Die Geschichte vom kleinen Nick (Dürkopp)
Vor langer Zeit gab es einen Jungen, den nannten alle den “dummen Nick”. Er wuchs bei seinem Onkel auf, und hatte mit dem Lesen und dem Schreiben nicht viel im Sinn. Den ganzen Tag war er am werkeln, und sein Traum war es , ein großer Erfinder zu werden, doch alle lachten über ihn.
Nun muß man wissen, es war bei seiner Taufe etwas Seltsames geschehen. Da war doch, wie einst bei Dornröschen die böse Fee, eine schöne, schlanke Frau am Taufbecken erschienen und hatte laut gesagt:
“Dein Weg sei steil und bunter, bisweilen geht es runter,
doch gib deshalb nie auf, es geht auch wieder rauf.”
Leise fügte sie hinzu: “Dreimal darfst Du mich rufen, aber wähle klug.”
Und dann war sie plötzlich verschwunden.
Es war eine Norne, die Ihren Besuch gemacht hatte. Als Frau Mißlich lebte sie unter den Menschen. Sie war eine der weisen Frauen, die die Schicksalsfäden der Menschen knüpfen. Es gibt böse, die sich ob des Schreckens ergötzen, und es gibt fürsorgliche, sie erscheinen, um den Menschen zu warnen und ihm zu helfen, wenn eine Lage droht, mißlich zu werden.
Der Junge wuchs heran, erlernte das Schlosserhandwerk, wurde schließlich bei einem Goldschmied angestellt, und reparierte dort “Eiserne Nähmamsells”, wie man die neuartigen Nähhilfen nannte. Durch Fleiß und Geschick konnte er sich bald eine eigene kleine Werkstatt am Alten Markt mieten. Hier baute er nun eigene Nähmaschinen und konnte sie für 80 Thaler verkaufen. Der kleine Nick war stolz, er hatte sein tägliches Brot.
Doch dann gab es Krieg und keiner kaufte mehr sein Produkt. Voller Verzweiflung dachte er an die Norne. Da klopfte es eines Abends an seine Tür, und als er öffnete, sah er Frau Mißlich davor stehen. Sie flüsterte:
“Nicht verzagen! In diesen Tagen
hilft kein Klagen, du mußt wagen!”
Und Nick wagte. Er baute eine neue Fabrik mit einer eigenen Schmiede und stellte nun Fahrräder her. Und es ging wieder bergauf.
Die Jahrhundertwende war die Zeit, wo schon so manche Kutsche nicht mehr von Pferden gezogen wurde, sondern mit einem stinkenden Motor durch die Gegend tuckerte. Das Benzin mußte man in der Apotheke erwerben. Und es gab immer mehr reiche Leute, die auch so ein Vehikel besitzen wollten. Sie kauften sich einen extra Autoanzug mit Knickebocker, setzten sich eine Art Badekappe auf den Schopf, zogen sich teure Glacéhandschuhe an und trugen einen großen, einer Taucherbrille ähnlichen, Augenschutz. So gerüstet hofften sie sicher in dem rasenden Tempo von 25 km/h dahinfahren zu können. Ihre Kutscher wurden zu Chauffeuren und ihre Pferdeställe zu Garagen.
Da versprach sich auch Nick ein gutes Geschäft und stieg in den Autobau ein. Und er hatte Erfolg.
Was machten die Bielefelder für Augen, als auf einmal neben den altbekannten Pferdedroschken auch Nicks Motorkutschen vor dem Bahnhof standen und auf Fahrgäste warteten.
Er richtete sich ganz nach den Wünschen seiner Kunden, und er erfüllte sie. Jedes Auto war ein Einzelstück. Ich glaube, hätte jemand einen Grill im Kofferraum eingebaut haben wollen, um bei einer Rast Würstchen braten zu können, oder ein anderer eine Türmchen auf dem Wagendach mit einer Glockenuhr, auch das hätte er gebaut. Für den damaligen Reichspräsidenten Hindenburg lieferte er 3 Limosinen mit erhöhten Dach … wegen der Pickelhaube! Hans Stuck gewann mit einem ungebauten Milchwagen sein erstes Rennen. Später machten die so genannten “Zigarren” im wahren Wortsinn alle Rennen. Und … er selbst frönte gerne diesen schnellen Sport, und das ohne Führerschein!
Er wurde älter. Aber noch einmal wollte er Rennen fahren. Zu seinem großen Erstaunen sah er Frau Mißlich in der Menge. Und als ihm der Pokal überreicht wurde, hauchte sie einen Siegerkuß auf seine Wange und flüsterte ihm ins Ohr: “Ich sehe eine gar mißlige Lage, es dräuet Gefahr.” Und kaum war sie verschwunden, baute sich auf einmal ein Schutzmann vor ihm auf und bestrafte ihn wegen Fahrens ohne Führerschein. Aber nicht davor hatte die Norne bei ihrem zweiten Erscheinen gewarnt.
Nach dem 1.Weltkrieg erholte sich die Wirtschaft nur sehr langsam, und die Autoproduktion lohnte sich nicht mehr. Die Firma war wieder einmal in einer tiefen Talsohle angelangt.
Aber Frau Mißlich hielt ihre Hände weiter über Nicks Werk, der nicht mehr erlebte, wie man nun Fahrzeuge mit zwei Rädern, Fahrräder und starke Motorräder herstellte.
Und wieder gab es einen fürchterlichen Krieg, und die Fabrikgelände wurden durch die Bomben zerstört und lagen in Schutt und Asche. Zum letzten Mal geleitete Frau Mißlich durch alle Unbilden. Neue Fabrikationsanlagen wurden gebaut, und es gelang ein Glanzstück, der Reiseroller. Die “Diana”, die Göttin der Jagd, brauste durch deutsche Lande und machte gute Gewinne.
Konnten Nicks Nähmaschinen am Anfang wegen ihrer Feinmechanik nur von einem Uhrmacher hergestellt werden, so hatte später “der Adler” fast in jedem Haushalt einen Horst. (In meinem Dachkämmerchen steht heute noch eine “Adler”, und die ganze Sippe nimmt sie, trotz ihrer eigenen modernen Elektrischen, in Anspruch).
Heute werden in unserer Stadt nur noch Nähmaschinen für die Industrie produziert. Und ob nun durch Krieg , durch Inflation oder durch Absatzeinbrüche, immer wieder hatte Nick nach einer neuen Aufgabe suchen müssen. Aber, er war dadurch nicht schwächer geworden sondern immer stärker und mächtiger, und sein Werk lebte fort.
Und wenn er sich auch seine Verträge vorlesen lassen mußte, keiner hatte mehr über ihn gelacht. Er war einer der angesehendsten Bürger Bielefelds, und die neuen großen Fabrikhallen in der Innenstadt sind denkmalsgeschützt.
Die Norne hatte ihren Auftrag erfüllt.
Auf dem Friedhof ist ihm ein prachtvolles Grabmahl gesetzt. Eine gütige Frau hält Wache. Sieht sie nicht aus wie Frau Mißlich?
Liebe Oma,
eine tolle Geschichte. Ich weiß noch, wann du die Bilder gemacht hast. Ich war dabei.
Dein Konstantin
Ich finde die Geschichte toll.
Besonders weil sie ja einen waren hintergrund hat.
Ich finde die Geschichte toll.
Besonders weil sie ja einen waren hintergrund hat.
Die Geschichte ist super tolllllll
geil!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!