Der Köttelbrink (der Kobold vom Kesselbrink)
Vor langer Zeit lebte auf dem Köttelbrink ein kleiner Kobold. Der Köttelbrink war eine Schafweide am Rande Bielefelds und war mit Kötteln übersät. Der Kobold war ein lustiges Kerlchen, das nur Unsinn im Kopf hatte. Als der nun wieder einmal zwischen den Tieren herumwuselte und mit den kleinen Lämmern um die Wette Bockspringen übte, geschah es, daß er sich sein linkes Beinchen verknaxte. Er schrie und humpelte und sann auf rasche Abhilfe. Nun war es aber so, daß er magische Kräfte hatte, und wenn er sich etwas sehr wünschte, so ging es in erfüllung. “Wenn ich doch jetzt ein gutes Kräutlein oder ein heilendes Wasser hätte”, dachte er, und er dachte es ganz heftig. Der Gedanke hüpfte aus seinem Kopf, bohrte sich in das Erdreich, rund plötzlich sprudelte frisches, klares Wasser aus einem kleinen runden Loch.
Und kaum hatte der Kobold sein Beinchen im Wasser gebadet, war er wieder putzmunter und gesund. Übermütig hüpfte er durch die ganze Stadt und verkündete:
“Auf dem Köttelbrink ist eine Wunderquelle,
und wer auf diesen Platz in aller Zeit wird gehen,
der wird, das sag’ ich Euch, auf heilen Beinen stehn. “
Dann legte er sich schlafen und schlief hundert Jahre.
Um die Quelle herum aber begann ein reges Treiben. Aus der ganzen Umgebung kamen die Leute. Und tatsächlich, ihre Hühneraugen verschwanden genauso wie ihre Gicht. Wer an Krücken anreiste, ging tänzelnd von dannen. Der Köttelbrink wurde berühmt. Längst waren die Schafe auf eine andere Weide getrieben worden und auf dem Platz ein stolzes Badehaus errichtet.
In großen Kesseln wurde das kostbare Wasser aufgefangen, und man nannte die Anlage nun “Kuranstalt Kesselbrink”.
Eines Tages kam eine junge Gräfin. Die Ärmste war sehr traurig, denn sie war an Armen und Beinen gelähmt und wurde von einem Diener im Rollstuhl herbeigefahren. Alle bewunderten ihre Schönheit und bedauerten ihr Schicksal. Sieben mal sieben Tage hat sie gebadet, und dann konnte sie wieder lachen und springen. Und fortan war sie gesund, aber sie kehrte jedes Jahr einmal zurück und erquickte sich im frischen Quell.
Als nun hundert Jahre vergangen waren, wachte der Kobold auf. Da sah er, daß die Bademeister üble Geschäfte trieben, das Wasser aber trübe war und seine Heilkraft verloren hatte. Das kam, weil tief in der Erde ein böser Wurm saß. O weh, der Kobold erinnerte sich. Hatte er diesem nicht vor langer Zeit einmal einen frechen Schabernack gespielt? Richtig, er hatte ihm Kletten an das
Wurmende gesteckt, so daß dieser überall hängenblieb und kopfüber, kopfunter in den Sträuchen klebte, und beinahe wäre e,r von einem Vogel gefressen worden. Nun hatte sich der Wurm gerächt und alle heilenden Mineralteilchen aus dem Wasser herausgeschlappert, so daß es wertlos geworden war.
Unser Kobold dachte nach und meinte, man könne auch auf andere Weise seine Beine kräftig und gesund erhalten. Und schon war aus dem, Kesselbrink ein Exerzierplatz geworden. Der Wachtmeister, scheuchte seine Rekruten, und das “Auf, auf, marsch, marsch” hörte man bis zum Jahnplatz schallen. Befriedigt legte sich der Kobold wieder schlafen und träumte von den vielen Soldaten denen er allen zu kräftigen Waden verholfen hatte.
Wieder vergingen viele Jahrzehnte. Diesmal wurde er von übermütigem Geschrei und lauter Musik geweckt. Er rieb sich die Augen, was war denn das? Aus dem Kesselbrink war ein Rummelplatz geworden. Und wie die Leute darauf herumrummelten, schaukelten und wippten. Ganz hinten in der Ecke gab es ein Zelt, da verknoteten doch zwei Ringkämpfer ihre Glieder miteinander. Da war alles erlaubt, an den Haaren ziehen, die Nase umdrehen oder in den Po beißen. Die Zuschauer johlten, kinnte das denn gutgehen? Aber es konnte ja gar nicht schiefgehen, der Zauber wirkte ja immer noch.
Die Zeit verging nun sehr schnell. So schnell, daß die Menschen keine Zeit mehr hatten, auf ihren Beinen zu laufen. Sie fuhren mit Autos herum und mit Omnibussen. Und so wurde aus dem Kesselbrink eines Tages ein großer Omnibusbahnhof.
Darunter gab es eine riesige Tiefgarage. Die Bagger hatten den bösen Wurm vertrieben, und so war auch das Wasser wieder klar und sauber geworden, und man baute am Rande des Platzes eine Badeanstalt. Der Kobold war damit sehr zufrieden. Er erinnerte sich an alte Zeiten. Und plötzlich fiel ihm die Gräfin ein, die er im Traum beim Baden gesehen hatte. Ach, was war er doch verliebt gewesen in das wunderschöne Mädchen. Hatte er sie nicht am Rande des Exerzierplatzes gesehen, wie sie dem jungen Hauptmann zugewinkt hatte? Und später im Kettenkarussell, die hübsche Kleine mit den wehenden Röcken, das war sie doch auch. Und wer fuhr neulich mit dem 7-Uhr-Bus nach Heepen? Die Gräfin. “Ach, wenn ich sie doch immer vor mir hätte”, dachte der Kobold. Und er dachte es mal wieder sehr heftig. Da, auf einmal saß das Abbild der Gräfin vor der Badeanstalt in einem Brunnen, ließ das Wasser über ihren schönen Leib plätschern, genau, wie es die Urururgroßmutter zu ihrer Heilung getan hatte.
Da ging der Kobold zufrieden wieder schlafen. Was wird wohl sein, wenn er das nächstemal aufwacht?
p.s. Nach neuestes Erwägungen unserer Oberen soll der Kesselbrik in eine Grünanlage zurückgebaut werden. Nun, warum sollen dann nicht auch ein paar Lämmer drauf grasen, spart das Mähen. Dann könnte sich Bielefeld rühmen, die einzige in der Welt zu sein, die in im ihrem absuluten Stadtzentrum eine Schafweide hat, einen echten Köttelbrink.
eine sehr schöne Geschichte, die mich schmunzeln ließ. Obwohl ich am Kesselbrink/Köttelbrink wohne, kannte ich sie bis dato nicht