Die Donnerburg (ein Kauz )
Weit im Westen vor den Toren der Stadt lebte einst ein seltsamer Kauz. Seine Eltern hatten ihn Donar genannt, weil er an einem Donnerstag geboren worden war. Er war der jüngste Bruder eines begüterten Grafen, der in einem stolzen Wasserschloß im Münsterland wohnte. Donar hatte nur eine kleine Nebenburg als Erbe bekommen. Eigentlich mehr ein Bürgchen, deshalb war er auch kein Burgherr sondern ein Bürger und ein rechter Sonderling dazu.
Er neidete seinem Bruder seine Stellung und war stets darauf bedacht, es ihm gleichzutun oder besser zu sein. Klein von Statur, aber dafür mit einer viel zu großen Nase gesegnet, buschiger Augenbrauen und Augen wie Scheinwerfer, tüftelte er den lieben langen Tag an neuen Erfindungen herum. Wenn er sich beim Nachdenken besonders anstrengte, schwoll ihm auf der Stirn eine dicke Ader an, die aussah wie ein Fragezeichen. Er versuchte Kirschen ohne Kerne zu züchten und meinte, bei Weintrauben ginge das doch auch. Er wollte viereckige Äpfel herstellen, um sie leichter stapeln und verpacken zu können. Den Mond gedachte er mit einem Filter zu versehen, damit er in angenehmen Rotlicht scheine, sodaß keiner mehr mondsüchtig werde und schlafwandeln müsse. Am meisten aber grämte er sich darüber, daß das Stückchen Feld, welches er unterhalb seines Bürgchens sein eigen nannte, so trocken und ausgedörrt war, daß nur Disteln und Brennesseln darauf wuchsen. Es müßte mal regnen.
In den Nächten aber huldigte Donar einem sonderbaren Treiben. Er sah in seinem Namen den Hinweis, daß er den Göttern der Germanen nahe sei. Er lebte in der Vorstellung, Thor, der Donnergott, sei sein Urahn gewesen und ein Teil von dessen Kraft und Macht würde auch in ihm noch schlummern. So nannte er sich heimlich “der junge Thor”. Es kamen andere Alte zu ihm, und sie versammelten sich um hohe, im Kreis aufgestellte Felsblöcke und hielten heimlich einen Thing ab, so wie man es früher in Heepen getan. Da wurde strenges Gericht gehalten über alle, die ihm nicht wohlgesinnt erschienen. Doch beim Morgengrauen war alles vergessen.
Eines Tages tüftelte er wieder angestrengt, sodaß die Stirnesader zum Fragezeichen schwoll. Warum sollte er nicht auch Thors Gewalt über Blitz und Donner besitzen und die Wolken regnen lassen können, so daß auch sein Acker Frucht bringe. Nun hatte er von einem Wissenschaftler gehört, daß man die Wolken mit einer geheimnisvollen chemischen Mischung anschießen könne, so daß sich der Wasserdampf zusammenballe und zu Regentropfen werde. Donar aber hatte nur etwas von “schießen” im Sinne behalten und rief nun sogleich seinen Knecht.
“Hole mir das Luftgewehr, aber eile dich, ich will Regen machen.” Und kaum hatte er die Flinte in der Hand, da schoß er auch schon in die blaue Luft. Doch es fiel kein Regen vom Himmel, sondern es purzelten nur ein paar Spatzen herab, die er mit seinem Schrot getroffen hatte. Und sogleich kam ein Polizist und untersagte ihm bei strenger Strafe, so in der Gegend herumzuballern.
