Der Räuber Oskar Klaubold (der letzte Gehängte )

Gnom bunt

Der Räuber Oskar

Es war ein neblig trüber Novembertag gewesen, als der kleine Oskar geboren wurde. Seine Mutter fegte gerade mit großen Schwüngen den Lehmboden ihres Kottens. Sie bemerkte nicht den bösen Gnom, der sich in einer dunklen Ecke breit gemacht hatte, um sein Diebesgut zu horten. Und … schwupp! hatte sie den ganzen Haufen in den Kehricht gefegt. Da hörte sie ein Kreischen, das ihr ins Herz drang:

” Ratzedipatz! Gehörnt sei die Katz! Verflucht sei dein Fratz!”
Vor Schreck sank sie nieder und gebar einen Knaben.

Der kleine Oskar wuchs heran. Seine Augen wurden immer gieriger und seine Finger immer länger. Als er fünf Jahr alt war, riß er seinem Bruder die Wurst vom Brot, und mit zehn griff er sich beim Bauer den Schinken aus dem Rauch. Mit zwölf entwendete er seiner Mutter den Beutel mit den Sparpfennigen und verließ sein Zuhause. Rastlos streifte er umher. Und immer hörte er in seinem Kopf eine Stimme:

“Ratzedipatz! Schnür Deinen Latz! Ersetz meinen Schatz!”

Und Oskar wurde ein Getriebener.

Klaubold

Es war vor 200 Jahren. Bielefeld hatte noch seine Wälle und Tore, doch es gab noch keinen Bahnhof, es gab noch nicht das neue Rathaus und noch nicht das Gericht und auch die großen Fabriken waren alle noch nicht gebaut, aber es gab Oskar Haubold, der die Bielefelder in Angst und Schrecken versetzte und die ganze Umgebung dazu. Er war ein böser Räuber und man nannte ihn nur noch “Oskar Klaubold”. Klein, spindeldürr, aber mit ellenlangen Fingern und verschlagenen Augen schlich er witternd durch die Lande. Er war vom Teufel besessen. Kein Zaun, kein Tor und kein Fenster war vor ihm sicher.

Er brach ins Backhaus ein und klaute dem Bäcker das Brot aus dem Ofen. Er schlich durch die Gärten und riß den Hausfrauen die Wäsche von der Leine, bis ihn einmal ein in der Lutter planschender Ganter angriff und er rücklings in die Mistgrube des Abtritts fiel. Er kletterte durchs Fenster in die Schenke am Gadderbaum und leerte die Kasse des Wirtes. Er stahl die Kerzen vom Altar der Marienkirche und nahm auch gleich noch eine Heiligenfigur mit und verhökerte sie. Da lachte der Gnom höhnisch: “Du dummer Tropf, fang keine Mücken, greif Elefanten.” “Recht hat er”, dachte Klaubold: “Auf zu Taten, ich will reich und mächtig werden.”.
Dann schlich er sich am Hange des Sparrenberges, wo die Großbürger ihre Häuser hatten, durch den Garten einer Villa. Am Hintereingang versuchte er, das Schloß der Kellertür zu knacken. Nun war aber der Alte, der unregelmäßig den Kehricht abholte, lange nicht gekommen, und so stand der ganze Müll gehäuft hinter der Tür.
In seinem Eifer stieß er gegen die Abfalleimer, und mit lautem Gepolter fiel das gesamte Gerümpel um. Der Krach hatte das ganze Haus aufgeweckt, und plötzlich sah er sich von einer drohenden Menge von Hausburschen, Mägden und Hunden, den Hausherrn an der Spitze, umringt, die mit Stöcken und Feuerhaken ihm drohten. Doch wieselflink konnte er sich aus dem Gedränge befreien und entkommen.

