Der Golem (Zwergenhöhle am Senner Hellweg )
Wandert man auf dem Senner Hellweg und klettert dann den schmalen, steilen Pfad hinauf, so kommt man zur Zwergenhöhle. Und wenn man Glück hat, dann sieht man davor den Wächter sitzen, aber nur, wenn Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen, zu anderen Zeiten ist er unsichtbar. Der alte Zwerg muß sehr gut aufpassen, denn tief unten in der Höhle hockt der Bielefelder Golem, und sollte der einmal ausbrechen, ist er unberechenbar und kann alles zertrümmern und zerstören.
Wer ist das Ungeheuer, und wie ist es in die Höhle gekommen?
Es war vor langer Zeit, da bekam der Urahn Henkenvordemkahlenfeld, genannt Henken, Besuch von einem alten Juden. Er wollte dem Bauern ein Roß aufschwatzen, denn der Ochse, der bisher den Pflug gezogen, war alt geworden. Der Jud griff dem Gaul ins Maul und zeigte dessen prächtiges Gebiß, was er mit Kreide geweißt. Auch hatte er dem Tier Pfeffer unter den Schwanz gestreut, auf daß die alte Mähre Temperament vorgaukelte. Aber Henken war nicht darauf hereingefallen und wies den Roßhändler ab: “Laßt’s gut sein, lieber Mann , ich brauch kein Roß, ich hab kein Geld. Viel dringender brauche ich einen Knecht, denn auch meine Knochen werden alt.” Da blitzten die Äuglein des Juden und er erzählte:
“Du brauchst Hilfe? Mach es doch so wie einstmals in Prag unser Rabbi Löw. Auch ihm wurde die Arbeit zu viel und er erschuf sich einen Knecht, den Golem. Der fegte nachts die Straßen und hielt dabei Wache, damit keiner kleine Kinder in die Judengasse werfe, denn man beschuldigte deren Bewohner, sie würden für ihre Riten das Blut unschuldiger Kinder brauchen. Du kannst so einen Golem ganz einfach aus Lehm kneten und mußt ihm dann nur die 4 Elemente einhauchen.
Siebenmal Feuer und siebenmal Wind,
siebenmal Wasser, und dann geschwind
ein Blatt unter seiner Zunge gewendet,
dann hast Du schnell Dein Werk vollendet
So sprach der Alte und war plötzlich verschwunden.
Dem Henkenvordemkahlenfeld kam die Sache etwas unheimlich vor, allerdings, sich so einfach eine Hilfe selbst zu basteln und noch dazu umsonst, erschien ihm doch sehr reizvoll. Und so fuhr er am nächsten Morgen nach Lemgo zur Lehmgrube und kutschte mit seinem Schubkarren sieben Fuhren Lehm in seinen Kastenwagen.
Er breitete im Hof eine große Plane aus und fing an, eine menschliche Figur zu modellieren. Zurest den Kopf. Lange überlegte er, was für eine Nase der Kerl haben sollte. Eine Stubsnase , dann würde er pfiffig wirken, eine lange, spitze Nase, dann könnte er aufsässig und stur aussehen. Schließlich entschied er sich für eine derbe Knollennase in der Meinung, daß diese einem Knecht am besten zu Gesicht stehe. Die Schultern formte er breit, ebenso bedachte er die Arme mit einem kollosalen Bizeps. Schließlich sollte der Helfer ja richtig stark werden. Allerdings hatte Hemken nun etwas zuviel Lehm verbraucht, sodaß es für die Beine knapp wurde, aber das erschien ihm nicht weiter bedenklich, da man ja auch auf kurzen Beinen laufen kann.
“Hm”, dachte der Bauer, “nun kommt die Sache mit den Elementen.” Also schleppte er sieben dicke Holzscheite heran, tat obenauf ein paar Strohballen, bettete sein Lehmgeschöpf darauf und entfachte neben dem Misthaufen ein Feuer. Als es schön hartgebraten war, zerrte er es zum Brunnen und schüttete sieben Eimer Wasser darüber.
“Was mach ich nun aber mit dem Wind”, fragte er sich. Dann kam ihm zum Glück sein Blasebalg in den Sinn, und so blies er den Kerl sieben Minuten lang trocken. So, Fertig!
