Die Grauen (Moors Oval, Museumsgarten )
Als der Himmel mit seinen Gestirnen und die Erde mit allem Gewächs und Getier vollbracht war, sollte nun der Mensch die Krone der Schöpfung werden. Ein Wesen, das in Frieden und Eintracht mit allem Geschaffenen lebte. Das missfiel dem Teufel aufs Heftigste, denn er war neidisch auf des Herren Werk. Und so träufelte er im Augenblick des Lebenshauches ein paar Tröpfchen Haß, Hader und Zwietracht in die Seele des Menschen. Und diese Eigenschaften schlummern nun seit Anbeginn in Ihnen. Doch erst wenn “die Grauen Jungfern” die Teufelsgabe aufwecken, wirkt das Satansgift.
Die Jungfern waren alle Schwestern aus demselben Stamme. Sie verstreuten sich über die ganze Welt. In ihren Augen hockte der Neid, und in ihren Herzen die Häme. Wo sie hausten herrschte das Grauen.
Ihr Haar ist grau und grau ihr Kleid,
und grau ihr Sinn in Ewigkeit.
Ihr Menschen höret, wehret dem Graus,
lasst niemals die Jungfern in Euer Haus.Sie sähen Zwietracht und ernten Zwist,
von ihren Zungen wird Gold zu Mist.
Sie töten die Liebe und schüren den Haß
In gramvollem Grauen ohn’ Unterlaß.
Nun gab es vor 500 Jahren zwei dieser Wesen auch in Bielefeld. Die eine diente als Küchenmagd auf der Burg, die andere zog als Trödlerin durch die Straßen. Gefürchtet waren ihre Schandmäuler, mit denen sie die Leute zerrissen und mit ihren spitzen Zungen alles aufspießten. Und während nun die Magd mit jeder Unachtsamkeit ihrer Herrschaft das Volk fütterte, trug die andere vollmundig alle Gerüchte von Haus zu Haus. Die grauen Jungfern sahen nicht die schöne bunte Welt, sie weideten sich nur an ihren Fehlern. Trafen sie ein unschuldiges Kind, so girrten sie: “Wartet nur, weiß man, ob es nicht ein Räuber werde?” Und begegnete ihnen ein glückliches junges Paar, so höhnten sie: “”Ho, drehet nur die Zeit, und ihr werdet sehen, wie sie sich giften und schlagen.” Und Argwohn und Zank wucherte wie Unkraut über das Land.
Eine große Unruhe herrschte weiland aller Orten. Die Menschen waren im Glauben zerstritten. Und während Lena, die Magd, fest zu den alten Riten stand, schwor Magda diesen ab und vertraute den neuen Lehren, die ein Mönch im Sachsenland verbreitet hatte. Und so wurden sie einander feind, und mit ihnen teilte sich das ganze Land in zwei Lager.
Da war nun einer, Jodokus, der gute “Wicht”, der sich mühte, die Gegner zu versöhnen und beiden ihren Lauf zu lassen. Als aber schließlich eine solche Verwirrung entstanden war, dass die Priester und Pfarrer sich gegenseitig in ihren Gotteshäusern beschimpften und schlugen, da bat Jodokus den Landesherren ein Urteil zu fällen.
Aber ach, des Haders wollte kein Ende nehmen. Man beschuldigte den Pfarrer des Teufelswerks und befahl ihm, sich am Hof zu rechtfertigen.
Der Gottesmann machte sich sogleich zu Fuß auf den Weg. Als er nach mühsamer Reise endlich am Ziel eintraf, waren seine An-kläger ihm zu Pferde voraus geeilt und hatten beim Herzog wider ihn geredet. Und das Unglück hatte sich dem Gramgebeugten an die Fersen geheftet. Denn bei seiner Heimkehr fand er sein kleines Söhnchen im Sterben liegen.
Da konnte Lena ihre spitze Zunge nicht zügeln: “Seht ihr, harte Strafe trifft die Abtrünnigen, ich sage, so kommt’s gerecht.” Doch darob höhnte Magda: “Willst Du Deines Nächsten Richter sein?”. Ihr Gewerbe führte sie auch in die anderen Städte, so nach Herford, Lemgo und das Fürstentum Lippe. Sie war überzeugt von dem neuen Glauben, und diese Gemeinden schon angenommen hatten. So stachelte sie die Ihren auf, in der Kirche auf deutsch zu singen, und so erscholl: “Eine feste Burg ist unser Gott”, und die Menschen warfen Steine vom Grab des armen Pfarrersbuben auf ihre Widersacher.
Der böse Streit währte und währte. Frauen wurden als Hexen verbrannt, und blutige Kriege wurden geführt. Die Grauen waren’s zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind …… nein,!!! Sie sind nicht gestorben, sie leben noch heute. Es ist noch nicht lange her, da flüsterten sie Haß den Schuljungen in der Wiechernschule. Und wer es wagte, den Strich zwischen dem katholischen Teil und dem evangelischen Teil zu überschreiten, der wurde mit wilder Prügelei empfangen.
Als ein großer Künstler die Plastik entwarf, die im Museumsgarten steht, wollte er ein Symbol schaffen, das die Kräfte, die aus einem Ursprung kommen, sich immer wieder friedlich zueinander neigen. Aber als er die Bronze gegossen hatte, musste er erkennen, dass sich im Inneren zwei scharfe, sich gegenseitig bedrohende Zacken gebildet hatten. Es waren die spitzen Zungen der grauen Jungfern.
Und wenn wir nun schon mal im Museumsgarten sind, kann ich auch gleich noch etwas erzählen.
Siehe “Der kleine Onkel.”