Der Mann mit der gelben Kappe (Upmeier zu Belzen )
Der uralte Uphof am Hasenpatt hat eine lange Geschichte. Hier versammelten sich schon die Gefolgsleute von Wittekind.
23 Generationen Upmeier zu Belzen haben den Sattelhof bewirtschaftet und zur Blüte gebracht. Doch einer von den Söhnen, der Johann, erlebte eine gruselige Geschichte.
Es ist schon sehr lange her, da gab es auf dem Hof einen Knecht, den Hinner, einen starken Kerl, der tüchtig schaffen konnte, aber ein Raufbold und Dummschwätzer vor dem Herren war. Er trug stets eine zerfranzte strohgelbe Kappe auf dem Kopf, und es hieß, er würde sie auch im Schlaf nie abnehmen. Er erzählte überall Lügengeschichten und stritt sich mit jedem.
Eines Tages nun mußte Johann mit dem Landauer nach Bielefeld zum Rat der Stadt, und als er am späten Nachmittag zurückkam, lief sein Lieblingshengst Florian im Kreis, fletschte die Lefzen, gähnte und flähmte, schmiß sich schließlich hin und wälzte sich. Oh Schreck, er hatte eine Kolik. Voller Erregung schnauzte der Bauernsohn den Hinnrich an: “Was hast Du mit dem Tier gemacht?” Und dreist log dieser: “Was soll ich gemacht haben, ich hab den ganzen Tag auf dem Feld geschuftet und mit den anderen Rüben gehackt. Ich lasse mir nichts anhängen,” knurrte er und drohte mit der Faust.
Aber in Wahrheit hatte er sich heimlich davongeschlichen und war mit dem galoppstrarken Florian zu seiner Liebsten nach Werther geritten. Spät war es geworden, und er hatte das Pferd wohl auf dem Rückritt überanstrengt. Doch gleichmütig biß Hinnrich in einen Apfel und wollte sich abwenden. Da gab ihm Johannes einen Stoß und schrie: “Ich wünschte, der Bissen würde Dir im Halse stecken bleiben, Du elender Lügner!” Der Knecht faßt sich plötzlich mit verzerrtem Gesicht an den Schlund, fing an zu röcheln, krächzte noch zweimal und fiel tot zu Boden.
In großer Not jagten dem Johann die Gedanken durchs Hirn. Gleich würde der Hufschmied kommen, denn nur dieser hatte einige Kenntnisse, wie man kranken Tieren helfen könne, hatte er doch ein Zauberbüchlin aus dem Orient gelesen, deren Bewohner viel weiter in der Tiermedizin waren. Und so hatte er mit 3 Unzen Bilsenkrautsamen schon so manches Tier retten können. Aber ach, was würde er sagen, wenn er den toten Mann da liegen sähe? Er würde in ihm sofort den Mörder wähnen.
Johann sah sich schon am Galgen hängen und zwar, wie es üblich war, so lange, bis der nächste Delingquent ihn am Strange ablöste. Man würde die “Hauswüstung” des Sattelhofes fordern und einen Stein zur “Ewigen Erinnerung” setzten , damit nie jemand wieder das Grundstück eines Mörders bebauen möge. Denn was im “Schwarzen Buch” einmal eingetragen, kann, wie es hieß, “weder die Kuh ablecken, noch die Krähe aushacken”. “Das boshafte Gedächtnis” würde über Kinder und Kindesbeinen die Schande aufrecht halten. Schon hörte er die Bänkelsänger die Moritat in aller Welt verbreiten noch ehe überhaupt ein Urteil gefällt wäre.
So zerrte er in aller Eile den toten Knecht in die Scheune und vergrub ihn unter Strohballen. In der Nacht aber fuhr er den Körper zum Mühlenturm, hob ein tiefes Loch unter das Fundament aus und versenkte ihn darin, auf daß keiner jemals den Hinnrich finden möge.
Im Dorf verbreitete er, der Hinnrich habe sich auf den Weg gemacht, einen besseren Herren zu finden.
Nichts geschah, Johannes schien gerettet.
Doch als der Mond wieder als Sichel am Himmel stand, schien um den Turm herum ein seltsames Sirren in der Luft zu sein. Die Bätter an den Bäumen und Sträuchern wendeten und drehten sich als ob ein Wind sie zum tanzen brächte. Und eines nachts meinte Johannes eine Stimme zu hören: “Lug und Trug wurd’ mir zur Hölle,
wer rettet meine arme Seele?”
Dann sah er plötzlich die gelbe Kappe. Sie kreiste ächzend um seinen Kopf. Doch er glaubte schlecht zu träumen und verdrängte die Bilder.
Doch es hörte nicht auf. Auch in der nächsten Nacht erschien die Kappe und jammerte. So erbat Johannes den Rat einer weisen Frau. Sie hörte ihn an und flüsterte nach langem Schweigen:
“Es schreit nach Erlösung der arme Wicht,
die gelbe Kappe war sein Gesicht.
Nur du kannst seine Hilfe sein,
zeig Demut, und tritt für ihn ein.”
Da ging er zur alten Marienkirche, in der sich schon im Mittelalter häufig der Ravensberger Landtag versammelte. Und als er vor dem Bild stand, trat der Engel heraus, ein Posaunenspiel erklang und er hörte:
“Alle Tage Gutes tue,
und Du findest Deine Ruhe.”
Zufrieden kehte er heim zum Hof.
Als nun die gelbe Kappe zum drittenmal zu Johannes kam, faßte er sich ein Herz, ergriff die Flehende und setzte sie sich selbst auf den Kopf. Und mit einmal war ihm, als käme eine große Ruhe über ihn. Er sah mit seinen Augen und hörte mit seinen Ohren die Schandtaten der Menschen, die Lügen, das Betrügen, die Schmähungen und die grausamen Schläge. Und er versuchte zu schlichten und zu helfen, wo er nur konnte. Doch er brachte die Sünder auch zu ihrer gerechten Strafe Und bei manch einem ging dann seine Untat nicht mehr auf die Kuhhaut, auf der alle Straftaten peinlichst notiert wurden.
Und fortan hieß es in vielen Kinderstuben: “Seid artig, sonst kommt der Mann mit der gelben Mütze.
In der langen Reihe der Generationen Upmeier zu Belzen waren immer hochangesehene Leute. Und noch heute ist der uralte Sattelhof einer der schönsten in ganz Ostwestfalen.
p.s. Übrigens ist Florian wieder gesund geworden, und auf seinem Urenkel hat Gustav Upmeier zu Belzen 1897, als sogenannter Kaiserreiter, Wilhelm II. bei seinem Besuch in Bielefeld eskortiert.
Noch’n p.s. Ich weiß nicht genau, ob im Jöllenbecker Museum die gelbe Kappe anzuschauen ist, sonst wüßte man ihm mal eine spendieren