Oder doch nicht?? Richtig, man muß dem Mann ja noch ein Blatt unter die Zunge legen, auf daß er lebendig werde. Tja, bei Blatt fiel dem Bauern sofort nur “Skatblatt” ein. So wählte er, um es besonders gut zu machen, den Herz König und schob ihm dem Lehmmenschen ins Maul. Leider geschah nun aber garnichts. Sein Golem lehnte stumm in der Ecke und strarrte blöd in die Gegend. Die Nachbarn mieden das Haus, weil es ihnen unheimlich erschien, daß im Zimmer immerzu so ein seltsamer Besucher da rumstand.
Henken versuchte alles, um seinem Geschöpf Leben einzuhauchen. Er sang ihm Liedchen vor, er lockte mit leckerem Braten, bot ihm an, mit ihm zu saufen und zu raufen. Nichts!! Schließlich verlor er die Geduld, holte seinen Dreschflegel und zertrümmerte die Gestalt. Dann holte er einen Kartoffelsack, packte die Scherben hinein, kletterte auf den Berg zum Zwergenloch und stopfte alles ins Loch.
Was er jedoch nicht ahnte war, daß in der Höhle ein alter Zwergen-einsiedlich hauste. Mit lautem Krachen plumste dem der Sack auf den Kopf, und er schrie empört auf. Henken wähnte einen Unkenruf hinausgeschlüpft, die Skatkarte fortgeworfen und im Dickicht nach dem vernommen zu haben und stürzte kopflos aus dem Wald.
Am nächsten Tag fiel ihm plötzlich ein, daß er die Karte im Mund des Golem vergessen hatte. Der Gedanke machte ihm Sorge, und er ging flugs zum Ort und fand den Herz-König im Laub. Das machte ihm noch mehr Angst, denn wie war der dahin gekommen? Drohte ihm Böses?
Sieben Jahre lang wurde er das Gefühl nicht los, dann kehrte endlich Ruhe bei ihm ein, und er konnte wieder Skat spielen.
Der Zwerg nun aber hatte die Bruchstücke aus dem Sack gesammelt und sie wieder zusammengebaut. Dabei fand er auch die Herz-König-Karte, die dem Golem noch im Munde steckte. “Ach, was sind die Menschen doch dumm” seufzte er, “Als ob ein Spielzeug Zauberkräfte habe”.
Er war hinausgeschlüpft, die Skatkarte fortgeworfen und im Dickicht nach dem richtigen Kräutlein gesucht.
Und kaum hatte er ein Blatt Kubeben , welches, wie man weiß, die Lebenskräfte stärkt, dem Golem unter die Zunge gelegt, kniete dieser nieder, küßte seinem Herrn die Füße und wird ihm auf ewig dienen.
Und kaum hatte er ein Blatt Kubeben , welches, wie man weiß, die Lebenskräfte stärkt, dem Golem unter die Zunge gelegt, kniete dieser nieder, küßte seinem Herrn die Füße und wird ihm auf ewig dienen.
Der Zwerg sitzt jetzt vor seinem Reich und wacht, damit sein Knecht nicht ausbricht und Unheil stiftet.
Es kann natürlich auch ganz anders gewesen sein. Vielleicht hat der Bauer beim Hineinschütten der Scherben einfach die Karte verloren, und es sitzt überhaupt kein Zwerg im Osning, denn sehen tut man ihn ja, wie ihr wißt nur, wenn Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Ich habe jedenfalls neulich einmal reingegriffen in das seltsame Loch, es kamen nur zwei leere Jogurt-Kirschbecher von Oetker und eine flasche Cola heraus. Hatte wohl welche gepicknickt.
Übrigens, “Golem” ist ein Wort aus dem Hebräischem und heißt übersetzt “Ungeformt”. Und so wird er auch immer bleiben.
Eine schöne Geschichte. Auch über jüdische Tüchtigkeit bei Geschäftsverhandlungen. Anerkennung wird plausibel, Hass nicht.
Den Autor muss man fragen, ob diese Art Erzählung nicht ganz gut in unsere Zeit passten.
Die Zwergenhöhle muss bekannter werden.