Herr Groß und die 100 Großartigen (so gehts zu bei der NW )
In der Druckerei der “Neuen Westfälischen” arbeitet Herkules Groß. Er ist klein und dünn, hat schütterne schwarze Haare, eine Kartoffelnase und 0-Beine. Er arbeitet am Kopierer, wofür seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten gerade so ausreichen. Er selber aber findet sich über alle Maßen schön und klug und denkt: “Ein Jammer, dass es mich nur einmal gibt, es müssten mindestens 100 so sein wie ich, und die Welt wäre schöner.” Und so grübelte er Tag und Nacht, wie er es wohl anstellen könne, dass es viele von der Art “Groß” gäbe. Wie er nun so täglich seine Blätter in den Kopierer legte und nur aufs Knöpfchen drücken mußte, damit hinten viele Seiten herauskamen, die genau so aussahen, wie das Original, kam ihm ein Gedankenblitz. Am nächsten Tag legte er ein Foto von sich in den Apparat und zog dann glücklich mit einem Stoß Bildern, auf denen ihm lauter Herkules Große anlächelten, nach Hause.
Er klebte sie überall in seiner Wohnung an, im Schlafzimmer, in der Küche und sogar im Klo, und er freute sich. Aber nach einiger Zeit war es ihm langweilig. Seine Ebenbilder waren zu nichts zu gebrauchen, nicht zum Arbeiten, nicht zum Spielen, nicht einmal zum Streiten, denn sie waren ja stumm. Nur Fernsehen konnte man mit ihnen zusammen, aber das konnte man auch alleine.
Er hatte mal etwas von “Lebenshauch” gehört, also versuchte er, die Blätter anzuhauchen, aber die wurden durch seine Spucke nur feucht und gammelig. Da ging er zum Hans, seinem Kollegen in der Redaktion, der für die witzigen Artikel in der Kinderseite am Sonnabend zuständig war, und den alle nur “Hanswurst” nannten. “Sag mal, kennst du eine Möglichkeit, wie aus mir viele werden können?” fragte er. Und Hans antwortete: “Aber sicher, hast Du noch nie gesehen, wie ein Regenwurm, teilt man ihn in der Mitte, als zwei Regenwürmer davon kriecht? Du brauchst dich also nur genau in der Taille durchzuschneiden, und schon wackelst Du als zwei Herkulesse davon, und dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Eine Woche lang brütete Herkules stumpf vor sich hin. Dann packte er den Blätterstoß auf den Nachttisch, streckte sich müde im Bett aus und nahm sich vor, morgen in aller Frühe zu den Externsteinen zu wandern. Dort sollte in einer Höhle zwischen den hohen Steintürmen der Hexendoktor Zelle wohnen.
Und wirklich traf er Dr.Zelle und fragte: “Meister könnt Ihr mir helfen, ganz viele Groß-artige zu machen?” Dieser überlegte lange und krächzte dann: “Ich werde Dich klonen.” Dann schnippelte er dem Herkules ein Stückchen Haut vom Po ab, zerschnitt es in 100 kleine Teilchen und tat diese in eine Schüssel mit einem Zaubernährsaft. Als sieben Tage vergangen waren, krabbelten 99 kleine Herkulesse aus der Brühe, reckten und dehnten sich, und erreichten schnell die Größe von Herrn Groß. Sie hatten alle seine schwarzen Haare, eine Kartoffelnase und O-Beine und marschierten brav im Gleichschritthinter ihm her nach Hause. Herkules schlug vor Freude einen Purzelbaum, und, was war denn das , auch seinen 99 Ebenbilder schlugen einen Purzelbaum. Da machte er ihnen eine lange Nase, und alle machten ihm eine zurück.Sie freuen sich alle mit mir, strahlte unser Held.
Doch als er müde war und herzhaft gähnte, gähnten die anderen auch alle, und als er sich kratzte, kratzten alle, und als er ein Liedchen summte, war es ein 100-stimmiger Chor. Da ging er zum Dr.Zell und fragte empört: “Was soll denn das?” “Nun,” erwiderte dieser, “Deinen Körper konnte ich zwar vervielfältigen aber nicht Dein Gehirn, das hat nur einer, alle anderen sind Hohlköpfe.”
Da bekamen sie es mit der Angst zu tun, sie wussten nicht mehr, wer der Richtige war, wer hatte das Gehirn? So fingen sie an zu streiten und zu schimpfen. “Hohlkopf, Hohlkopf` brüllten sie alle gleichzeitig. Sie holten sich bei den Schlägereien an den gleichen Stellen blaue Flecken. Wütend legten sie sich dann alle zusammen ins Bett, ein erdrückender Herkules-berg. “Geht weg, geht alle weg, ich will allein sein!” ertönte ein Schrei. Herkules richtete sich im Bett auf, er war allein. Auf seiner Bettdecke lag ein Stapel mit den Kopien, sie waren vom Nachttisch herunter auf seinen Bauch gerutscht. Rasch nahm er alle Blätter und warf sie in den Kamin. Nie wieder wollte er viele von sich machen. Das war gut, denn jeder Mensch ist einzigartig und mit allen Vorzügen und Nachteilen etwas besonderes auf der Welt.
Der “großartige” Herkules blieb einfältig und war’s zufrieden. Kopiert hat er bei der Westfälischen nicht mehr, er klebt jetzt Briefmarken auf, jede einzelne auf jeden einzelnen Brief.
Wo war eigentlich das 100ste Poschnippelchen geblieben? Es war in eine Spalte der Externsteine gefallen und geistert jetzt als Herr Groß dort rum.