzte er dafür keine jungen»Pottena. Dann lief er zum Holzrichter: „Sehr, der Caspar hat zuviele Bäume geschlagen, hat Brennholz gesammelt, wo es verboten. Ihr müßt ihn bestrafen.« Und da Caspar seine Unschuld nicht beweisen konnte, geschah das dann auch.
Schließlich versetzte der böse Bruder des Nachts seine Grenzsteine. Und als dies beim nächsten Schnatgang bemerkt wurde, bezichtigte er wiederum den armen Caspar. Der hatte dann wenig Freude an dem der Feldbesichtigung folgenden allgemeinem Fest, bei dem es Speis und Trank gar reichlich gab, und Spiel und Tanz nicht fehlten. War in ihm doch die Furcht aufgestiegen, seines Besitzes verlustig zu werden, auf daß er sich als Pfahlbürger eine neue Bleibe in der Feldmark schaffen müsse.
Nun ging aber allweil im Dorfe das Gerücht um, unter der Lauseiche sei ein Schatz vergraben. Die Habgier aber habe zwei Brüder im Kampfe darm ins Verderben gestürzt. Vor Zeiten dann sei ein Weber aus Bielefeld daran gegangen, das verborgene blauleuchtende Zaubergold zu gewinnen. Vergebens! Und nun sollte wiederum die Lauseiche für zwei Brüder zum Schicksal werden. Denn als der Hubert von dem Geschwätz im Dorfe hörte, hatte er nichts anderes mehr im Sinne, als den Schatz z8u heben. Nicht wissend, daß der Ostervollmond die rechte Zeit sei, wählte er die nächste Neumondnacht, auf daß in der Finsternis ihn niemand sähe. Also schlich er sich mit einem großen Spaten an die Lauseiche heran. Nun hatte aber ein Wiedehopf in der Krone des Baumes sein Nest gebaut und drei junge Vögelchen hockten darin. Als die es unter sich knacken und knistern hörten, wähnten sie sich in großer Gefahr, drehten ihre Hinterteilchen gen Hubert und schossen aus ihren Birzeln einen so übelriechenden Saft, daß der damit Bekleckerte weglief und sich sieben Tage lang mit heißem Wasser und einer scharfen Wurzelbürste schruppte und den Gestank doch nicht los wurde.
Aber als es wieder Neumond war, versuchte er es zum zweiten Mal. Diesmal hatte er neben dem Spaten noch eine lange Eisenstange mitgenommen. Mit dieser zerstörte er erst das Nest und erschlug dann die Tiere. Da kam auf einmal ein Gewitter auf. Es grollte und donnerte gar fürchterlich, und plötzlich schlug der Blitz in die lange Stange, und Hubert lag sieben Wochen wie gelähmt darnieder.
Doch die Habgier trieb ihn, es ein drittes Mal zu versuchen. Dieses Mal wollte er ganz schlau sein und zu erwartendes Mißgeschick auf Caspar lenken. So sprach er mit falscher Zunge zu diesem: »Höre, deine Ziege hat sich verirrt, sie ist bei der Lauseiche in einen Graben gefallen und hat sich verletzt. Komm, wir wollen sie ausgraben.« Doch als sie an dem alten Baum zu graben anfingen, da taten sich auf einam die Wurzeln auseinander, und ein tiefes, tiefes Loch klaffte auf. Hubert sah sich schon am Ziel seiner Wünsche. Er stieg hinab. Tat sich das Loch wieder zu und Hubert wurde nie wieder gesehen! Auch er war ein Opfer seiner Habgier geworden.
Der Richter gab den nun verwaisten Hof dem Caspar zu gen. Der beibewirtschaftete ihn gut und segensreich und wurde ein angesehener Mann.
Unter der Lauseiche aber hört man, wenn es Neumond ist, ein Stöhnen und Fluchen: »Huhhhhhh, huhhhh, laßt mich hier raus !
laßt mich hier raus !