Das Mömkekind ( Mönkeloch und Lutterquelle )

Mönkeloch Hnad

Vor uralten Zeiten hausten tief unten im Mömkeloch am Jostmeiers Berg die Mömkekerle. Das waren winzige Gesellen mit kurzen, dünnen Beinchen, einem klugen Kopf und großen, geschickten Händen. Sie kannten sich aus im Kessel- und Hufschmieden, waren Wagner und Sattler, und gar oft hörte man im Berg ein Hämmern und Sägen. Gutwillig halfen sie den Menschen. Legte jemand ein kaputtes Werkzeug abends vor die Höhle, so fand der es am nächsten Morgen wieder ganz nd heil. So manch einem Geplagten erschienen sie auch nächtens im Traum und gaben ihm schlauen Rat.

Nun hatten die Mömkekerle aber keine Frauen. Da sie jedoch ein Kind aben wollten, wählten sie den Zeitpunkt der Mittsommerwende, wohl wissend, daß in der Johannisnacht Wünsche in Erfüllung gehen. Sie machten sich auf und wanderten über die Kettlerschen Berge, über die Mordegge und das schwarze Gehölz, vorbei an Ellermanns Hof bis fast zur Galgenegge, zu deren Füßen die großen Bleichen der Weber lagen. Genau dort ist der Lutterkolk, der Quell des Lutterrbaches. Dieser geheimnisvolle Strudeltopf im Brackweder Pass schien ohne Grund, und seine Wasser hatte seltsame Kräfte. Kamen nicht die kleinen Kinder aus dem Kolk? Und so raunten die Mömkekerle im Augenblik als sich der letzte Strahl der Sonne im Spiegel des Wassers brach ihren Spruch:
Treibet Säfte, kreiset Berge,
höret auf den Wunsch der Zwerge
Feuer, Wasser, Erde, Wind,
schenket uns ein Mönkekind.

Da ballten sich am Himmel auf einmal mächtige Wolken zusammen und die Nacht brach herein. Das Wasser färbte sich immer dunkler und wurde blutrot. Es fing an zu wallen und zu brodeln, und es stiegen, wie Perlen, kleine Blasen empor, bis plötzlich eine gewaltige Blase mit Donner und Blitz … zerplatzte!!! und … ein winziges Baby herausgeschleudert wurde. Dann war der Kolk wieder tief’, dunkel und still.
Es war ein Zauberkind, das da die Wasser geboren. Es war halb Mönk halb Mensch. Es hatte die Klugheit und die Begabung seiner Väter und die Gestalt eines Menschen. Die Mömkekerle nannten den Jungen “Johannes” nach der Stunde seiner Geburt. Sie hegten und umsorgten ihn pfleglich, doch bald war er so groß, daß er nicht in die Zwergenhöhle paßte, und er zog aus und versteckte sich im Wald.

Reiter

Nun wollte es aber das Geschick, daß gerade der Herzog zur Jagd geblasen hatte. Er sah den wohlgestalteten Knaben, und da seine Ehe, trotz jahrelangen Hoffens noch immer nicht mit Nachwuchs gesegnet war, nahm er ihn zu sich. Als ihm seine Frau später doch noch vier Kinder schenkte, behandelte er alle so, als seien sie aus einem Schoße geboren. Bald jedoch merkte man, welche besonderen Gaben das Findelkind hatte. Der Junge war der Klügste und Geschickteste von allen. Und der Herzog wähnte schon seinen Nachfolger in ihm. Doch als nun Johannes zum Jüngling herangewachsen war, da fing das Blut seiner Väter an, ihm Unruhe zu bereiten, so daß er nicht mehr aus und ein wußte. So ging er traurig eines Tages zum Herzog und sprach mit wohlgesetzten Worten:

Oh Herr, ich weiß Euch Dank, und werd’ Euch immer dienen.
jedoch des Ritters Schwert ist nicht für meine Hand gemacht.
Kann nicht des Bruders Brude sein.
Drum laßt mich ziehn.
es ruft ein mächtig Ruf mich aus der Tiefe.
Das hörte der Herzog mit großer Betrübnis, doch er gab seinen Segen und ließ den Jüngling seines Weges gehen. Der wanderte ins Rheinische und erlernte dort das Handwerk des Goldschmiedes. Doch schon nach kurzer Zeit verstand er es, so kunstvoll das edle Metall zu formen und Perlen und Steine zu setzen, daß er bald des Meisters Meister war. So kam er zurück nach Bielefeld. Und wie nun die Aufträge, die er von reichen Bürgern bekam für feine Geschmeide, kostbare Tabakdosen oder wertvolle Tischgefäße, immer mehr wurden, so mehrt sich auch sein Ansehen. Und gar bald reiste er selbst nach Antwerpen und nach Venedig, um die schönsten Steine auszusuchen und zu erwerben. So wurde er zum Handelsherren. Er traf bei seinen Geschäften auf viele andere Kaufleute, und sie tauschten sich untereinander aus. Über die Schwierigkeiten mit dem Gesindel auf den Straßen, mit den Zöllen, aber sie feierten auch ihre Feste zusammen. Und da sagte Johannes: “Laßt uns sein wie Brüder. Wir wollen einander helfen und füreinander einstehen.” Und so gründete er den Johannes-Bruder-Orden, deren Mitglieder bald sehr einflußreich und wohlhabend wurden. Wer neu in diese Gilde eintreten wollte, der mußte sich teuer einkaufen, einen Treueeid leisten und für alle ein Gastmahl geben. Obwohl nun Johannes reich und ein hochgeachteter Bürger der Stadt war, wurde er doch nie eingebildet oder hochnäsig, denn tief in seinem Herzen eingegraben war ein Spruch aus seiner frühesten Kindheit:

Mömkekerle tuen Gutes, bleibe frei und frohen Mutes.

Und so wußten sowohl die Bürger als auch der Herzog seine Freundlichkeit und seine Hilfsbereitschafl zu schätzen. Eines Tages nun, da geschah es , daß der Amtsdeche, der Vosteheher der Gilde, zu Johannes kam und klagte: “Den Mühlen und Bleichen der Stadt gebricht es an Wasser. Was sollen wir nur tun? Ach, die Müller und Weber werden in große Not kommen.” Da ging Johannes zum Herzog. Und durch schlaues Verhandeln bekam er die Erlaubnis, die Lutter an ihrer Quelle anzugraben und einen Teil ihrer Wässer nach Bielefeld zu leiten.

Und so gibt es seitdem zwei Lutterbäche, der eine, der, wie ursprünglich, durch Brackwede zur Ems führt, und der andere, der, heute zwar meist unterirdisch, sich mitten durch Bielefeld windet, sich an der Milser Mühle mit dem Johannisbach vereint und als Aa in Richtung Herford fließt: Johannes ist sehr alt geworden und hat noch viel Gutes getan, doch eines Tages … war er plötzlich verschwunden, da hatten ihn die Mömkekerle heimgeholt. Das Mömkeloch aber am Jostmeiers Berg wurde zugeschüttet. Und über dem Lutterkolk liegen heute die Eisenbahnschienen.
Doch, wenn man die Osnabrücker Straße von Brackwede nach Bielefeld fährt, da sieht man dann rechts auf einmal ein fast unleserliches Schild “Lutterquelle”. Über eine schmale Straße, unter dem Ostwestfalendamm hindurch, führt ein wackeliges Holztreppchen die Wiese hinunter, und da, links aus dem Hang sprudelt ein Quell. Er verschwindet dann ganz schnell unter den Schienen, unter Beton und Eisen.

Lutterquelle

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