Aber Donar sann weiter und beschaffte sich eine Laserkanone. “Ich muß mit der Zeit gehen”, dachte er “wahrscheinlich kommt man dann eher zum Ziel”. Und so schoß er eine Salve von Laserstrahlen gegen eine dicke Wolke. Ach!!! Was geschah? Die Wolke bekam lauter Löcher und sah aus wie Schweizer Käse. Nun fielen zwar wirklich ein paar Tropfen. Aber sie tröpfelte ein lustiges Muster auf die Erde, und durch die Wolkenlöcher schien nun erst recht stark die Sonne. Und so wurde Donars Land gesprenkelt naß und trocken, und es ließ sich überhaupt nichts damit anfangen. Sein Knecht aber dachte:
“Mein Herr ist nicht der junge Thor sondern ein alter Tor!” Aber das behielt er schön für sich und zwinkerte nur pfiffig mit den Augenwinkeln. Und sogleich rief sein Herr:
“Höre, das neumodische Zeug taugt nichts. Jetzt will ich meine ganze Kraft” beweisen. Schaffe mir die dickste Kanone von der Sparrenburg her. Aber laß dich nicht erwischen, es soll dein Schaden nicht sein. Der Knecht besann sich nicht lange, ihn reizte der Lohn. Er verkleidete sich als fahrender Händler, packte ein Fäßchen Rum auf einen Karren und zerrte ihn zur Burg hinauf. Es war stockfinstere Nacht, und nur ein paar Fledermäuse kreisten lautlos um die Festungsmauern. Es war ihm recht gruselig zumute. Da erscholl in die Stille hinein:
“Halt, Parole!” “Sauf Bruder” antwortete der Knecht und kredenzte dem Wächter einen Becher Rum. Da ließen sie ihn eintreten.
Neben dem großen Geschütz saß ein schläfriger Kanonier. “Hier, Bruder, sauf, das hält munter.” Lockte der Knecht und machte den Kanonier so betrunken, daß der endlich freudig in einen Tausch einwilligte und das Fäßchen Rum gegen seine Kanone setzte. Er war sogar hilfreich, sie auf den Karren zu heben. Und so kam Donar noch in selbiger Nacht zu der großen Kanone von der Sparrenburg.
Schon in der nächsten Nacht rief er alle seine Genossen herbei, damit sie Zeugen werden seiner Künste. Er ließ ein Feuer anzünden, und eine hohe Lohe stieg in die Nacht. Er lud die Kanone mit Pulver und einer mächtigen Kugel. Dann richtete er seine lange Nase, seine beiden Arme und das Rohr senkrecht zum Himmel empor, alle faßten sich feierlich an den Händen und sangen, während Donar rief:
“Urvater Wotan und Ahnvater Thor, höret das Flehen des Erdensohnes, gebt mir Gewalt über Feuer und Wasser.” Dann nahm er eine Fackel und zündete die Lunte an. Mit einem gewaltigen Donnerschlag flog die Kugel hoch in die Luft und… senkrecht wieder herab. Es gab den zweiten Donnerkrach und ein grausiges Gegrolle. Zerschmetterte Ziegel flogen durch die Luft, Schindeln zerbarsten und Deckenbalken stürzten ein. Der Schornstein krachte zusammen, und zwei Räucherschinken schossen aus dem Rauchfang, dem “jungen Thor” um die Ohren. Die Kugel war genau auf das Burgdach gefallen und hatte es gänzlich zertrümmert. Die getreuen Alten waren voller Entsetzen auseinandergestoben.
Am nächsten Tag nun aber regnete es wirklich, und das ganz ohne Donars Hilfe. Nein, es regnete nicht, es schüttete vom Himmel, als würde ein ganzes Meer herabstürzen. Und die Zimmer und Kammern der kleinen Burg füllten sich randvoll mit Wasser. Und immer neue Wassermassen sprudelten aus den Wolken. Nun hatte auch Donar sein Wasserschloß. So hatte er es sich allerdings nicht gewünscht. Nicht lange, und die Decken und Böden brachen und das Wasser stürzte in großen Wellen den Hang hinunter auf sein Land, was schließlich ganz verschlammt war und seitdem “Wellensiek” genannt wurde.
Die zerstörte Burg aber hieß fortan die “Donnerburg”. Ihr Besitzer war von Stund an spurlos verschwunden. Wahrscheinlich ist er bei einem seiner alten Freunde untergekommen und saß dort sinnend auf neue Kauzereien. Der Knecht jedoch führte in den Resten der Burg ein Wirtshaus. Die Kugel hatte er unter eine Glasglocke gesetzt, und jeder, der sie sehen wollte, mußte 50 Pfennige bezahlen.
Waldrestaurant Donnerburg.