Das Ömmelchen (Der Spiegelshof )

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Im Osning lebte einst ein wilder Jäger, der Freiherr Siegismund. Der war ein hübscher Jüngling mit blondem Lockenhaar und entstammte einer alten Adelsfamilie. Doch er war ein Nichtsnutz, und er hatte eine Horde gleichgesinnter, übermütiger Gesellen um sich geschart. Die Leute im Ort nannten ihn nur “den wilden Siegi”, und sie hatten einen mächtigen Zorn auf ihn, denn er jagte nicht nur das Wild in Wald und Feld, nein, er ging auch auf die Pirsch nach ihren Töchtern und Frauen. Im Walde lebte aber auch das Ömmelchen, ein Moosweiblein. Diese kleinen Wesen sind kaum größer als ein Eichhörnchen. Sie leben tief im Tann in warmen Mooshöhlen und sind sehr scheu, aber gutmütig und hilfreich. Sie sehen, hören und verstehen alles, aber sie sind stumm.

Wieder einmal jagte der junge Siegismund im Mai, zur Unzeit Rehe und Sauen als diese ihre Jungen hüteten. Er scheuchte und schoß die Hasen, und seine Gesellen zertrampelten die Felder, und achteten nicht auf die junge Saat. Auf den Weiden hetzten sie das Vieh, so daß es blökte. Da liefen die Meckler, das waren die Feldaufseher, die die Obhut über die Wiesen und die grasenden Tiere hatten, zum Rat und erhoben Anklage gegen den wilden Freiherrn. “Ihr Herren hört, der Siegismund fügt uns großen Schaden zu”. Auch die Baumhüter forderten Buße für die zerstörten Schlagbäume, die die wilde Horde im übermütigem Treiben eingerissen hatte. Aber so wenig wie der Freiherr städtische Steuern zahlen mußte, so wenig konnte er vor das Ratsgericht gestellt werden, denn der Adel hatte eine eigene Gerichtsbarkeit. Siegismund und seine Freunde trieben also ungestraft weiter ihre Schandtaten. Und wenn sie abends im Wirtshaus beim Branntwein saßen, dann griffen sie lachend nach den Weibern, um sich zu vergnügen. ‘
Nun geschah es aber, daß Siegismund im Rausch die Jungfer Anna packte. Anna war die Tochter des Stadtmusikus, ein braves Mädchen von 16 Jahren. Die lief vor Verzweiflung und Scham in den Wald. Wie sie so auf einem Baumstumpf saß und weinte, da kam das Ömmelchen.
Das schluchzende Mädchen tat ihm leid, und es strich tröstend über Annas Haar. Da erzählte diese ihre Geschichte. Als sie geendet hatte, war das Ömmelchen verschwunden, aber ein Eichhörnchen saß auf dem Baum und warf der Jungfer eine Haselnuß in den Schoß, die war ganz aus Gold.

Ömmel Mädchen 2

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Das Ömmelchen aber dachte, der Siegismund darf nicht ungestraft bleiben. Und als dieser nun wieder einmal mit lautem Gejohle durch den Wald ritt, verwandelte sich das Ömmelchen in ein Reh und lockte den Freiherrn immer tiefer in den dichten Tann. Und wie er gerade seine Flinte anheben wollte, da konnte er das Reh nicht mehr sehen. An seiner Stelle stand eine Blume auf vier Stengeln, und auf den Blütenblättern glitzerten viele Tautropfen, oder waren es die Schweißtropfen des gehetzten Tieres? Aus den Wipfeln der Bäume aber kam ein Raunen:

Ömmel Spruch

Das seltsame Erlebnis ließ dem Freiherrn keine Ruhe, und es verlangte ihn, nach dem Reh zu suchen. Es verstrichen keine drei Tage, und er streifte wieder durch den Wald. Diesmal hatte sich das Ömmelchen in ein junges Mädchen verwandelt. Es hüpfte tändelnd vor ihm her und war dann eben so plötzlich verschwunden wie zuvor das Reh. Stattdessen wuchs aus der Erde eine Blume auf zwei Stengeln. In ihrer Blüte glitzerten wieder die Tautropfen, oder waren es die Tränen des gequälten Mädchens? Und in den Baumgipfeln raunte und rauschte es mahnend: Ömmel Freiherr

Nun wurde Siegismund wilder denn je. Und schon am nächsten Tag machte er sich auf, das seltsame Mädchen zu suchen, das so verführerisch ihn erst gelockt und dann genarrt hatte. Diesmal verirrte er sich ganz und gar. Schon fing es an zu dunkeln, und er wußte nicht mehr Weg und Steg. Da sah er plötzlich wieder eine Blume vor sich aufwachsen. Sie war prachtvoller als jede zuvor, und ihre Tautropfen glitzerten und blinkten wie tausend spitze Scherben. Schon wollte der Freiherr die Blume pflücken und griff nach ihr, da stand plötzlich das Ömmelchen vor ihm. Es strich mit der Hand über den Blütenkelch, und alle Tropfen flossen zusammen zu einem klaren Kristall. Das Ömmelchen brach den Stengel und hielt dem Freiherrn nun einen Spiegel vor. Der sah da sein Gesicht, und er sah, wie es zerfiel und zu einer häßlichen, bösen Fratze wurde. Er sah weiter, wie Männer, Frauen und sogar Kinder ihn verhöhnten und mit Stöcken und Peitschen ihm drohten und ihn hetzten über Stock und Stein. Er erschrak so sehr, daß er zu Boden sank. Als ihm endlich die Sinne wiederkamen, rannen ein paar Tropfen Blut an seiner Hand, und er bemerkte, daß er eine winzige Spiegelscherbe umklammerte. Er schaute hinein. Sein Haar war noch blond und seine Haut glatt. Da kam eine gewaltige Reue über ihn, und er gelobte, umzukehren und fortan ein wohlgefälliges Leben zu führen.
Zur Erinnerung und als Dank für seine wundersame Läuterung nannte er sich künftig “Herr von Spiegel”.
Er schickte alle seine Spießgesellen fort, schenkte dem Grafen seine Hundemeute und erwarb als Burglehen am Fuße des Berges einen Hof. Dort lebte er mit einer Katze, 29 Hühnern und einem Hahn. Er wurde ein angesehenes Mitglied im Rat der Stadt. Und der Spiegelhof ist noch heute ein Schmuckstück Bielefelds. ,
Aber, wißt ihr denn auch, daß die 39 Hühner echte Spiegeleier legten?

Spiegelshof mit Kirche

In Stein gehauen die Tafel am Haus:

Ömmel Hof

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