Der Geizhals (die Folgen des Geizes )
Dies ist ein Märchen mal ganz nach alter Märchenart. Ob es sich nun in Bielefeld ereignet hat, weiß ich nicht. Es könnte auch überall in der ganzen Welt geschehen sein.
Es war einmal ein reicher Mann, der lebte in einem großen Haus mit einem herrlichen Garten ringsum. Aber er war ein Geizhals. Er war so geizig, daß er sich im Keller sein Bett aufgeschlagen hatte, damit die Zimmer nicht abgenützt werden mögen. Auch den Gerten hatte er mit Stacheldraht umgrenzt, denn er gönnte einem anderen nicht einmal den Anblick der bunten Blumen und blühenden Bäume. So saß er Tag für Tag im Keller und zählte sein Geld.
Er hatte eine junge, schöne Tochter, die mußte für ihn Gärtner und Koch, Diener und Putzfrau sein. Sie hieß Trude, aber alle Leute nannten sie Gut-Trud, denn sie war immer freu8ndlich und zu jedermann gut. So sorgte sie auch für ihren Vater.
Sie liebte einen jungen Mann, aber der war arm, und der Vater sagte: “So ein Nichtsnutz kommt mir nicht ins Haus. Wir brauch keinen, der uns die Haare vom Kopf frißt.” Obwohl der Geizhals streng darüber wachte, daß kein Pfennig, keine Nuß und kein Stückchen Brot, ja nicht einmal ein Glas Wasser vergeudet oder verschenkt wurde, half Gut-Trud heimlich armen Menschen, wo sie nur konnte.
Einmal saß ein kleiner Junge auf dem Gartengitter und spielte auf einer Flöte, die er sich aus Weidenrohr geschnitten hatte. Da schimpfte der Vater: “Welch Gesindel lärmt in meinem Park,
drückt die Gräser, daß sie sich verbiegen?”
Und die Tochter antwortete:
Vater, ach es ist der Wind, der durch die Halme bläst,
daß sie sich drin wiegen!”
Da war er es zufrieden.
Dann kam ein armes Mädchen. Sie hatte viele age kein essen bgehabt und war ganz schwach. Gut-Trud nahm sie mit in die Küche, um ihr etwas Brot zu geben. Vom Keller herauf ertönte es:
Wer trampelt über meinen Kopf, mein ist das Haus und
Niemand darf drin wohnen.”
Und Gut-Trud antwortete:
“Vater, ach ein Mäuschen ist’s, das Krumen sucht.
Will den Besen schonen.”
Und wieder ließ er es dabei bewenden, zählte sein Geld und wachte über seinen Besitz.
So wurde es Winter und Sommer und wieder Winter. Da kam eine alte Frau. Sie pochte leise an die Tür, hatte keine Jacke an und keine festen Schuhe an den Füßen. Sie frohr gar bitterlich. Mühsam stützte sie sich auf einen Stock und schlürfte heran. Der Vater aber ahtte gehört, daß etwas durch’s Zimmer schleifte und schrie:
“Lumpenpack, was krtzt hier an der Tür?
Seid verjagt, hier wird nicht rumgekrochen!”
Und er hörte:
“Vater, ach die Sachwalbe ist’s, die Feuer facht.
Will ein Süppchen kochen.”
Aber der Vater schrie weiter. Er werde von allen betrogen, und am schlechtesten sei seine Tochter. Gut-Trud ließ den Vetr toben und ertrug seinen Zorn. Aber sie ging fortan heimlich in der Nacht aus dem Haus, half Armen und Kranken und brachte ihnen, was sie selbst sich abdarbte. Dabei wurden ihre Haare grau und ihre Wangen hoihl.
Eines Tages nun wurde der Vater sehr krank, und er sagte zu seiner Tochter: “Ruf die Schwalbe, das Mäuschen und den Wind, sie sollen mir helfen und mich laben an Leib und Seele.” Aber die Schwalbe flog hoch in den Lüften, sang ihr Lied und kümmerte sich nicht um den Kranken. Das Mäuslein nahm sich, da der Geizhals sich nicht wehren konnte, ein großes Stück Käse vom Teller und schlüpfte in sein Mauseloch. Der Wind aber blies zum Sturm, sodaß die Fenster klirrten und der Alte zitterte vor Kälte und Angst.
“Hilft mir denn keiner?” rief er. Da sagte die Tochter zum Vater: “Du hast gezürnt, wenn ich anderen geholfen habe, soll ich jetzt ungehorsam sein, soll ich jetzt Dein Verbot brechen, um Dir zu helfen?
Da wurde es plötzlich ganz dunkel, die Tür tat sich auf und herein kam die Frau hinter ihr der Flötenjunge und das hungrige Mädchen. Sie trugen ein großes Faß. Die Frau war nicht alt, sie war fein gekleidet, hatte eine goldene Kette und in der Hand eine Waage. “Ich bin die Gerechtigkeit” sagte sie, “ich wache über gut und böse. Ich habe Dich auf die Probe gestellt, reicher Mann, du hast die Probe nicht bestanden, das Maß ist voll. Das Faß, das meine Kinder tragen, ist angefüllkt mit Tränen derer, die Du zurückgestoßen hast. Nun ist es übergelaufen. Du bist böse!!”
Das Tränenwasser floß über alle die Berge von Geld, und dieses zerschmolz wie Eis an der Sonne. Das große Haus zerfiel,und der herrliche Garten wurde zur Wüste.
Dann sprach die Frau zur Tochter: “Du bist gut, ich will Dich belohnen und Dir Deine Jugend wiedergeben, die Du geopfert hast.” Und Gut-Trudes Haar leuchtete auf einmal wieder in hellem Gold, und ihre Wangen waren rosig erblüht. Noch im gleichen Jahr feierte sie Hochzeot mit ihrem Liebsten. Zusammen bauten sie sich ein bescheidenes Häuschen, bekamen viele Kinder, und alle Leute waren gern zu Gast.
Auch den bettelarmen Vater nahmen sie auf und pflegten ihn bis zu seinem Ende.