Pustepuff. (Bielefelds erste Dampfmaschine)
Nun mal wieder eine lustige Geschichte, und ich weiß genau, daß sie sich hier in Bielefeld abgespielt hat.
Seit Jahrtausenden gibt es Flaschengeister. Ihre Heimat ist das alte Persien, sie hausen in dickbauchigen Amphoren voll süßen Weins, in kleinen Kristallflakons mit berauschendem Ambra oder Moschus, aber auch in einfachen Bierflaschen. Es sind hinterlistige Gesellen, die erst den Menschen alle Schätze der Welt versprechen, damit sie aus ihren Gefängnissen herausgelassen werden, und wenn sie dann in der Freiheit sind, verhöhnen, betrügen und quälen sie ihre Opfer. Neulich ist so ein Geselle aus seinem Samoskrug umgezogen in eine Ketchupflasche. Er erhoffte sich davon, dass die Leute schneller auf ihn hereinfallen.
Ganz im Gegensatz zu diesen Unholden gibt es die Topfgeister. Sie sind lustig und hilfsbereit und können nach eigenen Willen in ihren Töpfen ein und ausgehen. Ihr größter Feind ist die Kälte, in ihr würden sie vergehen. Und da gibt’s also Pustepuff. Er wohnt in einem Dampfkochtopf.
Die meiste Zeit verschläft er in wohliger Hitze. Doch jeden Nachmittag punkt 20 Minuten nach 4 Uhr hüpft er mit einem kräftigen Dampfstoß aus dem Ventil heraus. Setzt sich auf den Topfrand, baumelt mit den Füßen und wartet auf Abenteuer. Wenn er leise pustet, hört es sich wie Flötenspiel an, wenn er die Dampfwölkchen jedoch schluckt, kann er sich damit aufblasen und beinahe Menschengröße erreichen. Doch immer muß er aufpassen, dass er nicht abkühlt, sonst welkt er dahin wie ein Blatt am Baum, und es wäre um ihn geschehen.
Wie er nun wieder einmal so beinchenbaumelnd herumsaß, kam ein Soldat vorbei und sah ihn pusten. “Oh,” sagte der “komm mit mir Kamerad, ich kann dich gut gebrauchen. Du kannst mich prächtig einnebeln und bist die perfekte Tarnung für mich.” Erfreut über das Angebot gesellte sich Pustepuff dem Soldaten zu und ging mit ihm ins Manöver. Doch er mahnte:
“Ich komm mit Dir und geb’ Dir viel,
doch eins bedenk MACH MICH NICHT KÜHL!”
Anfangs waren beide sehr zufrieden. Pustepuff hockte auf dem Tournister des tapferen Streiters, pustete aus vollem Hals, und beide waren eingenebelt, unsichtbar für den Feind. Der Zugführer war des Lobes voll. Doch dann gab’s einen kalten Nieselregen. Pustepuff fing an zu bibbern und zu zittern und flüchtete schließlich schleunigst in die Gulaschkanone, wärmte sich schnell auf und verschwand in seinem Elektrotopf. Der Soldat aber stand plötzlich völlig ungedeckt herum und wurde …puff ! mit Platzpatronen totgeschossen.
Als nächster kam ein Dichter daher. Und da Pustepuff gerade Himbeerbonbons lutschte, waren seine Pustewölkchen rosa eingefärbt. Der Mann war entzückt, war doch sein größter Wunsch, auf rosaroten Wolken zu schweben. “Komm mit mir, kleiner Mann , und sei meine Muse, hilf mir zu dichten.” “Das kann lustig werden,” dachte Pustepuff und trottete gutmütig mit. Und wieder mahnte er seinen neuen Herrn:
“Ich komm mit dir und geb’ dir viel,
doch eins bedenk MACH MICH NICHT KÜHL !”
Der Mann war ein sehr armer Poet. Er hockte in einer kleinen, dürftigen Stube an einem Schreibpult, viele leere Blättern waren darauf und darum verstreut. In der Ecke stand ein kleiner runder Kanonenofen, aber es gab keine Kohlen mehr. Pustepuff pustete, ganz zart rosa waren die Wölkchen noch, und der Dichter schwang sich sofort darauf und entschwebte.
In der Stube wurde es kalt und kälter, doch der Poet dachte nicht mehr an seinen Helfer. In seiner Not hockte sich Pustepuff auf einen alten, ganz verkalkten Tauchsieder, doch der hatte einen Kurzschluß und konnte nicht mehr sieden. Im letzten Moment – der arme Kerl war schon ganz verhutzelt – erreichte er noch seine eigene Wohnung und konnte sich wieder erholen. Die Trägerwolke hatte schnell ihren rosa Schimmer verloren, war erst weiß und ….
dann grau geworden, und der Dichter stürzte pumm-pardautz ab.
Auf diesen Schrecken hin blieb Pustepuff Tage lang seinem Dampftopf und schlief. Am 101 ten Tag kribbelte es ihm in Armen und Beinen, und punkt 20 Minuten nach 4 Uhr schoß er wieder aus seinem Ventil heraus.
Da kam ein kleiner Junge herbei, sah den lustigen Geist und rief: “Komm mit mir, wir wollen zusammen spielen.” So gingen die beiden, pusteten zusammen Seifenblasen und stritten, wer die größten zustande bringe. Sie spielten mit den zarten bunten Bällen und hatten ihren Spaß. Kein Dienst wurde verlangt, kein Spruch gesagt. Der Junge nun hatte eine wunderschöne Schwester, die Hanna, und Pustepuff verliebte sich augenblicklich in sie. Vorsichtig blies er sich zu einem schlanken, jungen Mann auf und warb um das Mädchen. Ihm wurde bei ihrem Anblick so warm uns Herz, dass er gar nicht mehr an seinen Dampftopf dachte. Nach einer Weile fand auch Hanna Gefallen an ihm und schenkte ihm ihre Liebe. Die Wärme, die zu ihm strömte machte ihn glücklich und er beschloß, seine menschliche Gestalt zu behalten und die beiden feierten Hochzeit. Der Vater der jungen Frau, der Bleichner Heinrich Gassel, aber hatte eine bekannte Fabrik in Bielefeld, und weil Pustepuff so eine große Erfahrung mit Dampf hatte, stellte ihn sein Schwiegervater als Meister für die erste riesige Dampfmaschine ein. Sie stand lange im Museumspark, und ist noch heute im Historischen Museum als Industriedenkmal zu besichtigen.