Haleluja Kreuz bunt mit Habicht

In großer Hast floh er hoch in den Wald. Auf seinem Fluchtweg sah er einen großen Habicht in der Höhe über sich kreisen, und es baute sich ein Kreuz vor ihm auf. Er hörte eine Stimme, sie war leise und beschwörend: “Oskar, halt ein, Du gehst einen bösen Weg, er wird Dein Unglück sein.” Oskar blickte sich um, niemand war zu sehen. “Was soll der Un-sinn”, grinste er, “dies ist ein wun-derschöner Weg , warum sollte ich einhalten.”
Der törichte Mann hatte die mahnende Stimme seines Gewissens verhöhnt. Und seine Raubzüge wurden immer dreister. Er stahl der Frau des Kämmerers ein Perlenband. Er überfiel den Biersteuereinzieher und verletzte ihn schwer. Dann drang er ins alte Rathaus am Markt ein, um die Stadtkasse auszurauben. Er stieß dem Mann von der Bürgerwehr, der die Nachtwache hatte, ein Messer in den Bauch, so daß der in seinem Blut ertrank. Als er aber den Bürgermeister als Geisel nehmen wollte, da konnten ihn die herbeigeeilten Gendarmen endlich fassen. Er wurde in Fesseln gelegt und im Backhaus auf der Festung Sparrenburg gefangen gesetzt. Im wurde der Prozeß gemacht, und er wurde zum Tode am Galgen verurteilt.

Doch er konnte der Hinrichtung entgehen. Hatte er doch als Henkersmahlzeit ein Flasche Brandwein erbeten. Großzügig lud er seine Wächter zum Gelage ein,: “Trinkt Männer, trinkt als sei es Eure letzte Stunde.” Und als sie alle trunken daher taumelten, suchte er das Weite. Helfer befreiten ihn von den Fesseln und ermöglichten ihm, die Festungsmauern zu überwinden. Unerkannt erreichte er die Kreuzstraße.

Im Schatten der Marienkirche wartete er bis im Rosenhof der Unterricht für die Kinder der Feldmärkerklasse beendet war. Während die Stadtkinder auch nachmittags die Schule besuchen mussten, wurden diese schon mittags nach Hause geschickt, weil man auf ihre Hilfe bei der Feldarbeit angewiesen war. Oskar mischte sich unter die lärmende Kindergruppe, bei seiner kleinen Statur fiel das nicht auf. Und so konnte er in der Menge unkontrolliert durch das Unterntor schlüpfen , die Feldmark erreichen und durch den Hillerbaum Richtung Herford verschwinden.

Kinderschar

Er flüchtete weiter in Richtung Holland. Schließlich fand er in der Gegend von Tecklenburg nach langer Suche einen Platz bei einem Holzschuhmacher. Er blieb dort , war zufrieden mit seiner Arbeit, und schien ein ordentlicher Mensch zu werden. Er verliebte sich in die älteste Tochter seines Meisters, und die Liebkosungen des Mädchens schienen die böse Stimme in seinem Kopf verstummen zu lassen. Bald sollten die Hochzeitsglocken läuten. Da bebte der Gnom vor Zorn, er fühlte sich betrogen, und er zischte:
Ratzedipatz! Zu End’ ist die Hatz! Am Galgen Dein Platz!”
Und als Oskar am nächsten Tag vor den Altar trat, entdeckte man in ihm den lange gesuchten Räuber.

Galgen verschoben

Schon von weit her kann man den mächtigen Galgen sehen, der, wie ein schauriges Warnzeichen für alles Volk, auf dem Blömkeberg steht, in der Galgenheide, der Sparrenberg gegenüber. Er wartet auf Klaubold.
Der wurde noch in der Kirche gefesselt und von fünf Wächtern nach Bielefeld ins Verlies der Burg geschafft. Schon am dritten Tag kam Küster Petri aus Brackwede, um die Hinrichtung zu vollziehen. Er knüpfte den Räuber auf, und dieser hauchte sein Leben aus. Der Küster bekam als Lohn vom Rat einen Eimer Dünnbier und einen Kuchenkringel. Der böse Gnom aber war verschwunden.

Oskar Haubold war der letzte Bielefelder, der am Galgen gehenkt worden ist. Doch noch heute heißt dieser Ort die “Galgenheide”.

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