Ein Junge namens Cohn ( die Synagoge brennt )

Flügel mit Cohn

Unterhalb des Johannisberges, dort, wo die schönen alten Häuser stehen, wohnte einst die Familie Maibaum. Der kleine Cohn hatte noch zwei ältere Schwestern, die schon ins Lyzeum gingen und ein Brüderchen, welches eine rundliche Kinderfrau jeden Nachmittag im Kinderwagen durch das freundliche Tal spazieren fuhr.

Johannestal Teich

Cohn liebte seinen Vater sehr, und mit leuchtenden Augen lauschte er den Abenteuern aus dem großen Krieg und bewunderte das “Eiserne Kreuz”, das dem Vater verliehen worden war. Er wünschte sich, auch einmal so tapfer und mutig zu werden. Seine Mutter stellte ihr Söhnchen den Freunden gern als kleinen Rechenkünstler vor und bemerkte stolz, dass er sicherlich einmal einen guten Kaufmann abgeben würde. Die Großmutter machte ihn mit den Anfängen des Klavierspielens verraut, und Tante Rachel hatte ihm ein Fräckchen aus hellblauen Sammet schneidern lassen. Und so saß er voller stolz zu Jom Kippur am Flügel und überraschte seine Familie mit einem kleinen Konzert. Was war das für eine Freude. Es kamen Verwandte zu Besuch, und die Kinder spielten und lachten miteinander. So lebte die Familie Maibaum ein friedliches Leben.

Doch in der Welt um sie herum war kein Frieden. Das Land brodelte und war erfüllt von Haß und Gewalt.
Der kleine Cohn war ein frommer Junge. Er lernte voller Eifer die fremden Zeichen der alten Sprache, in der das heilige Buch geschrieben war. Er betete zu Gott, dass er immer rechtschaffen zu allen Menschen sein möge. Er gesellte sich gern zu den Buben in seiner Klasse und war allen gut Freund.

Doch dann geschah es!
Die, mit denen er gestern noch Schiffchen auf dem kleinen Teich hatte segeln lassen, mieden ihn und sagten:
“Wir spielen nicht mehr mit Dir”
Und am nächsten Tag spuckten sie ihn an.
Und am dritten Tag schlugen sie ihn.
Und schließlich grölten sie: “Juda verrecke!!”

Synagoge brent mit CohnDa lief der kleine Cohn davon. Und er lief, und lief, und lief bis zu seinem Gotteshaus in der Turnerstraße. Da sah er schon von weitem die Flammen gen Himmel lodern, und in den Flammen sah er, wie er selbst verbrannte und sein Vater und seine Mutter, seine Schwestern und sein kleines Brüderchen, seine Großmutter und Tante Rachel, und mit ihnen sein ganzes Volk.

Es währte nicht lange, und es kamen Männer mit hohen Stiefeln und langen Mänteln. Sie holten die Familie Maibaum ab, stopften sie am Bahnhof in einen Güterwagen, und sie wurden nie wieder gesehen.

Ein stöbernder Landstreicher fand eines Tages in einer Mülltonne ein sammetenes blaues Jäckchen. In der Tasche steckte ein kleines Heft, darin stand in Kinderschrift geschrieben:

“Es war einmal ein ehrwürdiger Vater, der hatte viele Kinder, sie zogen in alle Welt hinaus, und das Bild des Vaters veränderte sich bei einem jeden .Und so gab es einen großen Streit zwischen ihnen, wer wohl an das rechte Bild glaubte. Und sie haßten, verfolgten und töteten sich gegenseitig. Und die Rache setzte sich fort über 2 000 Jahre.”

Mülltonne

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